OT: Paroxismus
EROTIK/MYSTERY: DE, GB, IT, 1969
Regie: Jesus Franco
Darsteller: James Darren, Klaus Kinski, Maria Rohm, Barbara McNair, Dennis Price
Der Jazzmusiker Jimmy Logan (James Darren) ist innerlich unausgeglichen und verwirrt. Er gräbt seine Trompete am Strand aus dem Sand, wo er sie selbst vergraben hatte. Doch jetzt kann er sich nicht mehr an den Grund erinnern. Und dann wird auch noch die Leiche einer Frau angespült, welche Jimmy sofort als die bildschöne Wanda Reed (Maria Rohm) wiedererkennt. Zuvor war er unfreiwillig Zeuge geworden, wie Wanda in einer Villa von drei dekadenten Gestalten ausgepeitscht, sexuell bedrängt und anschließend vom Hausherren (Klaus Kinski) aus Spaß erdolcht wurde. Jimmy reist zur Ablenkung zum Karneval nach Rio. Dort taucht auf einmal eine geheimnisvolle Doppelgängerin von Wanda auf, welche sich an ihren damaligen Peinigern zu rächen beginnt. War Wanda etwa doch nicht tot, ist sie gar als Rachegeist zurückgekehrt oder wird Jimmy jetzt ganz einfach endgültig verrückt?
Die Wahrscheinlichkeit, dass einen das erstmalige Betrachten von Jess Francos VENUS IN FURS aka PAROXISMUS ähnlich verwirrt wie den Trompeter Jimmy zurücklässt, ist relativ hoch. Zunächst einmal darf man den Streifen nicht mit dem ebenfalls im Jahre 1969 erschienen VENUS IN FURS von Massimo Dallamano verwechseln. Und dann sollte man auch nicht, wie z.B. ich, erwarten, dass sich Jess Francos Film zumindest wie der von Dallamano ebenfalls auf Leopold von Sacher Masochs Roman "Venus in Pelz" bezieht. Der Filmtitel wurde dem Regisseur von seinem damaligen amerikanischen Produzenten Harry Alan Towers sowieso nur aus reinen Vermarktungszwecken aufgedrängt.
Jess Franco selbst favorisierte den Titel BLACK ANGEL. Denn der Jazzmusiker Jimmy Logan hat im Film nicht nur eine Affaire mit der geheimnisvollen Doppelgängerin (?) von Wanda, sondern auch mit mit der Schwarzen Rita (Barbara McNair). Dies, sowie überhaupt die gesamte Figur des Jimmy Logan hat Franco nach eigener Aussage an den amerikanischen Jazztrompeter Chet Baker angelehnt. All diesem entgegen laufend sagt Franco aber auch, dass er ursprünglich die Geschichte eines schwarzen Jazzmusikers erzählen wollte, der eine Beziehung mit einer weißen Frau hatte, was jedoch ebenfalls den Widerwillen seines Produzenten erweckt hatte. Zugleich spielt eine schöne in einen Pelz gekleidete Frau in der Gestalt der Doppelgängerin/als Rachegeist zurückgekehrten/von Jimmy imaginierten Wanda doch eine sehr zentrale Rolle in VENUS IN FURS.
Und wer jetzt allmählich den Überblick zu verlieren meint, den kann ich damit trösten, dass mir genau dies als die richtige Geisteshaltung erscheint, um VENUS IN FURS wirklich zu "verstehen": Denn so wirklich zu verstehen gibt es hier meiner Ansicht nach recht wenig. Deshalb halte ich auch jede Suche nach der endgültigen und "richtigen" Deutung insbesondere des Endes für relativ sinnlos. Viel wichtiger erscheint mir dahingegen die Tatsache, dass sich dieser Film ebenso sehr, wenn noch nicht noch viel mehr, um das Thema "Jazz", als um die ebenso komplexe, wie letzten Endes doch sehr rudimentäre Handlung dreht:
VENUS IN FURS ist eine Jazz-Improvisation des Regisseurs und Jazzmusikers Jesus Franco. In diesem Film spielt nicht nur der Jazzmusiker Jimmy Logan die Hauptrolle (und bereits mit der ersten Einstellung die Jazztrompete). In diesem Film taucht auch immer wieder eine Jazzgruppe auf, die von dem realen Jazzmusiker Manfred Mann geleitet wird (der auch einen Teil der Filmmusik zu diesem Film komponiert hat) und in der Jess Franco selbst am Klavier sitzt und dabei zusieht, was die Menschen in seinem Film gerade so treiben. Dementsprechend liegt hier auch keine klassisch durchkomponierte Handlung vor, sondern eine freie Improvisation von Jess-Franco-Motiven, welche sich zwar durchaus zu einer stimmigen Gesamtheit zusammenfügen, bei der aber die einzelnen (Handlungs-)Elemente auch in einer anderen (zeitlichen) Ordnung stehen könnten.
