EROTIK-THRILLER: USA, 1998
Regie: John McNaughton
Darsteller: Kevin Bacon, Matt Dillon, Neve Campbell, Denise Richards, Bill Murray
Der Vertrauenslehrer Sam Lombardo unterrichtet an der elitären Blue Bay High-School in Blue Bay, einem Mekka der Superreichen. Als eine Schülerin ihn der Vergewaltigung bezichtigt, scheint alles in seinem Leben schlagartig den Bach runter zu gehen...
Immer wenn ich jemandem erzähle, dass ich WILD THINGS für einen tollen Film halte und ihn gar zu meinen Lieblingsfilmen zähle, bekomme ich diesen Blick. Diesen Blick der sagt „Denise Richards. Neve Campbell. Lesbensex im Pool – alles klar.“ Die heißen Sexszenen scheinen so ziemlich das einzige zu sein, das sich über diesen Film ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Doch WILD THINGS bloß auf seine erotischen Momente zu reduzieren wäre, als würde man Paul Verhoevens SHOWGIRLS auf seine Handlung reduzieren – es wird dem Film nicht gerecht.
Natürlich gehören die heißen, knisternden Erotikszenen zum einem Erotik-Thriller dazu – was wäre zum Beispiel BASIC INSTINCT ohne Sharon Stones lasziven Beinüberschlag. Aber WILD THINGS ist noch viel mehr als bloß heißer Sex im schwülen Florida. Besagte Szenen sind bloß Momentaufnahmen in einem Drehbuch, das voller Wendungen und falscher Fährten steckt – die es einem schwer machen überhaupt über den Film zu schreiben, ohne zu viel zu verraten –, und einen perfekt ausgeklügelten Krimi erzählt, in dem jeder mal Opfer, mal Täter ist.
WILD THINGS ergibt sich nicht so leicht in typische Hollywoodkonventionen. In der Welt von Blue Bay gibt es keine Helden oder Schurken, weder Gut noch Böse. Die Figuren die diese Welt bevölkern sind so ambivalent und egoistisch wie echte Menschen - auf ihren eigenen Vorteil aus, versuchen sie das Beste für sich selbst aus jeder Situation herauszuholen. Nur eine gibt es, die in dem Moloch aus Betrug und Verrat ihre Integrität behält und unbeirrt ihrem eigenen Weg folgt. Am Ende gewinnt sie nichts, verliert aber auch nicht - sie ist so etwas wie der weiße Fleck im grauen Einerlei, eine Art moralischer Pfeiler und Begleiter für den Zuschauer, der schon bald nicht mehr weiß, wem er trauen kann und wem nicht. Wer diese Figur ist, wird hier natürlich, wie so vieles, nicht verraten.
Denn WILD THINGS lebt vor allem von seinen Überraschungen. Hinter jeder Sequenz, jeder Szene, gar jedem Beat lauert eine Wendung die ein ganz neues Licht auf die Geschehnisse wirft und dennoch nicht alles offenlegt. Das Rätseln geht weiter bis zum Schluss, dem berühmten Abspann in dem die vorher ausgelassenen Szenen endlich vollends Licht ins Dunkel bringen. Ein großer AHA-Moment, wenn die fehlenden Puzzleteile nachgeliefert werden und vieles auf einen Schlag Sinn ergibt oder gar in einem völlig neuen Licht erscheint. Es ist dabei bemerkenswert, wie gut sich diese Szenen einfügen, nicht wie nachgelieferte Erklärungen, sondern wie gewollt ausgelassene Informationen die bewusst zurückgehalten werden, bis der Zuschauer bereit ist, die ganze Wahrheit zu erfahren. Lediglich eine Rückblende, vielleicht eine der schockierensten, fügt sich von der zeitlichen Abfolge her nur mit ein klein wenig Nachsicht ein. Dass die Spannung bis zum wirklichen Schluss aufrechterhalten bleibt und so erst Zeit nach dem Film genug Zeit übrig ist, um darüber nachzudenken, macht diese kleine Ungereimtheit jedoch locker wieder wett.
