DRAMA: USA, 2010
Regie: Debra Granik
Darsteller: Jennifer Lawrence, John Hawkes, Lauren Sweetser
Die 17-jährige Ree sucht ihren Vater, einen Drogendealer. Er muss vor Gericht erscheinen, ansonsten verfällt die Kaution und das Haus muss verkauft werden. Ihre Nachbarn, die verstreut auf verkommenen Farmen in der abgeschiedenen Gegend der Ozark Mountains im südlichen Missouri hausen, begegnen ihr mit Schweigen und offener Feindseligkeit. Sie haben etwas zu verbergen. Ree muss es herausfinden - und bringt sich damit in höchste Gefahr
KRITIK:WINTER'S BONE ist der zweite Spielfilm der amerikanischen Regisseurin Debra Granik, die sich selbst als "visuelle Anthropologin" bezeichnet. Soll heißen: Sie untersucht das Wesen der Menschen mit filmischen Mitteln. Und das macht sie ziemlich gut.
Dank der hervorragenden Kameraarbeit von Michael McDonough baut der Film eine sehr bedrückende Atmosphäre auf. Wenn man Vergleiche ziehen möchte: Clint Eastwoods MYSTIC RIVER ist mir in den Sinn gekommen, aber auch der Teenage Angst-Klassiker RIVER'S EDGE mit seinen nasskalten, morbiden Novemberregen-Bildern und seiner beklemmenden, depressiven Stimmung.
WINTER'S BONE ist definitiv kein Wohlfühl-Film. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Daniel Woodrell ist Debra Granik ein beklemmendes Drama gelungen, das einen realistischen Blick auf eine amerikanische Gegenwart wirft, die aber rein gar nichts mit dem edlen American Dream gemeinsam hat.
Die Dorfgemeinschaft in Winter's Bone lebt nach ihren eigenen archaischen Regeln, begegnet Staat und Gesetz mit Misstrauen und Feindschaft, pflegt ein - gelinde gesagt - entspanntes Verhältnis zu illegalen Rauschmitteln und wirkt in der Feindseligkeit, mit der sie Außenstehenden begegnet, bedrohlicher als so manche derangierte Hinterwäldler-Familie in blutrünstigen Backwood-Horror-Movies.
Der Film nimmt denn auch eine Wendung zum Thriller - Backwood-Thriller, wenn man so will, bleibt aber "seriös" und somit der Zielgruppe der gutbürgerlichen Arthouse-Kinogeher verpflichtet. Der Regisseurin, die selbst - natürlich - aus der liberalen, urbanen Mittelschicht stammt, ist selbstredend clever genug um zu wissen, dass ihr Blick auf die White Trash-Unterschicht ein Blick aus einer abgesicherten Position ist; dass sie die abgebildeten Milieus selbst nicht kennt, dass sie quasi mit der Kamera in einen ihr fremden Mikrokosmos eindringt.
Dabei nennt sie den alten Grenzgänger Werner Herzog als Vorbild, dessen Filme ja immer auch Erfahrungsreisen und Experimente sind. Und ja, die eine Szene, in der sich das Rätsel auflöst - nein, keine Angst, hier wird nicht gespoilert - ist eine Film-Erfahrung, die die in ihrer Intensität kaum zu toppen ist und mir vermutlich noch länger im Kopf herumspuken wird.
Weil von Staat und Behörden keine Hilfe zu erwarten ist, muss eine Siebzehnjährige alleine für ihre desolate Familie sorgen und sich auch noch mit asozialen Hinterwäldlern herumschlagen. Sozialdrama goes Backwood-Horror und gewinnt damit den Jury-Preis am Sundance-Fest. Ein nicht alltäglicher und emotional sehr "wirksamer" US-Indiefilm, der aber - trotz Anleihen bei Werner Herzog - nicht so recht aus seiner allzu gutbürgerlich-aufgeklärten Arthouse-Haut raus kann. Dennoch eine klare Empfehlung.