Aber Jess Franco gibt sich auch nicht mit dem alleinigen wilden Durcheinanderwirbeln und neu Zusammensetzen von Bildmotiven, freien Assoziationen und Handlungsfetzen zufrieden. Denn zugleich suggeriert VENUS IN FURS immer wieder, das hier durchaus eine geheimnisvolle Logik wirkt, welche wir nur nicht zu Entschlüsseln in der Lage sind. Denn viel mehr, als von Sacher Masochs gleichnamigen Roman ist Jess Francos VENUS IN FURS von Alain Resnais Film LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1961) inspiriert, den er auch in einer Szene, als eine Gesellschaft plötzlich im Bild "einfriert" ganz explizit zitiert.
Und LETZTES JAHR IN MARIENBAD ist sicherlich bis heute das Paradebeispiel für einen Film, der uns eine schwer zu verstehende Logik vorgaukelt, die wir letzten Endes jedoch niemals vollkommen entschlüsseln können, da der Film ganz einfach auf verschiedenste Art gleichzeitig lesbar, aber niemals vollkommen zu entschlüsseln ist. Mit dieser Art von paradoxer Logik kann selbst ein David Lynch-Film, wie LOST HIGHWAY (1997) nicht ganz mithalten. VENUS IN FURS kann sogar als das "Missing Link" zwischen diesen beiden filmischen Meisterwerken beschrieben werden. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich David Lynch sehr direkt von diesem Film hat inspirieren lassen.
Mit David Lynchs Psycho-Noirs im allgemeinen und LOST HIGHWAY im besonderen verbindet VENUS IN FURS neben der Jazzmusik insbesondere auch die den gesamten Film bestimmende dunkle Erotik und eine Traumlogik, welche dann doch eine wesentlich größere Nähe zu den Werken Luis Buñuels, als zu der kalten paradoxen Logik von LETZTES JAHR IN MARIENBAD zeigt. Zugleich ist VENUS IN FURS aber auch ein sehr typischer Jess Franco-Film, der zwar extrem stilisiert, aber im Gegensatz zu Lynch keineswegs perfekt durchkomponiert ist: Nicht jedes Bild ist perfekt, einige sind gar leicht verwackelt und immer wieder wird wild herumgezoomt.
Überhaupt soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass VENUS IN FURS ein lupenreiner Arthouse-Streifen sei. Auch wenn dies neben NECRONOMICON aka SUCCUBUS der künstlerisch wahrscheinlich anspruchsvollste Jess Franco-Film ist: PAROXISMUS ist ebenso sehr ein Exploitationstreifen, wie ein Arthouse-Film: Denn Jess Franco durchbricht hier nicht nur jedwede konventionelle inhaltliche Stringenz, sondern schert sich auch einen Dreck um Genrezuweisungen und stilistische Kohärenz.
Wie gesagt: VENUS IN FURS funktioniert in erster Linie wie eine Jazz-Improvisation. Da werden nicht nur zeitliche Ebenen wild durcheinander geworfen, da werden auch mal zwischendurch wilde Farbfilter und Bildverzerrungen nur mäßig motiviert eingesetzt, wenn es dem Gesamteindruck zu Gute kommt und da tauchen plötzlich ebenso unmotiviert erscheinende Bildmotive auf, an denen nur sehr wenig schlüssig erscheint, die jedoch immer eine perfekte Synthese mit der jeweiligen Filmmusik bzw. der Musik im Film bilden. Und so wird VENUS IN FURS auch zu einer Annäherung von Jess Franco an das reine Kino, welches keine wirkliche Geschichte mehr braucht, sondern das uns alleine durch seine besondere Stimmung zu fesseln und durch eine perfekte Verbindung von Bild und Ton zu überwältigen vermag.
Jess Francos PAROXISMUS aka VENUS IN FURS ist eines der wenigen wirklichen Meisterwerke des spanischen Regie-Berserkers. Der Film verbindet mit großer Lässigkeit die Welten des Arthouse- und des Exploitation-Kinos. Dieser erotische Mystery-Thriller nimmt zu einem großen Stück spätere Meisterwerke von David Lynch um Jahrzehnte vorweg und nimmt sich dabei trotzdem zu keinem Zeitpunkt unnötig ernst. Denn in erster Linie ist dies ein Film mit einem Mann mit einer Trompete, der zwar keinen Plan hat, was um ihn herum wirklich geschieht, der sich hierdurch jedoch nicht seine Freude am Spielen und insbesondere auch am Improvisieren verderben lässt.