OT: Violência na carne
SEXPLOITATION: Brasilien, 1981
Regie: Alfredo Sternheim
Darsteller: Helena Ramos, Herculés Barbosa, Luis Carlos Braga, Nadia Destro
Wieder einmal fallen läufige Schwerverbrecher in eine Hausgemeinschaft ein. Zum (in der Mehrzahl sexuell motivierten) Abschuss freigegeben sind heute: Ein lesbisches Pärchen, ein schwules Pärchen, ein Mark Shannon-Verschnitt für Arme, Pornochanchada-Göttin Helena Ramos und eine Busenfreundin! -
Und aus der Jauchegrube des Sleaze erhebt sich dieser schmuddelige brasilianische Schlüpferstürmer, der sich italienische (S)-Exploitation a la LA SETTIMA DONNA oder VACANZE PER UN MASSACRO zum Vorbild genommen hat.
In Südamerika nennt man diese Filme Pornochanchada; sind aber im Falle von VIOLENCE AND FLESH deckungsgleich mit ihren dirty sisters aus Europa; habe ich schon erwähnt, dass wir billige, zweideutige Wortspiele lieben? Auf alle Fälle wird in diesem Film des Brasilianers (mit Weißbier in der Ahnentafel?) Alfredo Sternheim die in schmutzigen Kreisen überaus beliebte Geschichte von den flüchtigen Verbrechern erzählt, die ein Haus gewaltsam in Beschlag nehmen und dann die Bewohner (in diesem Fall sogar auch einen männlichen) sexuell zu drangsalieren.
Doch bevor die Gangster mit ihren bissigen Hosenschlangen die WG stürmen, brennt kurz nach dem Vorspann (und einer Blitzlesbennummer nach unschlagbaren 0:01:45 Minuten uffm Display!) ein Auto ab. Man sollte meinen, dass man in Brasilien brennende Autos schon gesehen hat. Sogar welche in Filmen. Aber an dieser Vermutung kommen starke Zweifel auf, wenn man in Betracht zieht, mit welcher pathologischen Ausführlichkeit Sternheim Bilder von diesem den Flammentod sterbenden Vehikel zeigt.
A car in agony, in the Kiesgrube. Minutenlang. In verschiedenen Einstellungen. Aus wechselnden Blickwinkeln. Die Zeit, die dieses (ähem) Schauspiel in Anspruch nimmt, reicht dicke, um sich ein Bier aus dem Keller zu holen. Ja, man könnte in der Zeit sogar zum Getränkemarkt des Nachbarorts fahren und es dort holen oder es sich selbst brauen und würde trotzdem nichts verpassen.
Ein Auto im Flammenmeer. Das Motiv einer gefühlten halben Ewigkeit.
Zur Verdeutlichung: Während das eingangs erwähnte im Übrigen sehr softe gleichgeschlechtliche Petting mit einem bei Filmminute 0:02:20 zärtlich gehauchten "I love you!" schon wieder beendet war (und die Hose selbst bei geübten Pornochanchada-Guckern unverrichteter Dinge wieder geschlossen werden musste), verweilen wir beim brennenden Auto laut meinem DVD-Player von Minute 0:02:38 bis - Sage und schreibe! - Minute 0:05:20. Nein, die Scheibe hing nicht! Das ist wohl tatsächlich ein Fall fürs Guinessbuch der Rekorde; längste Einstellung eines brennenden Kraftfahrzeugs ... So lang, dass ich erst mal ein paar Stunden lüften musste, um diesen imaginären Brandgeruch wieder aus dem Wohnzimmer zu bekommen, während mein Mitgucker mit einer ernsten Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden musste ...
Doch alles hat ein Ende, so auch diese Szene und danach sagt am lesbischen Frühstückstisch eine der beiden Damen (Wir sahen sie schon; nur viel kürzer als das Feuer): "Mother said that every sin is punished by violence!"
Oh, oh! Mama ist nicht nur ekelhaft old fashioned und offenkundig erzkatholisch, sondern leider auch Prophetin. Die bösen Buben sind nämlich schon auf dem Weg und werden sich natürlich die WG der beiden Frauen als Unterschlupf aussuchen.
Und welch unglücklicher Zufall, dass ausgerechnet heute und ausgerechnet dort die Probe der Laientheatergruppe stattfindet. Wenn da nicht dieser "Sünden-auf-dem-Fuße-bestrafende-liebe"-Gott seine alttestamentarischen Klauen im Spiel hatte!
Aber natürlich nehmen die Herren Schwerverbrecher im Film und der Sleazehound davor zusätzliches -Pardon!- Frischfleisch gerne in Kauf. Und somit befinden sich ebenfalls in der Gewalt der Geiselnehmer: ein schwules Pärchen, die rassige Helena Ramos, ein Mann mit Pornoschnauzer, der aussieht wie der junge PORNO HOLOCAUST-Star Mark Shannon; ach, das hatten wir schon in der Inhaltsangabe? Also gut. Oder schlecht.
Denn was folgt sind die Routinen einer solchen Ausgangslage, die man als Schmuddelkundiger schon ungezählte Male in italienischen Sex- und Exploitationstreifen gesehen hat (Stichwort: HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS). Erzwungener Striptease, Vergewaltigungen. Und natürlich wird eine Geisel vom Stockholm-Syndrom ereilt und sie verliebt sich in den gemäßigten Gauner des Trios. Und der sieht auch noch am besten aus. Nun ja. Zumindest hat er noch fast alle Zähne im Mund und trägt nicht eine blaue Latzhose überm schmierigen Unterhemd wie es sein modebewußtloser Kumpane tut.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der einzige Anspruch, der in diesem Film zu finden ist, geht wohl vom Filmplakat zu Buñuels BELLE DE JOUR aus, welches man an einer Wand hängen sieht...hätte ich jetzt fast geschrieben. Aber weitgefehlt zwischen all dem schlüpfrigen Unsinn und sleazigen (aber non-hardcore) Sex, führen die Darsteller doch tatsächlich manche politische, gesellschaftskritische Diskussionen und nehmen sich untereinander ?ähem- philosophisch unter die Lupe. "There's a very strong reason why your mother died. She stopped suffering from her illness... and she was spared the suffering of seeing her son become a criminal..." Ja, ja, Freunde: Psychologiestudium, hier! Oder lernt man solche Analysen im Philosophiesemester? Wen juckt's?
VIOLENCE & FLESH zündelt, dräschelt, plagiert und wälzt sich nackig uffm Lotterbett; mit mal mehr, öfters weniger Unterhaltungswert; bis am Ende sogar das Melodram Einzug hält. Schüsse krachen. Protagonisten sinken ohne Einschusslöcher im Hemd, aber trotzdem sterbend in die Brandung. Eine brasilianische Tragödie. Fim.
Brasilianisches Rip-Off von... (Füge bitte hier deinen italienischen Lieblingssleazer über Verbrecher, die sexuell marodierend in ein Haus einfallen, ein). Es wärmt alles auf, was italienische Sexploitationgötter schon zuvor (und oft besser) auf die schlüpfrige Leinwand gebracht haben und bringt die wohl längste Einstellung eines brennenden Autos der Filmgeschichte.