TRAGIKOMÖDIE: D, 2015
Regie: Maren Ade
Darsteller: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Radu Banzaru, Anna Maria Bergold
Und plötzlich steht dieser Freak vor ihr: Schiefe Perücke am Kopf, Austin Powers-Gedächtnisgebiss im Mund, ein Furzkissen unterm Arm. Ines kennt den Freak nur zu gut. Es ist ihr Vater, der sich als Motivationstrainer Toni Erdmann ausgibt und offensichtlich vorhat, seine Tochter an ihrem Arbeitsplatz bis auf die Knochen zu blamieren. Oder will er die ausgebrannte Frau vielmehr vor sich selbst retten?
WTF? Hat sich Peter Simonischek für den Villacher Fasching schön gemacht? Das war mein erster Gedanke beim Erstkontakt mit dem Trailer dieses irre gehypten, mit Jubelkritiken sonder Zahl überhäuften Films. Holzhammer-Humor jenseits der Peinlichkeits-Grenze oder Dadaismus made in Germany, das ist hier die Frage, auf die ich bis jetzt keine gescheite Antwort weiß. Aber vielleicht ist das einfach die falsche Frage.
Um einen Facebook-Freund, nennen wir ihn Christian, zu zitieren: "Ich hätte mir Toni Erdmann ohne Toni Erdmann gewünscht." Ja, die vielgerühmten, angeblich so virtuosen, berührenden, wahrhaftigen, zum Heulen traurigen und zum Brüllen komischen (ich zitiere hier aus FB-Diskussionen) Szenen mit Peter Simonischek in der Freak-Verkleidung haben mich weitgehend kaltgelassen. Natürlich sind die Witze schlecht. Das ist nicht das Problem, sondern die Pointe. Aber dazu später mehr.
Wirklich virtuos an diesem Film fand ich lediglich die erste Hälfte, in der die eiskalte Business-Welt, in der sich seine Tochter bewegt, messerscharf seziert wird. Hier reiht sich TONI ERDMANN ein in die lange Linie von so unterschiedlichen Kapitalismus-Abrechnungsfilmen wie zuletzt etwa THE MARGIN CALL, MASTER OF THE UNIVERSE oder KILL YOUR FRIENDS, wo die Hölle der postkapitalistischen Arbeitswelt als beklemmendes Kammerspiel, als eisiges Büro-Drama inszeniert wird.
Den immensen Druck, der auf ihr lastet, lädt die junge Consulterin Ines (Sandra Hüller aus REQUIEM) auf ihre Untergebenen ab, indem sie antrainierte Führungskräfte-Floskeln und NLP-geschulte körpersprachliche Unterwerfungsgesten einsetzt. Und den allgegenwärtigen Sexismus, mit dem sie in der männerdominierten Business-Welt konfrontiert ist, kompensiert sie, indem sie ihren Freund - oder ist es nur ein Arbeitsfuckbuddy? - sexuell demütigt. In einer bemerkenswert bizarren Szene übrigens, die mir bis auf Weiteres den Appetit auf Petit Fours verdorben hat.
Die zweite Hälfte der mit 160 Minuten etwas größenwahnsinnig dimensionierten Laufzeit gestaltete sich für mich eher schwierig. So sehr man Regisseurin Maren Ade (ALLE ANDEREN) für ihre künstlerische Vision Respekt zollen muss, so sehr man den Mut zum Humor jenseits von Peinlichkeits- und Schmerzgrenzen bewundern muss, so wenig konnte ich mich mit dem forcierten Aktionismus der zweiten Filmhälfte anfreunden.
Vielleicht liege ich ja mit meiner Interpretation vollkommen daneben: Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, nennen wir sie die Whitney Houston-Nummer, für die es in Cannes bekanntlich Szenenapplaus gab, die angeblich - ich zitiere wieder aus Facebook-Diskussionen - das Publikum zu Tränen gerührt haben soll. Vielleicht bin ich ja einfach nur ein besonders abgebrühter alter Zyniker. Aber diese - schauspielerisch zweifellos großartige - Performance wirkte auf mich ein wenig wie eine Mutprobe aus einem neoliberalen Selbstoptimierungs-Seminar, wo es allerlei absurde Aufgaben zu bewältigen und Prüfungen zu bestehen gilt: Kollektives Eier färben (kreative Entfaltung?), Gesangsauftritt vor wildfremdem Publikum (Selbsterfahrung durch Selbstüberwindung?), Nacktparty (Was auch immer ...).
Andererseits scheint gerade in der Nacktparty ein Hauch von Lars von Triers'schem Humor durch, mit dem ich in einem deutschen Film nicht unbedingt gerechnet hätte. Und das Erfreulichste: Genau so wie seine Hauptfigur pfeift auch TONI ERDMANN (der Film) auf jegliche Konventionen. Ich hatte ja befürchtet, dass Peter Simonischek in seiner kauzigen Verkleidung filmförderungsgremienkonforme Warmherzigkeit in die nüchtern-brutale Hölle des Consulting-Business bringen wird, wo sich dann alle mit Tränen in den Augen umarmen und einander vergeben, das gewinnbringende Outsourcing-Projekt abblasen, die Jobs der armen Hackler-Teufel retten und alle bessere Menschen werden. Happy End.
Aber nein: Es gibt keine Läuterung, keinen Ausbruch, keine Katharsis, keine Wiederherstellung eines verlogenen Familienidylls, kein berechnendes Happy-End, das einen glücklich und zufrieden aus dem Kinosaal tänzeln lässt. Nur einen großartigen Cure-Song im Abspann, der die Stimmung dieses Films sehr schön widerspiegelt.
Don't believe the Hype: Die von Kritikern frenetisch bejubelte deutsche Tragikomödie TONI ERDMANN erweist sich als schwieriger High-Concept-Arthouse-Film. Wirklich überzeugt hat mich nur, wie die Regisseurin in der ersten Filmhälfte die eiskalte neoliberale Business-Welt seziert. Den forcierten Aktionismus der zweiten Filmhälfte empfand ich eher anstrengend, irre gute Schauspieler-Leistungen hin oder her.
Trotz allem ein Pflichtfilm, allein schon um mitreden zu können.