DRAMA: USA,GB, 2011
Regie: Lynne Ramsay
Darsteller: Tilda Swinton, Ezra Miller, John C. Reilly
Man sagt, dass wenn eine Mutter ihr Baby das erste Mal sieht, sie dieser Anblick die Geburtsschmerzen vergessen lässt. Doch was, wenn dem nicht so ist? Was wenn einfach keine richtigen Muttergefühle aufkommen wollen? Eva (Tilda Swinton) hat sich das mit dem Muttersein vermutlich anders vorgestellt. Statt eines süßen Engels, entpuppt sich Sohn Kevin als Schreibaby und späterer Folge als störrisches Kleinkind, das sich gefühlskalt und zunehmend feindselig gegenüber der eigenen Mutter verhält. Doch niemand will Eva glauben, dass das Verhalten ihres Sohnes gegen sie gerichtet ist und ihr eigenes Kind ein perfides Spiel mit ihr spielt. Verhält sich Kevin doch zuckersüß gegenüber seinem Vater (John C. Reilly).
Als Lionel Shriver 2003 "We Need To Talk About Kevin" veröffentlichte, traf sie einen Nerv. Sie war mit Sicherheit nicht die erste, die das Thema anschnitt (Bereits 1988 veröffentlichte die spätere Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing "Das fünfte Kind", ein Buch das eine ähnliche Grundthematik behandelt), dennoch sorgte das Werk nach seinem Erscheinen für heftige Diskussionen (und hohe Verkaufszahlen).
Schließlich darf nicht sein was nicht sein darf. Eine Mutter hat ihr Kind zu lieben. Wenn nicht, ist sie ein Monster. Die Realität sieht freilich anders aus. Aber über bestimmte Themen wie z.b Wochenbettdepressionen spricht man nun mal nicht. So wie man auch nicht darüber spricht, dass manche Eltern ein Kind ihren anderen Kindern vorziehen.
Es gibt Themen, über die legt man lieber den Mantel des Schweigens. Vor allem, wenn man selbst betroffen ist. Denn wer würde sich schon gerne als Rabenmutter und Monster beschimpfen lassen? Sprechen doch allein die Rezensionen zu Shrivers Buch auf Amazon eine eindeutige Sprache. Findet man doch die eine oder andere Besprechung, in der die Autorin selbst angegriffen oder gar als "monströse, verachtenswerte Schreiberin" tituliert wird.
Auch der Film macht es dem Zuseher nicht leicht. Erinnert "We Need To Talk About Kevin" anfangs doch frappierend an einen Horrorfilm. Oder an ein Sozialdrama. Obwohl letztere oftmals die schwerer erträglichen Filme sind. "We Need To Talk About Kevin" wartet mit Szenen auf, die oftmals nur schwer zu ertragen sind. Eva, die nach der Geburt von Kevin einfach nur fertig in ihrem Krankenbett sitzt. Kevins hasserfüllter (?) Blick, den er schon als Kleinkind für seine Mutter übrig hat.
Aber als Film braucht es solche Szenen. Hat das zugrunde liegende Buch hat knapp 500 Seiten. Kevins langsame Entwicklung, seine "Bösartigkeiten", kommen im Roman natürlich besser zum Ausdruck. Aus dem einfachen Grund: Sie passieren nicht gleich auf gleich. Wenn Eva etwas baut oder gestaltet, wird es nicht sofort in einer der nächsten Szenen schon von Kevin zerstört, sondern meist erst viel später und damit unerwartet.
Natürlich hat man als Zuseher, der das Buch kennt, manchmal das Gefühl, der Film spielt ein "Best-Of" ab. Aber mit Literurverfilmungen ist es sowieso so eine Sache: Man weiß leider viel zu oft wie es weitergeht.
Was dem Film allerdings wirklich gelungen ist, ist aus dem in Briefform (!) geschriebenen Roman einen Film zu machen, dem man seine erzählerische Herkunft nicht ansieht. Auch wenn der Film immer dicht an seiner Hauptperson dran ist (Es gibt soweit ich mich erinnern kann keine einzige Szene in der Eva nicht dabei ist) so verzichtet er darauf, Eva direkt etwas auf dem Off sagen zu lassen. Dass man trotzdem erahnen kann, was Eva fühlt und wie es ihr geht, liegt natürlich an der großartigen Tilda Swinton.
Natürlich nimmt man Eva damit auch die Möglichkeit, dass sie sich selbst rechtfertigen kann und erschwert womöglich die Identifikation mit ihr. Aber das war auch im Buch schon nicht ganz einfach.
Da ich das Buch bereits vor dem Film kannte, ist es schwer zu sagen, wie der Film ohne Buch funktionieren würde. Sagen wir mal so: Hat man das Buch gelesen, hat man den Vorteil mit den Figuren und ihren Hintergründen besser vertraut zu sein. Man erfährt mehr über Franklin und Celia, über Kevins Mitschüler und "Freunde", sogar etwas aus Evas Kindheit. Auch was die einzelnen Ereignisse anbelangt, ist das Buch natürlich wesentlich dichter und weniger komprimiert erzählt. Ich hatte oft das Gefühl, dass im Film Dinge lediglich angeschnitten wurden (Evas Auslandsaufenthalt während Kevin klein war z.B.) und erst durch Kenntnis des Buchs gelang es mir, diese auch richtig einzuordnen.
Filmisch interessant wurde hingegen die Ausarbeitung der Gemeinsamkeiten zwischen Eva und Kevin umgesetzt. Nicht nur, dass die Kevin-Darsteller Jasper Newell und Ezra Miller Tilda Swinton oftmals wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheinen, sind es vor allem auch inszenatorische Kniffe, die dem Zuschauer ab und dann einen leichten Schauer über den Rücken laufen lassen.
Ob Film oder Buch nun besser ist, lässt sich schwer sagen, da vor allem das Buch auch nicht jedermanns Sache sein dürfte, nicht zuletzt da das Buch konsequent aus Evas Sicht geschrieben ist. Und wer den Film kennt weiß: Eva ist jetzt nicht unbedingt die sympathische Person auf diesem Planeten. Und was noch viel schlimmer ist: Es kann passieren, dass man beim Lesen vielleicht sogar so etwas wie Verständnis und Mitgefühl für Eva entwickelt. Und dabei ist Eva ja, wie eingangs erwähnt, ein Monster...
Auch wenn "We Need To Talk About Kevin" filmisch ganz eigene Wege geht und überraschend romanunlastig daherkommt, schadet es nichts, wenn man das Buch auch kennt: Zum besseren Verständnis der Figuren und Ereignisse die im Film nur kurz angeschnitten werden. In gewisser Weise fiel die Verfilmung überraschend gut (vor allem visuell und inszenatorisch aus), andererseits hat das Buch mich damals mehr vom Hocker gehauen und länger beschäftigt als der Film. Aber zugegeben, ist schon länger her, dass ich das Buch in den Händen hatte, ich war damals doch noch jünger und vl. auch noch etwas unschuldiger.
Die DVD erscheint am 18.11. in der renommierten Kino Kontrovers-Reihe.