DRAMA: MEX/E, 1961
Regie: Luis Buñuel
Darsteller: Silvia Pinal, Fernando Rey, Francisco Rabal
Die junge Novizin Viridiana (Silvia Pinal) besucht widerwillig ihren verwitweten und erkrankten Onkel Don Jaime (Fernando Rey) auf seinem Landgut. Ihre verblüffende Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau fasziniert Don Jaime enorm und treibt ihn in eine Obsession an deren Ende sein schamhafter Selbstmord steht. Viridiana erbt, zusammen mit Jaimes unehelichen Sohn Jorge (Francisco Rabal) das Haus und die Ländereien. Während sie beschließt ihr neu gewonnenes Vermögen für die armen Bettler, Kranken und Landstreicher zu nutzen, möchte Jorge das Land und das Haus wieder zu alter Blüte bringen. Viridianas Kampf gegen die gesellschaftlichen Konventionen und für mehr Nächstenliebe kann bei einem wie Buñuel natürlich kein Happy End bringen.
Die DVD-Rezension unterscheidet sich in zwei Punkten wesentlich von der Filmkritik. Zum einen geht es hier nicht nur um den Film, sondern um das Medium, um das Drumherum, das Bonusmaterial, die Ausstattung der DVD, Bild- und Tonqualität. Es geht nicht nur um den Inhalt, die Ästhetik oder die erzählerische Qualität des Films.
Und zum anderen, sofern es sich nicht um eine Videopremiere handelt, hat der besprochene Film inzwischen an Geschichte dazu gewonnen. Wie das klassische Bild eines Schneeballs, der den Berg hinunter rollt und dabei mehr und mehr wächst. Wie er dann im Moment der Betrachtung aussieht, wie groß er ist und was er neues dazu gewonnen hat, das liegt daran wann und wo er hinuntergerollt ist, was auf seinem Weg gelegen ist und wie er beim Losrollen aussah.
Solch ein Film ist VIRIDIANA von Luis Buñuel. Es geht jetzt nicht mehr darum, ob der Film gut oder schlecht ist, das sollte es eh nie in einer Kritik, es geht auch nicht mehr darum ob der Film von Wert für die aktuelle oder zukünftige Filmlandschaft ist. Dass VIRIDIANA ein Meisterwerk ist, das ist inzwischen klar, das haben genug Leute geschrieben und noch viel mehr haben es mit eigenen Augen gesehen.
Schon die Entstehungsgeschichte des Films wäre eine eigene Verfilmung wert. Es ist der erste Film seit LOS HURDES, den Buñuel in seinem Heimatland Spanien gedreht hat, dazwischen arbeitete er nur im amerikanischen und mexikanischen Exil. So viel ist bei und durch VIRIDIANA geschehen. Buñuel drehte nicht nur im verhassten Franco-Spanien, er machte VIRIDIANA auch noch zu einer Abrechnung mit Franco und der erzkatholischen Kirche.
Durch Doppeldeutigkeiten und Symbolismus machte er seinem Ärger Luft. Wenn Don Jaime von seinem früher fruchtbaren Ackerland spricht - das seit 20 Jahren vom Unkraut überwuchert wird - dann ist das mehr als deutlich für ein offenes Publikum.
Den Zensoren glitt Buñuel so aber geschickt zwischen den Fingern hindurch. Das Drehbuch war überhaupt sehr simpel und undetailliert verfasst, alle entscheidenden Dialoge und Details kamen erst beim Dreh hinzu. Kein Wunder also, dass der Film bei seiner Abnahme sofort verboten wurde.
Das war Buñuel auch stets klar und deshalb machte er heimlich eine zweite Negativkopie, die sein Sohn, im Wagen mit spanischen Torreros, über die Grenze nach Frankreich und dort zum Filmfestival in Cannes schmuggelte. Dort bekam Buñuel seine zweite Goldene Palme, nach DIE VERGESSENEN. Und es folgten Aufschreie und Skandale, von Kirche und christlichen Fundamentalisten. Morddrohungen ergossen sich über Buñuel und die Produzenten.
In einem Kino, das VIRIDIANA zeigte, ging eine Bombe hoch. Bis zu Francos Sturz drehte Buñuel natürlich auch keinen Film mehr in Spanien. Wenn man sich diese DVD aus dem Hause Pierrot Le Fou holt, bekommt man nicht nur einen überragenden Film sondern ein ganzes Paket Filmgeschichte geliefert. Bildqualität und Ton sind gut, die deutsche Tonspur schlechter als die original spanische. Und als besondere Leckerei gibt es eines der wenigen audiovisuellen Interviews mit Buñuel als Bonus in der Doku 'Filmemacher unserer Zeit - Luis Buñuel'.
Dieser Film war meine Einstiegsdroge in das cineastische Reich des verrückten Spaniers. Und ich bin ein glücklicher Buñuel-Junkie. Kommt her meine Kinder und kostet davon, es hat nur positive Effekte!