OT: Before I Fall
DRAMA: USA, 2016
Regie: Ry Russo-Young
Darsteller: Zoey Deutch, Halston Sage, Logan Miller, Kian Lawley, Elena Kampouris
Die Heimfahrt von der Freitag-Abend-Party endet abrupt: Der Wagen überschlägt sich. Schmerz. Dunkelheit. Filmriss. Am nächsten Morgen läutet der Wecker, als wäre nichts gewesen. Es ist wieder Freitag. Der Tag beginnt von neuem. Träumt Samantha? Ist sie tot? In der Zeitschleife gefangen? Verzweifelt sucht sie nach Antworten ...
Ich muss ja peinlicherweise zugeben, dass mir solche existentialistische, 1000 Tränen tiefe Teenager-Filme umso mehr taugen, je älter ich werde. BEFORE I FALL (der sperrige deutsche Titel "Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie" sprengt glatt das Datenbank-Volumen dieser kleinen Website) spielt jetzt zugegebenermaßen nicht in der selben Liga wie NEVER LET ME GO, IF I STAY oder THE FAULT IN YOUR STARS, um ein paar Beispiele von großartigen Teenager-Filmen aus den letzten Jahren zu nennen.
Alle diese Filme basieren auf erfolgreichen, teilweise millionenfach verkauften Literaturvorlagen. Eine Tatsache, die ich mir immer dann trostspendenderweise vor Augen führe, wenn ich wieder einmal kurz davor dran bin, am Zustand von Staat, Politik und Gesellschaft und dem ganzen Chaos zu verzweifeln. So lange es junge Menschen gibt, die freiwillig lesen, und zwar durchaus ernsthafte, ambitionierte Literatur, besteht eigentlich kein Grund für Kulturpessimismus. Aber ich schweife ab ...
BEFORE I FALL stellt uns vier prototypische Upperclass-Highscool-Girls vor, die sich gewissenhaft auf die Abschlussprüfung in den Schulfächern Instagram, Snapchat, Whatsapp, Beliebtheitswettbewerb und last, but not least: Verlust der Jungfräulichkeit vorbereiten. Was die coole Girl-Truppe noch nicht weiß: Sie werden noch viele, viele Tage Gelegenheit haben, sich in diesen Disziplinen zu üben.
EISKALTE ENGEL meets GROUNDHOG DAY, wenn man so will, aber ohne der Spannung des Ersteren und ohne den Humor des Letzteren. Das ist aber auch nur konsequent, denn juvenile Sinnsuche ist üblicherweise weder lustig noch der Stoff, aus dem die Hitchcock-Filme sind.
Zugegeben, ganz unanstrengend ist diese aufgedrehte Stereotypen-Parade Anfangs auch nicht. Doch das ändert sich. Mit jedem Durchlauf ihres letzten Tages gewinnt die Hauptfigur an Facetten und Charakter. Der zumindest mir völlig unbekannte Cast - den "Youtube-Superstar" (Zitat skip.at) Kian Lawley musste ich googeln - macht seine Sache ausreichend gut, wiewohl natürlich weit und breit keine neue Kristen Stewart auszumachen ist.
Die Kamera fängt die Location - schätzungsweise amerikanischer Nordwesten - in düsteren, nasskalten Novemberregenfarben ein. Überhaupt zeichnet sich BEFORE I FALL durch eine sehr schöne, melancholische Grundstimmung aus. "Emo-Exploitation", höre ich die Zyniker und Besserwisser da draußen maulen. Nein, ich möchte es lieber "Aufrichtigkeit im Umgang mit jugendlichen Emotionen" nennen.
BEFORE I FALL ist das seltene Beispiel eines Films, der es einem Anfangs ziemlich schwierig macht, ihn wirklich zu mögen. Und der immer besser wird, je länger er läuft. Wäre der ganze Film so spannend und mitreißend wie die letzten 20 Minuten, hätte ich einen neuen (heimlichen) Lieblingsfilm. Und danke für diese Gänsehaut-Szene mit dem Yeah Yeah Yeahs-Song.
Und täglich naht der Unfalltod. Existentialismus light im Gewand eines melancholischen Teenager-Dramas mit Mystery-Einschlag. Schwieriger Einstieg, passabler Mittelteil, beachtliches Finale. Und: Ausgesprochen schöner Soundtrack. Kann man gelten lassen.