DRAMA: DE, 2011
Regie: Andres Veiel
Darsteller: August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge
Tübingen Anfang der 60er Jahre. In einer Zeit des Umschwungs trifft Bernward Vesper, Sohn eines hitlertreuen Schriftstellers, auf Pastorentochter Gudrun Ensslin. Beide beginnen eine stürmische Affäre und rutschen im Laufe der Zeit mehr und mehr ins Politische. Während Bernward durch die Veröffentlichung von Büchern die Gesellschaft verändern will, sucht Gudrun einen radikaleren Weg. Es kommt zum Bruch und zur Begegnung mit Andreas Baader..
"Andres Veiel hat den besseren 'Baader Meinhof Komplex' gedreht" schrieb die Zeit über Veiels Pre-RAF-Drama. Sowas macht natürlich neugierig, lässt aber außer Acht, dass da eigentlich Äpfel mit Birnen verglichen werden. Auch wenn es in beiden Filmen irgendwie um die RAF geht, so sind sie doch sowohl in ihrer Intuition als auch in ihrer Erzählweise komplett unterschiedlich. Erzählt Uli Edel in seinem Film die Geschichte der RAF und rattert historische Ereignisse runter, kommen die RAF und Andreas Baader in "Wer wenn nicht wir" nur am Rande vor. Veiel legt das Augenmerkt vielmehr auf die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass aus jungen, intelligenten Menschen gefährliche Terroristen werden.
Der Film zeigt das Heranwachsen einer verlorenen Jugend, die mit der Nazivergangenheit ihrer Eltern zu kämpfen hat, die den ganzen Mief der 50er Jahre satt hat, die offen für neues ist und sich nach Veränderung sehnt. Vor allem der Kampf gegen die Generation vor ihr, gegen die Eltern und gegen Altnazis, ist oftmals erdrückend anzusehen.
Der Film hat eine seiner stärksten Szenen als Gudrun ihren Vater bearbeitet. Sie hält ihm vor, kein Widerständler geworden zu sein, obwohl er wusste, dass die ganze Hitler-Sache abgrundtief falsch war. In Gudruns Augen ist dies sogar schlimmer, als ein dumpfer Nazi zu sein. Zu wissen, dass ein Unrecht geschieht und nichts dagegen zu unternehmen. In solchen Momenten lässt "Wer wenn nicht wir" zumindest erahnen warum die Dinge so gekommen sind, wie sie sind. Nachvollziehbar ist vieles dennoch schwer. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache.
Und leider auch in der Inszenierung. Zwar ist es ganz interessant zu sehen, wie ein Film, der mit eine Sixties-Liebesgeschichte beginnt, beinahe in einem Politdrama endet. Aber nur beinahe, weil richtig politisch ist der Film eigentlich nicht. Im Zentrum steht nicht die Politik sondern die Figuren. Eigentlich geht es um ein privates Drama, in das die Geschichte hineinpfuscht. Aber vor allem ist es die Geschichte von Bernward Vesper.
Vesper, dessen Vater einmal die Festrede bei einer Bücherverbrennung gehalten hat und dem Führer zum Geburtstrag gar ein Gedicht widmete, steht wohl exemplarisch für die, die zerbrachen.
Solche komplexe und schwierige Figuren, wie Vesper und Ensslin es waren, brauchen natürlich auch gute Darsteller. Und die liefert "Wer wenn nicht wir". Vesper wird von August Diehl, ein Vollprofi was radikale Figuren betrifft, dargestellt. Zu den positiven Überraschungen des Films zählt die noch recht unbekannte Lena Lauzemis die Gudrun Ensslin verkörpert und eine eindringliche Performance abliefert. Veiel hat seinen Film bis auf die Nebenrollen gut besetzt. Im Cast findet man bekannte Gesichter wie Susanne Lothar (Das weiße Band), Thomas Thieme (Das Leben der Anderen) und Imogen Kogge (Requiem).
"Wer wenn nicht wir" ist eigentlich ein Coming-Of-Age Arthouse-Drama. Inklusive Bettszenen und allem was noch dazugehört. Das detailverliebte Setting tut sein Übriges um die 60er Jahre wiederauferstehen zu lassen. Im Coming-Of-Age Teil funktioniert der Film ja auch ganz gut, schwierig wird es aber, wenns politisch wird. Es ist halt nicht leicht, so viele verschiedene Ansätze in einem Film unterzubringen. Und genau hier liegt das Problem. Leider erinnert "Wer wenn nicht wir" manchmal an eine ARTE Fernsehproduktion. Filmisch ist das ganze meist sehr konventionell.
Sicher ist es interessant, das ganze einmal aus einer anderen Sichtweise heraus zu betrachten, aber auf die Dauer sind die ständigen Beziehungsprobleme der Protagonisten irgendwie nervig. Vor allem weil die ganze Beziehungskiste im Film so detailliert gezeigt wird, während Dinge wie der Umstand, dass Gudrun "für die Sache" ihren kleinen Sohn einfach so zurücklässt nur angeschnitten werden. Sicher: Eifersuchtsszenen und so lassen sich leichter darstellen und auch nachvollziehen. Aber interessanter wär es umgekehrt.
"Wer wenn nicht wir" versucht den Wurzeln der RAF und den Ursachen für den Terror auf den Grund zu gehen. Regisseur Andreas Veiel zeigt das Portrait einer Generation die aufbegehrt. Gegen die Eltern und die Gesellschaft. Gleichzeitig ist "Wer wenn nicht wir" auch ein Film über das Scheitern, über das Zerbrechen von Idealen, Illusionen und Lebensträumen und ein Porträt über den Schriftsteller Bernward Vesper, dessen Schicksal eng verbunden ist mit der Nazivergangenheit Deutschlands und dem Beginn der RAF. Streckenweise etwas langatmiges Geschichtsdrama, bei dem man auch mitdenken muss.