OT: Roma Violenta
POLIZIOTTESCO: Italien, 1975
Regie: Marino Girolami
Darsteller: Maurizio Merli, Ray Lovelock, Richard Conte, John Steiner, Luciano Rossi ua.
Kommissar Berti (im Original: Commissario Betti) ist ein ehrgeiziger Polizist, der für seinen Beruf lebt und beinahe rund um die Uhr im Dienst ist.
Bei seinem Chef und der Staatsanwaltschaft fällt er meist durch riskante Brachialaktionen negativ auf. Eines Tages wird Berti (wegen unnötig eingesetzter Gewalt) vom Dienst suspendiert.
In Ermangelung beruflicher Alternativen und anderer Interessen schließt er sich schon bald einer Bürgermiliz rund um den charismatischen Rechtsanwalt Sartori an und macht da weiter, wo er als Polizist aufgehört hat:
Verbrecher prügeln und anschließend der Polizei übergeben.
Nur hat er nicht bedacht, dass sein Tun ohne die gesetzliche Legitimation eines Polizeibeamten von der Unterwelt gar nicht gerne gesehen wird und die Bekämpfung des Verbrechens in eine persönliche Fehde ausartet, die alle in seinem Umfeld in Gefahr bringt...
"Verdammte, heilige Stadt" ist ein klassischer Poliziottesco mit einem einzelgängerischen Kommissar, skrupellosen Verbrechern und kontinuierlich über die Polizeiarbeit nörgelnder Zivilbevölkerung.
Maurizio Merli (alias Kommissar Berti) mimt wie in den meisten Poliziottesci, in denen er die Hauptrolle innehat, einen Superbullen ohne Privatleben, ohne Angst oder Skrupel.
Nie zweifelt er an der Richtigkeit seiner Vorgehensweise. Unbeirrbar setzt er sein individuelles Verständnis von Gerechtigkeit durch. Bertis Methoden kommen bei seinem Vorgesetzten und der Staatsanwaltschaft erwartungsgemäß nicht gut an. Wenn er zwielichte Gestalten unter fadenscheinigen Begründungen und ohne eindeutige Beweise festnimmt oder Informationen aus Delinquenten im wahrsten Sinne des Wortes herausprügelt, hält er sich nicht gerade an die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Ermittlungsarbeit.
Seine Suspendierung kommt für ihn überraschend und ist für den Kommissar vollkommen unverständlich. Nur, weil er im Anflug eines kleinen Blutrauschs ein paar Kugeln zu viel auf einen Bankräuber abgefeuert hat. Tot ist tot. Und immerhin war der Räuber ein fieser Bursche, der sogar unschuldige Passanten auf dem Gewissen hatte.
Hätte Berti statt des Revolvers das Gesetzbuch ziehen sollen? (Anmerkung: Die letzte Frage ist tatsächlich ein indirektes Zitat aus dem Film.)
Da kommt ihm das Angebot von Rechtsanwalt Sartori gerade recht und so nutzt er fortan jede Gelegenheit, kleinere und größere Schurken windelweich zu klopfen.
Merli schauspielert in der für ihn typischen, überengagierten, hektischen Art und Weise. Wer ein paar seiner Filme kennt, den sollte es nicht besonders überraschen, dass der gute Mann im realen Leben im Alter von 49 Jahren auf einem Tennisplatz einem Herzinfarkt erlegen ist.
Dennoch erkennt man in "Verdammte, heilige Stadt" einige leise Untertöne und auch die andeutungsweise emotionale Involviertheit des Kommissars in das Geschehen, die man bei anderen "Hau-drauf-Merli-Filmen" sonst wie die Stecknadel im Heuhaufen sucht.
Berti ist nicht nur mit vielen kleinen Ganoven auf "du und du", sondern zeigt auch mehrfach, dass ihn das Schicksal seiner Beamten oder das von zivilen Verbrechensopfern nicht kalt lässt. Im Gegenteil. Er lässt sich durch die miterlebte Gewalt seinerseits zu mehr Brutalität gegenüber den Verbrechern hinreißen, weshalb er schlussendlich auch seinen Job verliert. Und auch seine Vorgeschichte (der Bruder des Kommissars wurde von Gangstern erschossen) gibt einen Hinweis auf die Ursache seiner Radikalität.
Deutlich hebt Marino Girolami in seinem Film das Thema Gewaltspirale hervor. Gewalt, die mit Gewalt nicht zu bekämpfen ist, sondern sie lediglich noch schürt.
Merli in seiner besten Rolle. Nicht nur wegen dem Ansatz von Menschlichkeit, sondern auch weil er in seinem dunklen Mantel (im letzten Drittel des Films) verdammt cool aussieht.
Als er eine Gruppe von Bankräubern verfolgt, die einen seiner Männer angeschossen und eine Geisel genommen haben, dreht er vollends am Rad. Er entledigt sich seiner durch Schüsse demolierten Windschutzscheibe während der turbulenten Fahrt mit ein paar hektischen Fußtritten und rast, als ob alles in bester Ordnung wäre, weiter durch die verdammte, heilige Stadt.
Das muss man gesehen haben!
In den Nebenrollen dürfen wir uns über einige bekannte Gesichter freuen: der sympathische Ray Lovelock (ua. im sehenswerten Klassiker Die Banditen von Mailand oder in der Genre-Granate Der Berserker) als verdeckter Ermittler.
