OT: Dom za vesanje
DRAMA: YU, 1989
Regie: Emir Kusturica
Darsteller: Davor Dujmovic, Bora Todorovic, Ljubica Adzovic
Er wollte nur das Brautgeld für seine Geliebte verdienen. Und die Spitalsbehandlung seiner Schwester bezahlen. Also schließt sich der Zigeunerjunge Perhan einer Bande an, die vielfältigen kriminellen Aktivitäten nachgeht. Weil er schlauer und gerissener ist als seine Kollegen, steigt er rasch auf und wird zum einflussreichen Gangsterboss, der Macht und Reichtum genießt. Doch die Glückssträhne währt nicht lange
KRITIK:Es ist ja wirklich eine Schande, dass dieser 20 Jahre alte Film von Emir Kusturica, den das amerikanische Time Magazin seinerzeit als "Zigeuner-Variante des Paten" bezeichnet hat, erst jetzt fürs Heimkino erscheint.
Emir Kusturica, der selbst aus einer muslimisch-serbischen Familie aus Sarajewo stammt, versteht seinen Film als Liebeserklärung an die Kultur der Zigeuner - der politisch unkorrekte Begriff wird hier bewusst verwendet. Zugegeben: Sollten Vertreter gewisser rechtskonservativ bewegter politischer Vereine dieses Balkan-Gangster-Epos - um nichts anderes handelt es sich - zufällig in den Player bekommen, bekämen sie alle ihre Vorurteile in 137 Minuten Laufzeit aus Trefflichste bestätigt: Organisierte Bettelei, Schmuggel, Wohnungseinbrüche, Raub, Zuhälterei, Prostitution, Babyhandel. Oh Gott oh Gott, schnell die Fremdengesetze verschärfen
Kusturica wollte indes nichts beschönigen. Er liebt seine Roma. Während der Dreharbeiten zog er mit ihnen ein Jahr lang durch die Provinzen des damals noch existenten Vielvölkerstaates Jugoslawien, studierte ihre Gebräuche, ihre kulturellen Eigenheiten, ihren Stolz, ihr Elend, ihre durchaus auch kriminelle Intelligenz, ihre Lebenslust, ihren Überlebenswillen. Er feiert sie, wie Der Spiegel so schön schrieb, als "Anarchisten ihres eigenen Untergangs".
Ein sehr filmisches Thema, für das Kusturica stets die richtigen Bilder findet. Sein poetischer Realismus gebärdet sich hier zwar noch etwas schaumgebremster als in den völlig überdrehten Nachfolgefilmen UNDERGROUND oder BLACK CAT, WHITE CAT. Nichtsdestotrotz ist TIME OF THE GYPSIES ein wuchtiger, kraftvoller Film, der in eine ebenso archaische wie exotische Parallelwelt entführt, meilenweit entfernt von schönfärblerischem Ethnokitsch oder gar spröder Sozialporno-Tristesse.
Kritikpunkte: Mit 137 Minuten ein Eck zu lang. Und ja, einer wie Scorsese oder Coppola hätte dem blutigen Rache-Showdown mehr Gewicht gegeben. Aber man kann nicht alles haben.
Fassen wir also zusammen: Kusturicas TIME OF THE GYPSIES ist ein poetisches Drama, ein archaisches Gangstermelodram, eine tragikomische Reise in die Vorstellungswelt einer Kultur, in der Mythen, Geschichten, Realität und Traum ineinander verschwimmen. Regie-Preis in Cannes 1989!