FAMILIENDRAMA/HORROR: GB/USA, 2017
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Nicole Kidman, Colin Farrell, Alicia Silverstone, Raffey Cassidy, Bill Camp
Der Herr Doktor hat alles, was man sich wünschen kann: Beruflichen Erfolg, ein riesiges Haus, eine glückliche Bilderbuchfamilie. Seine Arbeit befriedigt ihn so sehr, dass er sie gerne nach Hause mitnimmt, rollenspieltechnisch ins Ehebett nämlich. Was seine Frau aber nicht weiß: Der Halbgott in Weiß trifft sich regelmäßig heimlich mit einem 16-jährigen Jungen. Was wie eine verbotene homoerotische Beziehung aussieht, ist in Wahrheit etwas ganz anderes. Etwas, das das Familiengefüge unsanft erschüttern wird, so viel ist sicher ...
KILLING OF A SACRED DEER ist der zweite englischsprachige Film des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos, der 2009 mit dem provokativen Low Budget-Film DOGTOOTH beachtliches Aufsehen erregte und mit der dystopischen - ähm - Lovestory THE LOBSTER so etwas wie einen kleinen Arthouse-Blockbuster vorlegte.
Lanthimos ist ein Meister darin, die Zuseher so lange auf falsche Fährten zu locken, bis man sich in völlig absurden Szenarien wiederfindet, die einem mit größter Selbstverständlichkeit als "Normalität" verkauft werden. Und zwar glaubhaft. Am besten begegnet man seinem Kino möglichst unvorbereitet, dann schlägt die Verstörungskeule umso unerbittlicher zu.
THE KILLING OF A SACRED DEER beginnt, wie so viele amerikanische Familiendramen gerne beginnen: Mit größtmöglichem Realismus. Doch schon bald schleichen sich Momente der Verunsicherung in die scheinbar perfekte Welt des erfolgreichen Herzchirurgen Steven (Colin Farrell) ein. Und irgendwann ist es so weit: Atonal kreischende Streicher auf der Tonspur kündigen Drastisches an. Und unvermittelt finden wir uns in einem surrealen Albtraum wieder, der selbst hartgesottene Fans filmischer Grenzüberscheitungen um den Schlaf bringen dürfte.
Von der Handlung möchte ich nicht mehr verraten als: Erwarten Sie das Unerwartete. Wobei man festhalten muss, dass THE KILLING OF A SACRED DEER stets irgendwie auf dem Boden des Realismus bleibt - im Gegensatz etwa zu Darren Aronofskys nicht weniger verstörenden, aber entschieden abgefahreneren Mindfuck-Orgie Mother!
Wenn man Vergleiche ziehen möchte: Man stelle sich die eiskalte Erbarmungslosigkeit und formale Strenge des frühen Michael Haneke vor. Allerdings - und das ist der große Unterschied: In betörenden Bildern, nicht gewollt karg und reduziert wie die Arbeiten des Österreichers, sondern sinnlich und opulent wie der große David Lynch.
Und: Man sollte sich darauf einstellen, dass sich das Grauen - ja, wir haben es zweifellos mit einem Horrorfilm zu tun - langsam, sehr langsam anschleicht. Der schwarze Humor, der zu jedem Lanthimos-Film gehört, kommt nur noch in Spurenelementen vor und schafft dementsprechend nur kurzzeitig Erleichterung.
Zumindest ging es mir so. Meine Sitznachbarn im sehr gut gefüllten Filmcasino hingegen schienen sich blendend zu unterhalten: Ihr wisst schon, dieses selbstgerechte, akademisch-ironische Drübersteher-Lachen, mit dem man den anderen Zusehern signalisiert, was für ein saucooler Hund man doch ist, wenn man jede Leinwand-Tragödie zum Schieflachen findet. Das Grauen, das Grauen. In größtmöglicher Pracht und Schönheit auf der Leinwand, in nervtötender Penetranz in der Sitzreihe neben mir.
Herr Doktor, bitte einmal den Boden unter den Füßen wegziehen. Das neue Werk des ebenso experimentierfreudigen wie kompromisslosen griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos ist ein astreiner Horrorfilm. Colin Farrell und Nicole Kidman spielen um ihr Leben. Albträume garantiert.