DOKUMENTARFILM: AUT/D, 2010
Regie: Michael Glawogger
Darsteller: var.
Whores' Glory ist ein filmisches Tryptichon zur Prositution. Drei Schauplätze, drei Sprachen, drei Religionen. Dreimal eine Welt hinter der gutbürgerlichen Fassade des jeweiligen Landes, die grausam und abartig ist, aber auch voller Schönheit ...
Michael Glawogger und sein Team wagen sich nach Megacities und Working Man's Death erneut in die vermeintlichen Grenzregionen der menschlichen Gesellschaften vor, obwohl man wahrscheinlich viel eher sagen müsste, ins Zentrum der menschlichen Existenz. Diesmal geht es um Prositution, dem sogenannten "ältesten Gewerbe der Welt" und mit Sicherheit dem polarisierensten. Die einen sehen darin eine unmenschliche Form der Ausbeutung mit Nähe zur Sklaverei, während am anderen Ende diejenigen stehen, die in der Prositution so etwas wie Sozialarbeit sehen. Nicht umsonst bemüht man sich in einigen Kreisen darum, den seriöser wirkenden Begriff der "Sexarbeit" zu etablieren.
Michael Glawogger bleibt aber seinem Ansatz treu, indem er auf jegliche Metaebene verzichtet und mit seiner Kamera mitten ins Geschehen hineingeht und die Menschen, Menschen sein lässt. Sein Weg ist wesentlich filmischer als bei meisten anderen Dokumentationen. Er und sein begnadeter Kameramann Wolfgang Thaler loten die optischen Eigenheiten der jeweiligen Orte aus um sie in ein ganz bestimmtes Licht zu tauchen. Außerdem verfolgen sie ein visuelles Konzept, mit ihren teils geometrisch konstruierten Kamerabewegungen. Bei ihren vorherigen Filmen inszenierten sie auch schon mal die eine oder andere Szene nach, aber das ging diesmal nicht, weil der Drehort - das Bordell - ein sehr intimer und flüchtiger Ort ist, wo man nicht planen und sich auf nichts verlassen kann.
Bei "Whores' Glory" mussten sie sogar die eiserne Regel der Dokumentation brechen, für die teilnehmenden Subjekte nicht zu bezahlen. In einem Freudenhaus kostet nun einmal alles etwas, jedes freundliche Lächeln, jedes Wort, jede Berührung, so auch Interviews und die freie Beweglichkeit vor Ort. Die Mädchen und ihre Zuhälter leben nicht in einer 9 bis 5 Welt, mit Wochenende und Urlaub, sie arbeiten rund um die Uhr, solange bis sie aus dem Geschäft sind. Jeder Tag zählt, denn sonst kann man sich nicht fürs Alter absichern.
Whores' Glory ist ein faszinierender Film von grausamer Schönheit. Er zeigt die vollkommene Verwundbarkeit der menschlichen Würde genau an dem Ort, wo man versucht sie zu ignorieren und zu verstecken. Glawogger und Thaler mussten dafür monatelang Vertrauen aufbauen, aber schließlich gelang es ihnen durch die Abwehrschichten der Beteiligten durchzudringen und sie in all ihrer seelischen Nacktheit darzustellen. Und das mit den jeweiligen Eigenheiten der verschiedenen Kulturen in Thailand, Bangla Desh und Mexiko. Jedes dieser Länder versprüht seine eigene Form von Widersätzen. Jede Kultur ist auf ihre eigene Weise brutal, aber genauso ist sie schön und genauso ist sie zweckmäßig.
Ich warne die Zuseher, dieser Film ist nicht ohne. Er kann ganz schön an die Nieren gehen. Er ist einfach nicht vergleichbar mit den sensationslüstern-plakativen Privat-TV-Dokus im Fernsehen. Nein, diese Bilder, diese Orte und Menschen, dieser unbedingt erwähnenswerte, großartige Soundtrack, bestehend aus Coco Rosie, PJ Harvey und Maike Rosa Vogel, die ihre Stimme jeweils einem der drei Orte widmen dürfen, all diese Elemente verhelfen Whores' Glory zu einer poetischen und emotionalen Wucht, die man nicht nur in Dokumentarfilmen sehr selten findet. Man kann fast sagen Michael Glawogger hat hier im Grunde sein eigenes Genre erfunden.
Wir Menschen verstecken uns meistens hinter Ritualen, Artefakten und Platitüden. Wenn man dann so einen Film sieht, der so voll purer Menschlichkeit und ehrlichen Emotionen ist, dann ist das ein sehr packendes Erlebnis. Zumindest mir kommen dann oft die Tränen. Ich schreibe das nur um zu erklären, was die Schönheit in dieser grausamen Welt sein soll, falls jemand sich daran stößt, dass ich diesen Film so wunderschön finde. Denn ja, es stimmt, die Welt ist verdammt unfair, grausam und brutal, besonders zu Frauen. Und Prosituierte wissen das vermutlich am allerbesten.
Whores' Glory ist ein Hurenfilm, der so gnadenlos zu den Seelen seiner dargestellten Menschen vordringt, dass es gleichzeitig schmerzhaft und wunderschön ist. Regisseur Glawogger gelingt es hier in beeindruckender Weise diese Scheinwidersprüche zu verschränken und auf die Leinwand bzw. die Zuseher zu übertragen. Ein Dokumentarfilm, der uns nicht Wissen sondern Emotionen lehrt. Politisch schwer verwertbar, menschlich jedoch eine Wucht, diese poetische Annäherung an das umstrittenste Gewerbe der Welt.