PSYCHOTHRILLER/HORROR: DK/F/USA, 2015
Regie: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Christina Hendricks, Abbey Lee, Keanu Reeves, Karl Glusman
Sie ist ein Model und sie sieht gut aus. Verdammt gut. Sie ist die Unschuld vom Lande. Ihre Heimat war Georgia, doch nun lebt Jesse in der Stadt der Engel, wo Freundschaften trügerisch sind und der Konkurrenzkampf mörderisch. Eine Gang von schönheitsbessenen Frauen will, was Jesse hat. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht ...
"Beauty isn't everything. It's the only thing."
Einen Film über Schönheit habe Nicolas Winding Refn drehen wollen, über die Abgründe des Beauty-Wahns, ist allerorts zu lesen. Es ist vor allem ein Film, der nur im Kino, und dort nur auf der größten Leinwand seine raumgreifende Wirkung entfalten kann. Ja, der letzte Film, der vergleichbar wirkungsvoll mit den räumlichen Möglichkeiten des Kinos gespielt hat, war UNDER THE SKIN. In NEON DEMON gibt es zu Beginn einen Moment, wo Jesse (Elle Fanning) von der Weißfläche einer Leinwand förmlich verschluckt wird, ähnlich wie die arglosen Männer, die in UNDER THE SKIN von Scarlett Johansson ins schwarze Nichts gelockt werden und dort verschwinden.
THE NEON DEMON ist sinnlich, schmerzhaft schön, jede Einstellung sexualisiert und gleichzeitig eisig kalt. Hallo emotionale Vergletscherung, vor der Haneke immer gewarnt hat, Refn feiert dich. THE NEON DEMON ist ein Rausch aus Bildern, satten Argento-Farben, treibenden Cliff Martinez-Sounds. Und gleichzeitig ist er eine Provokation in Sachen Langsamkeit und Handlungsverweigerung. Noch nie hat sich NWR (die Initialen des Regisseurs prangen für meinen Geschmack etwas zu selbstverliebt unter dem Filmtitel) so wenig für narrative Strukturen interessiert. Alles wird der visuellen Wirkung untergeordnet. Klar kann man jetzt mit dem "Style over Substance"-Totschlag-Argument kommen. Es ist auch durchaus legitim, dieses Werk glatt und klinisch zu finden, in seine eigene Oberflächlichkeit verliebt, ohne Emotionen dahinter, Film gewordene Konzeptkunst quasi.
Aber auch eingefleischte NWR-Hasser (deren Zahl nach der Film-Premiere in Anwesenheit des Regisseurs deutlich gewachsen ist, dazu gleich mehr) werden zugeben müssen, dass die Art und Weise, wie Refn die Leere und Kälte hinter glamourös-dekadenten Oberflächenwelten seziert, bis die Szenerie etwas entschieden Unheimliches, Morbides bekommt, schon verdammt geil ist.
Kurz zu den Darstellern: Elle Fanning trägt den Film quasi im Alleingang, unwirklich schön, verletzlich, naiv und irgendwie nicht von dieser Welt. Es ist überhaupt ein Frauenfilm, von einem Regisseur, der sich mit PUSHER, FEAR X, BRONSON, VALHALLA RISING, DRIVE und ONLY GOD FORGIVES bislang voll und ganz der Erforschung männlicher Abgründe verschrieben hat. Männer kommen hier nur als Randfiguren vor: Keanu Reeves gibt einen grantigen Motel-Besitzer, und Karl Glusman, der in Gaspar Noes 3D-Sexfilm LOVE so beeindruckend seinen Mann gestanden hatte, muss hier die Hosen anbehalten, was für einen gelungenen Scherz sorgt: "How old are you?" - "16" - "Uh, I think I left something on the oven."
Den kalkulierten nekrophilen Tabubruch, der ja Anno 2016 sowieso keiner ist - ich meine: hat jemand NEKROMANTIK gesehen? Oder, weniger bekannt: KISSED? - hat es gar nicht gebraucht. Zumindest in meiner kleinen Facebook-Blase wurde nach der Premiere kaum mehr über den Film diskutiert, als vielmehr über die ferndiagnostizierten Charakter-Defizite des Regisseurs, der sich beim Interview schwerster Verfehlungen wie Arroganz, Unfreundlichkeit und rüpelhaften Verhaltens schuldig gemacht haben soll. Böser Mann!
Aber wie sagt er selbst: "Creativity is about experiences and reactions. Not about being nice." Amen. Und danke an meine Begleitung fürs Mitschreiben/Twittern.
Wie mehr als einmal im Text angedeutet, polarisieren Film und Regisseur gleichermaßen. Der geschätzte Kollege Federico war bei weitem weniger begeistert als meine Wenigkeit.
Jesse will L.A.'s Next Top-Model sein und findet sich in der Hölle wieder. Nach DRIVE der zweite Film des unberechenbaren dänischen Auteurs Nicolas Winding Refn, der der Stadt der Engel ein Denkmal setzt. DRIVE 2 sollte man sich aber keineswegs erwarten. Sondern einen fast schon provokant langsamen, schmerzhaft schönen Film, der die Leere und Kälte hinter glamourös-dekadenten Oberflächenwelten seziert.
THE NEON DEMON startet am 23.6. regulär im Kino.