DYSTOPISCHE LOVESTORY: IRL, 2015
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Colin Farrell, Léa Seydoux, Rachel Weisz, Ben Whishaw, John C. Reilly
Die Stadt der Zukunft toleriert keine Singles. Einsame Herzen werden in ein Seminar-Hotel verbannt, um einen Partner zu finden. Sind sie nach 45 Tagen immer noch allein, werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Arthur (Colin Farrell mit Schautzer und Midlife-Crisis-Wampe) entscheidet sich für einen Hummer. Diese Tiere werden 100 Jahre alt und sind bis zum Schluss fortpflanzungsfähig. "Excellent choice", lobt die Hotel-Direktorin. Wird Arthur eine Partnerin finden? Oder wird er seine irdischen Tage fürderhin als Meerestier fristen?
Wer DOGTOOTH, Yorgos Lanthimos' gefeierten - ähm - Familienfilm noch in frischer Erinnerung hat, wird einige Deja-vus erleben: Wieder sind die Figuren Spielbälle in einem völlig absurden Szenario, das Franz Kafka oder Bunuel alle Ehre gemacht hätte.
Verstörenderweise wird die surreale Geschichte aber mit maximalem Realismus und voller Konsequenz durchgespielt. Das Hotelpersonal in THE LOBSTER ist freundlich und fürsorglich wie in jedem gehobenen Hotel. Man serviert die Brötchen, schenkt den Kaffee nach - und steckt die Hand des Hotelgastes, der beim verbotenen Masturbieren ertappt wurde, in den Toaster. Auf dass der arme Sünder nie wieder Hand an sich legt.
Dann lieber in den Wald zu den "Loners". Hier führt die stets ein bisschen unheimliche Lea Seydoux als fanatische Einsamkeits-Diktatorin ein striktes Regiment. Masturbation ist zwar erlaubt, doch jede Art von zwischenmenschlichem Kontakt wird mit drakonischen Folterstrafen geahndet.
Aber da wir uns in einem Liebesfilm befinden, darf man sich noch auf einige dramatische - und, ja, romantische Wendungen freuen. Dass die Liebe am Ende siegen wird, ist kein Spoiler - das WIE muss man aber gesehen haben, um es zu glauben.
DOGTOOTH war eine Spur radikaler und expliziter in seinen (echten) Sexszenen und den drastischen Gewaltausbrüchen. THE LOBSTER ist fast schon ein Date-Film dagegen. Wenn man so will, eine romantische Komödie für Menschen, die keine romantischen Komödien mögen.
Auf das gemächliche Erzähltempo muss man sich freilich einstellen. Es ist auch nicht so, dass der Film einen vor Spannung in den Kinosessel drücken würde. Dafür ist er doch zu sperrig, zu gewollt spröde, mehr absurdes Theater denn Liebes-Thriller (diese Genre-Schublade hab ich eben erfunden).
Filmisch ist THE LOBSTER schlicht bestechend. Mit dem 10-fachen Budget von DOGTOOTH, mit bis in die kleinsten Nebenrollen perfekt besetzten Schauspielern, mit brillianten, mit natürlichem Licht fotografierten Bildern (gedreht wurde in Colin Farrells irischer Heimat) schreit der Film förmlich nach der großen Leinwand.
Doch die Rechteinhaber entschieden sich in den meisten europäischen Ländern gegen einen Kinostart. Kommerziell möglicherweise sogar verständlich: Filme, provokative noch dazu, die sich zwischen alle Stühle setzen, die weder in die Kategorie "Mainstream" noch "Arthouse" fallen - als ob es nur "kommerzielle" Filme für die Massen und "wertvolle" Filme für die Cineasten-Ghettos gäbe - haben es schwer. Vielleicht ist das Publikums-Potential für einen Film wie THE LOBSTER mit zwei ausverkauften Viennale-Vorführungen tatsächlich ausgereizt. Was nicht gerade für das Publikum spricht. Ja, I'm looking at you, ihr ach-so kulturinteressierten innerstädtischen Bobos, die ihr für die Viennale extra Urlaub nehmt, aber das restliche Jahr nur noch Serien streamt und euren A**ch höchstens dann noch ins Kino bewegt, wenn ein neuer Tarantino anläuft.
Nein, das soll keine verbitterte Publikumsbeschimpfung werden. Nur ein Versuch meinerseits, frustrierende Verleih-Entscheidungen nachzuvollziehen.
Aber wie für Arthur, Colin Farrells verzweifelten Single-Mann in THE LOBSTER, gibt es auch für den Film selbst ein Happy End - zumindest in Österreich: Während THE LOBSTER in Deutschland mit der heruntergedummten Tagline "Hummer sind auch nur Menschen" direkt auf DVD verramscht wird, dürfen wir uns auf einen Kinostart freuen. Nach langen Verhandlungen wird THE LOBSTER exklusiv im Wiener Filmcasino zu sehen sein. Als einziges Kino im deutschen Sprachraum, bitteschön. Schauen Sie sich das an. Ab 10. Februar 2016.
Singles haben ein schweres Los im neuen Film von DOGTOOTH-Regisseur Yorgos Lanthimos. Entweder sie finden einen Partner, oder sie werden in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. THE LOBSTER ist eine Art romantische Komödie in einer dystopischen Zukunft, die die traurige Realität der Beziehungs-Unfähigkeitsgesellschaft unserer Tage ins Surreale übersteigert: Woody Allen auf bösen Drogen trifft Houellebecq und Kafka in einem Pickup-Seminarhotel aus der Hölle. Und Colin Farrell singt ein Nick Cave-Lied dazu.
In diesem Sinne: "We all dance by ourselves. That's why we listen to electronic music".
Als einziges Kino im deutschen Sprachraum zeigt das Wiener Filmcasino THE LOBSTER ab 10. Februar.