Richard Conte (auch klasse in: Shoot First, Die Later oder in Der Teufel führt Regie) in der Rolle des konservativen, etwas narzisstischen Rechtsanwalt Sartori und auch Parade-Bösewicht Luciano Rossi, der in gefühlt jedem dritten italienischen Bullenfilm einen Ganoven verkörpert, hat seinen großen Auftritt.
Ebenfalls zu sehen in einer kleinen Rolle: John Steiner (Salon Kitty, Tenebrae) als starker Widersacher von Kommissar Berti.
Maurizio Merli war in der Tat kein besonders großartiger Charakterdarsteller, faszinierte aber trotz seiner kaum wahrnehmbaren Mimik wie kaum ein anderer (außer vielleicht Henry Silva) durch sein Charisma und seine imposante Erscheinung.
Er verkörperte immer den härtesten aller Kommissare. Er war Commissario Ferro (Kommissar Eisen), der jedem Verdächtigen zuerst ein paar Mal ordentlich seine rechte Faust ins Gesicht oder andere Körperteile jagte, um den malträtierten Gaunern erst im Anschluss daran ein paar Fragen zu stellen (wenn er sie sich bis dahin nicht ohnehin schon selbst beantwortet hat.)
Der Schauspieler Maurizio Merli war auch wie kein anderer Darsteller im Poliziottesco-Genre mit Vorwürfen hinsichtlich einer faschistoiden und reaktionären Gesinnung konfrontiert.
Das war nicht nur seinem ernsthaften Fanatismus geschuldet, sondern lag in besonderem Maße an dem Umstand, dass diverse Regisseure keine Gelegenheit ausließen, sich über ihren Hauptdarsteller lustig zu machen.
Das, was sie humoristisch und absichtlich überzogen verstanden haben wollten, nahm der gute Maurizio nämlich immer sehr sehr ernst.
Generell verwundern mich aber die allgemeinen Faschismus-Vorwürfe gegenüber dem Genre allerdings immer wieder auf's Neue. Wenn man sich umfassend mit den Poliziottesci und den wichtigen Regisseuren dieser Art von Film auseinandersetzt, fällt nämlich Folgendes auf:
Inhaltlich kommt die "Gefahr" allzu oft aus dem politisch rechten Lager (siehe Das Syndikat) oder von korrupten Polizisten (wie in Der Teufel führt Regie), von einer militanten Gruppierung, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen möchte (L' uomo della strada fa giustizia), von Reichen, die der Polizei nicht vertrauen und ihren Schutz selbst organisieren. Oder von gelangweilten Söhnchen und Töchterchen reicher Eltern, denen es lediglich um den Kick des Verbotenen geht (vgl. thrill-kills, ua. thematisiert im knallharten Fango Bollente).
Selbstjustiz wird nicht glorifiziert oder gar als Alternative zur Judikatur angepriesen, sondern in einer recht nihilistischen Fasson, resultierend aus tiefer Verzweiflung und Aussichtslosigkeit eines vom Schicksal gebeutelten Menschen, dargestellt.
Rache erscheint als Verzweiflungstat, die nicht den erhofften Befreiungseffekt hat, sondern unweigerlich in Selbstzerstörung resultiert.
Einer der bedeutendsten Regisseure des Genres, Fernando di Leo (Milano Kaliber 9, I ragazzi del massacro), war politisch links und umso mehr verwundert (und wohl auch gekränkt, da er diesen Umstand in Interviews immer wieder auf's Neue thematisierte) über die Faschismus-Stigmatisierung der Presse.
Die Kritiker waren vielleicht manchmal etwas übereifrig bei der Interpretation vieler Poliziottesci.
Es gibt einige Filme, die gesellschaftspolitische Aspekte thematisieren, aber auch viele, die in erster Linie auf der Erfolgswelle des Genres mitschwimmen wollten und schlichtweg der trivialen Unterhaltung (ihr wisst schon: Spannung, Spaß, Action, ein bisschen Zeitvertreib eben) des Publikums dienen sollten.
Ich halte es für überzogen, jedem Actionfilm gleich eine eindeutige politische Motivation unterschieben zu wollen, ohne sich damit auseinanderzusetzen, wer der Regisseur ist und was er zu sagen hat.
Aber noch mal zurück zu Maurizio und warum man sich diesen Klassiker unbedingt ansehen sollte:
"Merli setzte allein durch die Verkörperung des rauhbeinigen Polizei-Einzelgängers Maßstäbe. Der aus gegenwärtiger Sicht politisch unkorrekte Stil, seine übertriebenen, schon comicartigen Charaktere, sowie der krude direkte Ton, faszinieren gerade heute ein Publikum, welches sich schon immer gern abseits gängiger Marktmechanismen wohl fühlte."
Karsten Thurau in "Der Terror führt Regie"
"Verdammte, heilige Stadt" ist ein Poliziottesco mit italienischem Charme, ultrabösen Buben und einem unvergleichlich fanatischen und kompromisslosen Kommissar, wie ihn nur Maurizio Merli verkörpern konnte.
Er verfügt aber auch über einen dem Thema angemessenen Ernst, verfeinert mit der nötigen Prise Humor, um gut zu unterhalten und verdient deshalb zu Recht einen ehrenwerten Platz in den Top Filmen des Poliziottesco-Genres.