SURREALER EROTIKTHRILLER/KOMÖDIE: B/F, 1967
Regie: Alain Robbe-Grillet
Darsteller: Jean-Louis-Trintignant, Marie-France Pisier, Nadine Verdier
Ein Schriftsteller (Alain Robbe-Grillet), seine Frau (Catherine Robbe-Grillet) und ein Filmproduzent besteigen den Trans-Europ-Express von Paris nach Antwerpen. Der Produzent schlägt vor einen Film zu machen, der in diesem Zug spielt. Und so fangen sie gemeinsam an eine Geschichte um Drogenschmuggel, einen Auftragskiller, eine Prostituierte und BDSM-Spiele zu entwickeln. Gleichzeitig erscheint der Hauptprotagonist Elias (Jean-Louis Trintignant) in dem Zug, in dem die drei gerade über seine Geschichte diskutieren und diese fortwährend umschreiben...
"Trans Europ Express (TEE, häufig falsch als Trans-Europa-Express bezeichnet) war ein Standard für Schnellzüge, die von 1957 bis 1987 zwischen den Staaten der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) sowie der Schweiz verkehrten. Züge dieses Standards führten ausschließlich Wagen der ersten Klasse. Abgelöst wurde dieser Standard durch den EuroCity." (Wikipedia)
Auch wenn heute viele den TEE sicherlich nicht mehr kennen, seinen Weg in die Europäische Kunstgeschichte hat sich dieser Schnellzug auf jeden Fall gebahnt. Die Gruppe Kraftwerk hat ihn besungen und sogar ein ganzes Album nach ihm benannt und auch der französische Schriftsteller und Regisseur Alain Robbe-Grillet (LA BELLE CAPTIVE, Drehbuch zu LETZTES JAHR IN MARIENBAD) hat seinen zweiten Film nach ihm benannt. Leider ist der Film TRANS-EUROP-EXPRESS heute im Gegensatz zu dem Kraftwerk-Song weitestgehend in Vergessenheit geraten und bisher nur in Italien auf DVD erschienen.
Verdient hat er dies auf keinen Fall, denn wie bereits die Inhaltsangabe mehr als erahnen lässt, handelt es sich bei TRANS-EUROP-EXPRESS um einen für seine Entstehungszeit (1967) absolut revolutionären und vollkommen durchgeknallten Arthousefilm. Vergleiche zu den ähnlich verspulten Drehbüchern eines Charlie Kaufman (BEING JOHN MALKOVICH, 1999) drängen sich unweigerlich auf. Aber den direktesten Bezug sehe ich zu Marc Forsters (2006) STRANGER THAN FICTION, der ja auch extrem Kaufman-like ist.
Doch während sich SCHRÄGER ALS FIKTION darum dreht, dass das Leben einer Person vollkommen determiniert zu sein scheint, da sie tatsächlich der lebendige Protagonist eines Romans ist, dreht TRANS-EUROP-EXPRESS diese Grundidee (schlappe 40 Jahre früher...) mal so eben auf links. Hier ist gar nichts vorgegeben, die Geschichte wird laufend umgeschrieben und sogar die Identität des Protagonisten Elias (Jean-Louis Trintignant), als auch die wichtiger Nebenfiguren wie Eva (Marie-France Pisier) ändert sich am laufenden Band.
Eva ist auch der zentrale Blickpunkt des Films und wird immer wieder in atemberaubenden ikonischen Schwarzweißbildern eingefangen, wie ich sie zuvor eigentlich nur aus den Filmen Jean-Luc Godards kannte. Da passt es, dass der Kameramann Willy Kurant ein Jahr zuvor auch Godards MASCULINE-FEMININE (1966) ins Bild gesetzt hatte. Doch während die Frauen bei Godard meist eher wie unschuldige Püppchen wirken, so haben wir es in TRANS-EUROP-EXPRESS oft mit für die damalige Zeit äußerst anrüchigen Bondage- und SM-Darstellungen zu tun, welche jedoch immer nur angedeutet und hoch-ästhetisch umgesetzt sind.
Das Thema BDSM taucht im Werk Alain Robbe-Grillets durchgehend mehr oder weniger direkt auf. Sehr direkt erscheint es allerdings in dem Roman "L´Image", welchen eine gewisse Jean de Berg geschrieben hat, und der von Radley Metzger als THE IMAGE (THE PUNISHMENT OF ANNE, 1975) verfilmt wurde. Nun, hinter dem Pseudonym "Jean de Berg" verbirgt sich niemand anderes, als eine gewisse Catherine Robbe-Grillet, ihres Zeichens die lebenslange Frau des Regisseurs von TRANS-EUROP-EXPRESS. Da verwundert es natürlich recht wenig, dass wenn die beiden zusammen in einem Film auftauchen, der davon handelt, dass sie einen Film schreiben, der zufälligerweise auch der Film ist in dem sie...
Ähm, ... wie dem auch sei, jedenfalls zeigt eine der ersten Szenen von TRANS-EUROP-EXPRESS, wie Elias in einem Zeitschriftenladen heimlich ein Bondage-Magazin mitgehen lässt. Da ist es natürlich reine Ehrensache, dass unser Protagonist seine Fantasien anschließend mit der Prostituierten seiner Wahl in die Realität (des Films der sein Leben ist) umzusetzen versucht und diese dieses Spiel selbstverständlich nur allzu gerne mitspielt. Doch aus dem Spiel wart Ernst. Oder doch nicht? So genau kann man dies alles nicht wissen, in einem Film der gerade immer weiter umgeschrieben wird, während Mann oder Frau ihn gerade guckt...
TRANS-EUROP-EXPRESS ist ein kleiner Low-Budget Film in Schwarzweiß, der bereits über 40 Jahre auf dem Buckel hat. Und auch, wenn man dem Film seine geringen Mittel durchaus ansieht, so sprüht dieses kleine, fast vergessene Meisterwerk doch vor Charme, Fantasie und Ästhetik. Mit seinem erst zweiten eigenen Film beweist der Drehbuchautor von LETZTES JAHR IN MARIENBAD, dass man mit genügend Kreativität eine selbst noch heute richtungsweisende surreale Erotik-Thriller-Komödie praktisch aus dem Nichts hervorzaubern kann.