Autor Stephen Peters ist mit WILD THINGS wirklich ein Meisterstück gelungen, das mich immer wieder begeistert. Selbst nach dem ersten Ansehen, wenn alle Wendungen und Zusammenhänge aufgeklärt sind, wird WILD THINGS nicht langweilig, sondern lädt zum mehrmaligen Neu Sehen ein. So kann man dann nämlich bewundern, mit welcher Präzision Peters von Anfang an Anspielungen und Hinweise auf die endgültige Auflösung einstreut und es macht wirklich Spaß diese Beat für Beat, Szene für Szene zu entdecken. So ergibt sich letztlich auch ein rundes Ganzes und keine der Wendungen am Schluss wirken bemüht oder an den Haaren herbeigezogen.
Doch WILD THINGS lebt auch von seiner Inszenierung durch John McNaughton, der nach seinem Durchbruch mit HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER hauptsächlich Karriere im Fernsehbereich machte. Was umso verwunderlicher ist, als dass seine Arbeit an diesem Film das ganz und gar nicht vermuten lässt. Anders als zum Beispiel Declan O’Brien (WRONG TURN 3, 4, 5) findet er eine Bildsprache jenseits dumpfer Fernsehfilme für SyFy und Konsorten. Er fängt die schwüle Hitze Floridas, die Sümpfe und die Stadt Blue Bay – selbst ein Sumpf der Korruption – zusammen mit Kameramann Jeffrey L. Kimball ins schönen, warmen und verschwitzten Bildern ein. Ihm zur Verfügung stand eine Truppe erfahrener und gestandener Recken – Denise Richards, Neve Campbell, Kevin Bacon – der als Produzent im Übrigen gegen seine eigene „No Nudity“-Klausel verstoßen hat –, Matt Dillon sowie Bill Murray in einer Gastrolle. Da gibt es freilich nichts zu meckern.
Zu WILD THINGS gibt es neben der Kinofassung auch noch eine Unrated-Fassung, die in den USA auf DVD veröffentlicht wurde. In dieser Fassung wurden unter anderem die Sexszenen erweitert - womit auch groß auf dem DVD-Cover geworben wird. Die Erweiterungen bei den Sexszenen sind ganz nett, aber im Endeffekt relativ belanglos - vor allem sieht man mehr von Denise Richards Brüsten, was ja per se nichts Schlechtes ist. Wer sich jedoch erhofft mehr von Neve Campbell zu sehen wird enttäuscht, denn von ihr gibt es keine expliziteren Einstellungen - was daran liegt, dass sie seit jeher "No Nudity"-Klauseln in ihren Verträgen hat. Wirklich interessant sind jedoch die neu eingefügten Szenen, vor allem aus dem Abspann. Zwar bringen nicht alle neue Details ans Licht, sondern erweitern eher bereits Bekanntes. Aber eine Szene rückt eine Personenkonstellation schockierender Weise in ein völlig neues - etwas anrüchiges - Licht. Letztlich sind beide Fassung interessant und haben Ihre Vorzüge - mein Favorit ist jedoch die Kinofassung.
In diesem Sinne: „Was ist ein Sexualverbrechen?“ – „Wenn ich keine flachlegen kann!“
WILD THINGS ist ein durch und durch gelungener Film, ein spannungsgeladener und herausragend konstruierter Thriller, der die schwül-warme Atmosphäre Süd-Floridas perfekt einfängt und Beat für Beat auf seine intelligent konstruierte Auflösung hinarbeitet. Sollte es etwas zu meckern geben, dann höchstens, dass der AHA-Effekt nach der ersten Sichtung natürlich in dieser Form nicht nochmal auftritt. Dennoch sorgt die sauber durchstrukturierte Geschichte auch beim mehrmaligen Ansehen noch für genügend Spaß. Sei es dass man sich selbst als Detektiv engagiert und die Hinweise auf die Auflösung entdecken oder sich einfach an einem gelungenen Thriller erfreuen möchte, der in einigen Szenen Bill Murray in Bestform zeigt. Ganz zu schweigen von der „Form“ Denise Richards…