HORROR: CAN, 2015
Regie: Robert Eggers
Darsteller: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw
Neuengland, im Jahr 1630: Vater William hat sich mit der Kirche überworfen und wird aus der Siedlung verbannt. Die siebenköpfige Familie zieht in eine Farm in der Wildnis. Die Ernte verfault auf den Feldern, Hunger und Angst machen sich breit. Das jüngste Kind, ein Baby noch, verschwindet. Und Gott, den man mehr fürchtet, als dass man an ihn glaubt, ist keine Hilfe gegen die titelgebende Hexe.
"Soul-shaking" -
"Terrifying" -
"Unforgettable" -
"Disturbing" -
"Will make your blood run cold" -
"One of the most genuinly unnerving horror films in recent memory"
Ich muss ja zugeben, dass ich vor THE WITCH ziemlichen Schiss hatte. Nicht wegen der amerikanischen Pressestimmen. Die kann man - wie so oft - getrost unter Hype verbuchen. Von vertrauenswürdiger Quelle wurde mir vorab aber tatsächlich Erschreckendes berichtet: Dass THE VVITCH wirklich - und ich meine: wirklich an den Nerven zerre. Die Rede war von durchaus abgebrühten Männern, die nach diesem Film Mühe hatten, Schlaf zu finden. Film-bedingte Schlafstörungen, so etwas hatte ich seit RING nicht mehr erlebt. Und Insomnia-ferngesteuert Montag morgens ins Büro wanken, das geht nicht mehr, in der Hölle der spätkapitalistischen Arbeitswelt von 2016.
Die Hölle. Davon ist viel die Rede in diesem Film. Die Hölle, das ist das karge Land, auf dem der Mais verfault. Die Hölle, das ist dieser Wald, dessen Finsternis dich förmlich verschluckt. Die Hölle, das ist die Aussicht, hier draußen zu verhungern. Die Hölle, das ist dein Vater, der nichts kann außer beten und Holz hacken. Die Hölle, das ist deine erwachende Sexualität, die niemals ausgelebt werden kann. Die Hölle, das ist der religiöse Wahn, der von deiner Familie Besitz ergriffen hat. Die Hölle, das ist die Angst. Vor der Hölle. Organisierte Religionen an sich sind die Hölle.
THE VVITCH will kein Horrorfilm sein, sondern eine "Volkssage aus Neuengland". Wenn's wahr ist, basiert der Film auf Gerichts-Dokumenten von Hexen-Prozessen aus dem 17. Jahrhundert. Was eigentlich nicht mehr bedeuten sollte als: Abergläubischer, unaufgeklärter Unfug.
Film ist aber bekanntlich keine aufgeklärte Kunstform. Fragen Sie Jess Franco, Lars von Trier oder Alfred Hitchcock nach ihrem Frauenbild. Fragen Sie Charles Heston oder Sam Peckinpah, was sie von einem Waffenverbot halten. Fragen Sie Clint Eastwood nach seiner Meinung über Obama. Fragen Sie Mel Gibson nach der Trennung von Staat und Kirche. Und fragen Sie, was William Friedkin bewogen haben könnte, einem echten Exorzismus-Ritus beizuwohnen. Sie werden sich wundern.
Wie jeder Horrorfilm, der Urängste weckt - und das tut er wohl - siehe die amerikanischen Pressestimmen - geht auch THE VVITCH von der Prämisse aus, dass jenseitige, übernatürliche Kräfte existieren. Einen kurzen Vorgeschmack, wozu diese Kräfte in der Lage sind, bekommen wir schon in den ersten Minuten - und auch im Trailer - präsentiert. Die Szene, in der das Baby verschwindet - und was dann mit ihm geschieht, gibt die Richtung vor: Verstörung als Kunstform.
Erstaunlicherweise verzichtet der Film nahezu vollständig auf alle üblichen Produkt-Features des zeitgenössischen Horrorkinos: Keine Jump-Scares, kein CGI, keine hysterische Wackelkamera, kein ach-so überraschender Plot-Twist, den man eh schon kilometerweit riechen kann. Was nicht heißt, dass der Film nicht bis zum Ende völlig unberechenbar bliebe. Ein Ende übrigens - das ist kein Spoiler - das ich durchaus als "Happy End" einstufen würde. Ich hab ja die ganze Zeit befürchtet, dass hier irgendwann so ein wild gewordener Mistgabel-Lynchmob auftauchen würde, um einen Scheiterhaufen anzuzünden. Aber das passiert nicht.
Die Inszenierung mutet fast genau so altmodisch an wie die Kostüme aus dem 16. Jahrhundert, in die die Körper der Darsteller gepfercht wurden. Seine Wirkung zieht der Film aus den märchenhaften Bildern, der unheimlichen, diffusen Lichtsetzung, dem nervenzerfetzenden atonalen Streicher-Score und der beklemmenden Ausweglosigkeit des Settings. Das Grauen schleicht sich sehr, sehr langsam an. Anscheinend zu langsam für viele Zuseher, die dem Film in den USA zwar ein sattes Einspielergebnis, aber auch schlechte Bewertungen vermachten. (Sinnlose Ratings - mein Lieblingsthema ;-)
Tatsächlich habe aber auch ich mich mittendrin gefragt, was mehr an meinen Nerven zerrt: Die unbestreitbar unheimliche Atmosphäre oder doch das nervtötende Gefrömmel und die Gebets-Marathons dieser religiösen Fanatiker.
Der schwer gehypte Indie-Horror-Hit THE WITCH beeindruckt mit fast schon klassizistisch eleganten Bildern (und Albrecht Dürer-Referenzen). Die verstörende, beängstigende Tiefenwirkung, die dem Film allerorts unterstellt wird, hat sich bei mir aber nicht eingestellt. Oder anders ausgedrückt: Um den Schlaf hat mich die Hexe nicht gebracht. Ein Wahnsinnsfilm im Wortsinne ist es aber immer noch, wenn auch stimmungsmäßig näher an den heidnischen Nackttanzpartys eines WICKER MAN als am kalten katholischen Grauen des EXORZIST.