SATIRE/HORROR: USA/F, 2024
Regie: Coralie Fargeat
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid,
Elisabeth Sparkle (Demi Moore) hat alles erreicht: Eine Designerwohnung in L.A., einen Stern am Hollywood-Boulevard und sogar einen Oscar. Doch seit einigen Jahren hat ihre Karriere empfindliche Rostschäden angesetzt. Der Tiefpunkt ist erreicht, als sie vom ekelpaketigen TV-Boss Harvey (Dennis Quaid) aus ihrer Fitness-Show geworfen wird. Eine jüngere Nachfolgerin wird gesucht. Da kommt ein mysteriöses Angebot gerade recht: Eine Injektion einer ominösen Droge verspricht per Zellteilung (!) eine "bessere Version von einem selbst". Elisabeth injiziert sich die Substanz - und aus dem Körper der alternden Diva Elisabeth kriecht die wunderschöne, topfitte Mittzwanzigerin Sue (Margaret Qualley). Doch niemand hat sie über Risiken und Nebenwirkungen informiert ...
... und dass diese Nebenwirkungen einigermaßen drastisch ausfallen, hat sich wohl schon herumgesprochen. "Too much is not enough" heißt es in einem Song der von mir hochgeschätzten britischen Band Suede - und das bringt das Motto dieses Films ziemlich gut auf den Punkt.
Ja, es ist alles ein bisserl "too much" in THE SUBSTANCE: Die grellen, mit diversen Filtern auf Hochglanz getrimmten Bilder. Der völlig überdrehte Tonfall, der keinen Platz für Subtilitäten lässt. Die weirden Splattereffekte, die nach dem schönen Motto "immer-noch-eins-drauflegen" immer weiter eskalieren. Und nicht zuletzt auch die Laufzeit: 140 Minuten Reizüberflutung ohne Atempause, das muss man erst einmal verdauen.
Eine der interessantesten Entwicklungen im Kino der letzten Jahre ist ja, dass die visuell avanciertesten, mutigsten und radikalsten/transgressivsten Leinwand-Exzesse von Frauen gedreht wurden. Wir denken jetzt natürlich an TITANE von Julia Ducournau, an HOLIDAY von Isabella Eklöf, an VIOLATION von Dusty Mancinelli, aber auch an zugänglichere Werke wie SALTBURN von Emerald Fennell oder - jetzt noch im Kino und bitte nicht zu versäumen: BLINK TWICE von Zoë Kravitz.
Auch bei THE SUBSTANCE saß eine Frau am Regiestuhl: Die französische Regisseurin Coralie Fargeat, die schon mit dem hyper-gewalttätigen Rape-and-Revenge-Reißer REVENGE (Nomen est Omen) unter Beweis gestellt hatte, dass sie keine Kontroverse scheut. Für Kontroversen wird wohl auch THE SUBSTANCE sorgen, wobei böse, nicht gerade originelle Zungen im Netz meinen, dass "STYLE OVER SUBSTANCE" der treffendere Titel gewesen werde.
Dieser Meinung schließe ich mich selbstverständlich nicht an. Im Gegenteil: Natürlich hat der Film eine Message, die er dem Publikum mit maximaler Plakativität und Wucht in die Netzhaut prügelt. Es geht um Sexismus, um Beauty- und Jugendwahn, um Vergänglichkeit, körperlichen Verfall, Deformation und Tod. Die klassischen Bodyhorror-Themen eben, verpackt in eine grelle Satire, die die ästhetischen Mittel der Werbebranche mit David Cronenberg kreuzt.
Coralie Fargeat ist natürlich ein großer Genrefilm-Fan und spickt ihr Werk mit Hommagen an Gott und die Welt: Die blutroten Gänge im TV-Studio sehen aus wie direkt aus dem Overlook Hotel in THE SHINING übernommen, die grünlich schimmernde Substanz ist wohl ein Wink an RE-ANIMATOR, das abgedunkelte Badezimmer, wo der Körper von Demi Moore im Koma vor sich hindämmert, erinnert an den mysteriösen schwarzen Ort in UNDER THE SKIN, und beim blutfontänengetränkten Finale lässt gar Peter Jacksons BRAINDEAD schön grüßen. Laut IMBb soll der Film übrigens ein inoffizielles Remake von REJUVENATOR (1987) sein, von dem ich zu meiner Schande gestehen muss, ihn nur vom Namen zu kennen.
Wir müssen unbedingt noch über die furchtlosen Darstellerinnen sprechen: Demi Moore und Margaret Qualley möchte man umarmen für den Mut, sich hier zu entgrenzen und völlig nackt zu zeigen (ob mit oder ohne Body-Double, weiß ich nicht. Ist auch egal). Ja, ja, "Male Gaze", hör ich manche jetzt empört rufen. Der ist hier freilich satirisch gebrochen bzw. völlig ins Absurd-Groteske übersteigert.
Ja, THE SUBSTANCE ist ein Film, der einen noch überraschen kann. Der überraschendste Aspekt war aber, dass fast nur Frauen im Kinosaal saßen - das habe ich seit TWILIGHT nicht mehr erlebt. :-)
Aber das ist keine Teenie-Romanze, sondern eine überdrehte Splatter-Satire, die zumindest den Autor dieser Zeilen das eine oder andere Mal knapp an seine persönliche Schmerzgrenze gebracht hat. Ja, lacht mich ruhig aus, aber es gibt zwei Dinge, die ich auch als halbwegs abgebrühter alter Splatter-Veteran ganz schlecht aushalte: abbrechende Zähne und abbrechende Fingernägel. Als ob die Regisseurin das gewusst hätte, bringt sie beides direkt hintereinander. Ein leiwander Film, wie wir in Wien sagen, ein arger Film, aber auch ein etwas ermüdender Film. Too much von allem halt.
Aus dem Körper von Demi Moore kriecht Margaret Qualley. Der Körpertausch hat aber Nebenwirkungen mit erhöhtem Blut(fontänen)verbrauch. Love it or hate it: Die französische Body-Horror-Expertin Coralie Fargeat (REVENGE) lässt die plakativste, überdrehteste und grellste Splatter-Groteske der jüngeren Filmgeschichte auf die Multiplexe los.