OT: Tulpa - Perdizioni mortali
GIALLO: Italien, 2012
Regie: Federico Zampaglione
Darsteller: Claudia Gerini, Michele Placido, Nuot Arquint, Laurence Belgrave
Die zwei Seiten der Lisa - tags tonangebend, nachts devot. Tags Managerin, nachts auf der Suche nach dem Kick. Das Doppelleben gerät aber aus den Fugen, als um sie herum Menschen sterben. Und zwar die, mit denen sie nachts zusammen war... Wer ist der geheimnisvolle Killer?
Man sieht schon: Einen Preis für Originalität kann TULPA ganz sicher nicht abräumen. Konsequenterweise könnte man TULPA jetzt einfach ignorieren. Aber da Sie, werter Leser, überhaupt diese Review gefunden haben, dann sind Sie sicher neugierig. Und neugierige Menschen haben einen Vorteil - sie lassen sich auf Unbekanntes ein.
Damit sind Sie vielen einen Schritt voraus. Eigentlich könnte man das auch von dem Publikum des FantasyFilmFests vermuten. Immerhin prasseln da auf den Zuschauer eine Woche lang höchst unterschiedliche Werke ein. Vom billigen Zombieschocker in der siebten Reinkarnation bis zum Neuschimpfwort Arthouse ist da alles vertreten.
Doch in den Reviews auf f3a.net reiht sich eine Enttäuschung an die nächste. "Jedes Jahr treffen wir uns wieder und hoffen aufs neue, dass die alten Meister Fulci, Argento oder Bava in Form eines neuen Genies auferstehen. Und jedes Mal hört man nicht ganz zu unrecht hinterher, dass man doch wieder ein wenig oder gar arg enttäuscht wurde". Und noch härter: "Der Giallo ist tot."
Der Giallo ist tot. Vergleicht man den Output von 2012 mit 1972, kann man das so unterschreiben. Dennoch hat das Genre seit 1972 eine ungemeine Steigerung seiner Wertschätzung erfahren. 1972 wurde auf das Werk von Fulci, Bava und Argento regelmäßig eingedroschen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn Gialli drehte in der 70er Jahren nahezu jeder verfügbare Regisseur. Ein flüchtiger Blick hier reicht, um sich von der Vielfalt zu überzeugen. Ein Urteil über den Giallo bleibt daher zwangsläufig etwas oberflächig, wenn man nur die Spitze des Eisbergs kennt.
Vor allem ist der Giallo ein süchtig machendes Genre. Daher ist man auch dann gebannt, wenn man nur eins der vielen durchschnittlichen Werke vor sich hat. TULPA reiht sich hier durchaus ein. Daher haben all die Nörgler recht - und zugleich wieder nicht. TULPA ist kein zweiter AMER. TULPA ist kein wiederauferstandener Argento. Er ist ein dreckiger, kleiner Bastard, der die Logik sehr bald über den Haufen wirft und sich in das Dunkle des Kinos wagt und unsere - naja - niederen Instinkte befriedigt.
"TULPA bietet in seiner Spieldauer von rund 80 Minuten denn auch sämtliche liebgewordenen Zutaten auf. Der schwarz-behandschuhte Killer ist eine besonders sadistische Schweinebacke im DEEP RED-Gedächtnisoutfit. Sex und nackte Tatsachen sind über die gesamte Laufzeit verteilt, besonders natürlich im ach so verruchten, titelgebenden Swingerclub" schreibt Lovecraft auf f3a.net. Die Zusammenfassung ist so knackig, dass ich sie hier einfach mal zitiere und sein sicher vorhandenes Einverständnis voraussetze.
Vor allem der im tiefsten SUSPIRA-Rot getauchte Schweinestall, den wir vornehmerweise ab sofort Etablissement nennen wollen, ist eine reine Kinophantasie, die mit einem realen Darkroom so gar nichts gemein hat. Da wird gekeucht und gestöhnt, als hätten sich Jess Franco und Dario Argento mal zu einer flotten Nummer verabredet. Untermalt wird das passenderweise von halluzinogenen Sitarklängen, und wenn sich dann in der Nummer auch noch ein Paul-Naschy-Verschnitt dazubumst, ist mein Glück perfekt.
Völlig neben der Rolle ist aber "der allwissende Guru/Barkeeper, bei dem man nach jedem prätentiös herausgewürgten Wort hofft, er sei eingeschlafen" (ebenda). In der Tat. So einen Schmierlappen hat man nicht alle Tage vor der Nase. Es ist ein Genuss, ihn bei der Wortfindung zuzusehen, ihm an den Lippen zu hängen und dabei innerlich bis 10 zu zählen. Unfassbar.
Da ist es dann auch nicht verwunderlich. dass der Spannungsaufbau von TULPA zwischenzeitlich einfach mal wegknickt. Es ist aber auch egal. Denn wie gesagt, einen Originalitätspreis strebt er ohnhehin nicht. Dadurch verbleibt Zeit, sich einfach mal zurückzulehnen und dem hübsch azusehenden Unfug entspannt zuzuschauen.
Wenn TULPA überhaupt einen Fehler hat, dann seine etwas zu überambitioniert besetzte Hauptdarstellerin. Claudia Gerini gibt sich als gestandene Frau verzweifelt Mühe, dem Film etwas Realismus zu geben, was dieser gar nicht braucht. Und beide - Film als auch Darstellerin - scheitern hieran.
Wer eine filmische Großtat wie AMER erwartet, wird enttäuscht. Wer aber den Niederungen des Giallo ebenso folgt wie seinen Glanztaten, wird verzückt feststellen, dass sein heiß ersehntes Gift auch heute noch gedealt wird. Ignoriert die Schmährufe. Free your Tulpa. Der Giallo ist tot. Es lebe der Giallo.