SATIRE: F/GB/USA, 2022
Regie: Ruben Östlund
Darsteller: Woody Harrelson, Harris Dickinson, Charlbi Dean, Zlatko Buric, Oliver Ford, Iris Berben
Das freundliche Waffenhersteller-Ehepaar, der joviale russische Düngemittel-Milliardär, der schüchterne IT-Visionär und das Model/Influencer-Paar haben sich schön gemacht, die Diamantringe angesteckt, die ersten Champagnergläser geleert. Auch der marxistische Captain (Woody Harrelson) hat endlich seinen Rausch ausgeschlafen. Das Kapitänsdinner kann beginnen. Doch leider zieht ein Sturmtief auf, die Luxusjacht schwankt bedrohlich, und die betuchten Gäste haben alle Mühe, die erlesenen Gaumenfreuden im Gaumen zu behalten. Als dann die Bordtoiletten vor den Naturgewalten kapitulieren, ist die Kacke sprichwörtlich am Dampfen. Und das ist erst der Anfang.
Vielleicht war ja die Grippeimpfung, die ich mir an diesem Tag geholt habe, Schuld daran, dass ich TRIANGLE OF SADNESS, den diesjährigen Cannes-Gewinner, etwas ermüdend fand. Vielleicht war es auch die Überlänge. Das letzte Filmdrittel, das einfach nicht enden will.
Doch der Reihe nach: TRIANGLE OF SADNESS ist natürlich ein ziemlich guter Film. Eine grelle Gesellschaftssatire über die Dekadenz der Superreichen und die hohle Oberflächenwelt der Model/Influencer-Szene. So liest man es allerorts. Dass der Regisseur nicht gerade die feine Klinge, sondern vielmehr die Abrissbirne als Satire-Werkzeug gewählt halt, wird vielerorts erwähnt, meist sogar lobend.
Und das passt auch: Mir taugt es ja, wenn ein Arthouse-Film auf Spektakelkino macht, sich, wie man auf gut Österreichisch sagt, nix scheißt (im Wortsinne!) und die eindrucksvollsten Kotzfontänen seit MONTY PYTHONS DER SINN DES LEBENS auf sein arrogantes, steuerhinterziehendes, kleptokratisches Figurenkarussel ergießt.
Das Problem ist nur, dass DER SINN DES LEBENS die intelligenteren Fragen gestellt hat. Die - wenn man das so nennen will - "Kapitalismuskritik" in TRIANGLE OF SADNESS ist von einer derartig plakativen Holzhammerigkeit, dass es fast schon ärgerlich wird. Breaking News: Superreiche zahlen keine Steuern, sind weltfremd und haben keine Manieren. Nicht bös sein, aber US-Filme wie THE BIG SHORT oder DON'T LOOK UP bieten diesbezüglich mehr Substanz und Erkenntnisgewinn.
Das nächste Problem: Fast jedes Motiv in diesem Film hat man anderswo schon besser oder lustiger gesehen. Superreiche in Seenot? - Die unübertroffene "Gloria"-Sequenz in THE WOLF OF WALL STREET. Die absurde Welt der männlichen Models? Hallo ZOOLANDER! Macht(missbrauch) durch eine Frau auf einer einsamen Insel: THE BEACH.
Das hört sich jetzt vielleicht schlimmer an als es ist. Tatsächlich fährt der schwedische Regisseur Ruben Östlund (FORCE MAJEURE, 2014) mit beachtlichen Schauwerten auf und versteht es, Szenen unbarmherzig eskalieren zu lassen, bis es fast schon weh tut.
Und in Interviews sagt er ziemlich kluge Dinge über das Verhältnis zu seinen Figuren. Frage: "Verstehen Sie sich als Moralist?" - "Moralisten sind Typen, die anderen immer erklären, was sie falsch machen. Ich zeige nicht gerne mit dem Finger auf andere, ich zeige lieber auf mich selbst. Mit sämtlichen schlechten Eigenschaften und Fehlern meiner Figuren kann ich mich identifizieren. Bei einer Lawine hätte ich wohl auch feige meine Familie verlassen. Als Museumschef hätte ich skrupellos meine Macht missbraucht. Und ich verstehe, wie die alte Frau im Rettungsboot ihre Position gnadenlos für Sex mit einem hübschen Model ausnutzt. Nein, ich bin also kein Moralist."
(Ruben Östlund im aktuellen RAY-Filmmagazin)
Machtverhältnisse, die berühmte "toxische Männlichkeit" und die Ökonomisierung von Beziehungen sind wiederkehrende Themen in den Filmen von Ruben Östlund. Doch wird es besser, wenn die Machtverhältnisse umgedreht werden? Wenn einmal der sprichwörtliche "Kleine Mann" bzw. in diesem Fall die kleine Frau die Macht hat? Ganz und gar nicht. Das ist die bittere Schlusspointe von TRIANGLE OF SADNESS, die ich jetzt beinahe gespoilert hätte.
Richtig bitter ist das Schicksal der südafrikanischen Schauspielerin Charlbi Dean, die im September 2022 mit nur 32 Jahren unerwartet verstorben ist.
Auf hoher See mit Ruben Östlund: Der gefeierte Regisseur von FORCE MAJEURE und THE SQUARE versenkt eine Luxusjacht und lässt die superreichen Kreuzfahrtgäste auf einer einsamen Insel stranden. Gesellschaftssatire, brachial, aber mit Längen. Die Goldene Palme von Cannes gab's wohl für die eindrucksvollsten Kotzfontänen seit Monty Python's The Meaning of Life.