OT: Nobody Walks
DRAMA: USA, 2012
Regie: Ry Russo-Young
Darsteller: John Krasinski, Olivia Thirlby, Jane Levy, Rosemarie DeWitt, Dylan McDermott
Die Psychotherapeutin Julie (Rosemarie DeWitt) lädt die New Yorker Künstlerin Martine (Olivia Thirlby) - die Freundin einer Freundin - zu sich nach L. A. ein. Julies Mann Peter (John Krasinski) ist Sound Designer und soll Martine bei der Vertonung eines Experimentalfilms helfen. Doch die junge Martine ist nicht nur sehr kreativ, sondern auch verdammt attraktiv ist und schnell kommen sie und Peter sich näher. Die Dinge verkomplizieren sich dadurch, dass Peters jüngerer Assistent David (Rhys Wakefield) sich ebenfalls für Martine interessiert, was wiederum Julies Tochter Martine Kolt (India Ennenga) missfällt, da diese schon länger für David schwärmt. Kolt wiederum ist das Objekt der Begierde ihres nerdigen Mitschülers Avi (Sam Lerner) und ihrem privaten Italienischlehrers Marcello (Emanuele Secci). Zu guter Letzt muss sich Julie bei ihrer Arbeit den Avancen ihres Patienten Billy (Justin Kirk) erwehren.
Die Inhaltsangabe macht es deutlich: der mit dem dämlichen deutschen Titel VERSUCHUNG: KANNST DU WIDERSTEHEN? geschlagene Film ist ein Drama, bei dem so ziemlich jeder Protagonist an einem anderem interessiert ist, der wiederum etwas von einem dritten will. Das wirkt in dieser Ballung reichlich überkonstruiert. Trotzdem bleibt das im Original schlicht NOBODY WALKS betitelte US-Independent-Drama reichlich unaufgeregt, um nicht zu sagen fast langweilig. Die Regisseurin Ry Russo-Young nimmt sich alle Zeit der Welt um die Handlung zu entwickeln. Zugleich bleiben die Charaktere erstaunlich blass. Wer ist diese Martine? Was ist sie für ein Mensch? Was treibt sie an? Fragen, auf die bis zum Schluss keine Antwort folgt.
NOBODY WALKS sagt nicht viel über seine Charaktere, aber so einiges über mangelnde Kommunikation. Ähnlich wie die gewaltigen L.A.-Panoramen SHORT CUTS oder MAGNOLIA im Großen, zeigt dieses bescheidenen Indie-Drama im Kleinen die Diskrepanz zwischen innerlich brodelnden Wünschen und einer möglichst makellos glatten Außenfassade in der Hauptstadt der westlichen Unterhaltungsindustrie. All diese Menschen sind so sehr damit beschäftigt möglichst perfekt den von ihnen erwarteten Rollen zu entsprechen, dass sie selbst kaum noch ihre wahren Wünsche spüren und auch nicht wissen, wie sie auf ein ehrliches, aber unverhofftes Interesse aus ihrer Umgebung reagieren sollen. Dabei macht der deutsche Titel VERSUCHUNG: KANNST DU WIDERSTEHEN? immerhin überdeutlich, dass im Zentrum der Erzählung ein erzkonservatives Herz schlägt. Alles was den Zusammenhalt der Kernfamilie gefährdet ist böse - auch wenn diese Kernfamilie bereits selbst ein Patchwork-Familie ist.
Von der gestalterischen Seite her gelingt es Ry Russo-Young in NOBODY WALKS durchaus einige Akzente zu setzen. Immer wieder zeigt die Kamera einzelne poetische Bilder wie sich im Wind wiegende Palmen oder bunte Lichtpunkte bei der Autofahrt in der Nacht. Dazu ertönt ein wunderschöner Dudeldidu-Pop-Score von Fall on Your Sword. Einen Kontrast zum sonnendurchfluteten Los Angeles bilden die schwarzweißen Bilder von Martines Film, welcher ausschließlich krabbelnde Käfer und Insekten zeigt. Wenn das Knacken von Hirschkäfern überlaut vertont wird, ergibt dies einen Hauch von BLUE VELVET. Ganz surreal wird es am Schluss, wenn sich in Martines Fantasie ihre Arbeit und ihr Liebesleben zu Bildern von um Brustwarzen herumkrabbelnde Ameisen zusammenfügen. Neu ist allerdings auch das nicht. Unheimliche Schwarzweißbilder mit krabbelnden Ameisen gab es bereits 1929 in EIN ANDALUSISCHER HUND.
Das amerikanische Indie-Drama NOBODY WALKS aka VERSUCHUNG: KANNST DU WIDERSTEHEN? plätschert die meiste Zeit über recht ereignisarm vor sich hin. So richtige Spannung kommt in dem überkonstruierten wilden Liebesreigen nie auf. Immerhin gibt es schöne Musik und vereinzelte interessante oder poetische Bildeinstellungen. Hm...