OT: L'étrange couleur des larmes de ton corps
NEO-GIALLO: B/F/L, 2013
Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani
Darsteller: Klaus Tange, Ursula Bedena, Joe Koener
Die Geschichte ist simpel. Ein Mann kehrt nach Hause zurück, aber seine Frau ist verschwunden. Die Tür ist von innen verschlossen. Er macht sich auf die Suche...
... und damit endet der erzählbare Teil der Geschichte. Denn alles, was nun folgt, ist einziges, ewig dauerndes Spiel mit Versatzstücken und Puzzleteilen, mit Formen und Farben, mit inhaltlichen und formalen Anspielungen an den Giallo der 70er Jahre.
Schon der Titel ist scheinbar ein Anagram. Muss man die Worte vertauschen? Ergeben sie dann mehr Sinn? Oder überhaupt einen? Muss man sie umdrehen? Damit wie im Film aus einer 7 in Wirklichkeit ein L wird?
Noch viel deutlicher aber als schon in AMER geht es nicht darum, irgendetwas verstehen zu wollen, sondern es geht darum, etwas zu sehen. Hélène Cattet und Bruno Forzani lassen ihren Helden in ein wahres Labyrinth eintreten, aus dem es kein Heraus mehr gibt. Dazu zerlegen sie nicht bloß eine Geschichte in ihre Einzelteile, sie zerhacken sie mit einer Brutalität, die ihresgleichen im Kino sucht.
Die wenigen Storyelemente, die greifbar bleiben, helfen nicht weiter. Vielmehr verwirren sie: Sind der Mann, der seine Frau sucht, und der Polizist ein und dieselbe Person? Sind alle Figuren überhaupt nur Schnappschüsse des Ehepaares zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten? Erinnerungen und Visionen, die sich für einen Augenblick berühren?
Offensichtlich gab es einen Mord. Dieser Mord wiederholt sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten. Ist es nur ein Mord? Ist es eine Serie? Jede Orientierungsmöglichkeit fehlt. Jeder Anker verliert sich im Nichts. Oder übersieht man die Hinweise nur beim ersten Mal, weil es zu viele Puzzleteile sind? Ist die Suche gar keine Suche, sondern nur eine Matroschka, die immer wieder ein neues Rätsel präsentiert, sobald man eins glaubt gelöst zu haben?
Zu Beginn der Suche öffnet sich eine Tür. Doch die Tür öffnet sich ewig, ohne sich zu öffnen. Mit jedem Schnitt entfernt sich die Kamera von der Tür. Während der Mann hereintritt, treten wir heraus. Dennoch ist es eine der letzten, zusammenhängenden Szenen.
Danach nutzen Cattet und Forzani das ganze Kaleidoskop technischer Möglichkeiten. Harte Schnittfolgen von Großaufnahmen, Jumpcuts, psychedelische Muster, verschobene Achsen, extreme Lautstärkeunterschiede, Splitscreen, Positiv- und Negativaufnahmen und ein steter Wechsel von Schwarz-Weiß-Sequenzen zu farbigen beherrschen, ja strapazieren die Sinne, aber auch die Geduld des Zuschauers.
Denn bei Ihrer Experimentiererei gehen Cattet und Forzani bewusst an die Schmerzgrenze des Zuschauers. Und darüber hinaus. So entsteht im langen Mittelteil ein Gefühl der Teilnahmslosigkeit, der Kälte. Wir als Zuschauer empfinden bei den ewigen Wiederholungen der immer gleichen Versatzstücke irgendwann nichts mehr. Wir werden taub und gefühllos.
Diese Kälte lässt auch eine unbedingte Liebe zu der seltsamen Farbe nicht zu. Zumindest nicht bei der Erstsichtung. Man bewundert ihn mehr, als dass man ihn in sein Herz schließt. Aber die Bewunderung ist grenzenlos.
Die Suche nach der Frau ist die Suche nach einer Geschichte. Je mehr man versucht, sich ihr zu nähern, desto mehr verbirgt sie sich im Dunkeln. Welche Versatzstücke zusammenpassen, muss der Zuschauer selbst herausfinden. Oder er lässt sich auf ein Kino ein, dass eine Geschichte jenseits seiner Geschichte erzählt. Eine Tour de Force der filmischen Möglichkeiten bis an ihre Grenzen. Alles löst sich auf. Und doch ist alles da.