OT: The Innkeepers
GRUSELFILM: USA, 2011
Regie: Ti West
Darsteller: Sara Paxton, Pat Healy, Allison Bartlett, Jake Ryan, Kelly McGillis
Unsere beiden Hauptfiguren sind zwei College-Dropouts die mal wieder kurz vor der Arbeitslosigkeit stehen. Denn das besagte Hotel, der Yankee Padler, in dem die beiden arbeiten, schließt in ein paar Tagen. Bankrott. Nicht dass dies schlimm wäre, die beiden suchen sich wahrscheinlich eine neue Aushilfsjob und viel zu tun gab's ohnehin nie. So viel, dass sich die beiden einen Spaß daraus gemacht haben, den Geist, der in dem Haus innewohnen soll, herauf zu beschwören. Doch der anfängliche Spaß gerät schnell aus den Fugen.
Ti West - der Name war mir doch irgendwie ein Begriff. Ach ja, er hat mit seinen Kollegen die vielversprechende aber fade Anthologie V/H/S ins Leben gerufen. Nicht gerade die besten Referenzen, zudem sein Part der Kurzfilmreihe noch am langweiligsten war. Doch seinem Langfilmwerk THE HOUSE OF THE DEVIL wird nachgesagt, dass er ziemlich gut sein soll. Old School. Die Empfehlung eines Arbeitskollegen mit stets ausgefallenen und schrägen Filmgeschmack (außer seinem Verständnis für den Totalausfall des dritten Nolan-Batmans) weckt die Neugierde zu THE INNKEEPERS. Also gut. Recherche. Und dann das.
Was für ein Wahnsinns-Poster! Worauf wartet ihr noch? Lauft los und holt euch diesen Film! Alles klar? Nein? Na dann:
A Ghost Story for the Minimum Wage.
Was für ein Film. Ich habe mich augenblicklich verliebt. Ein schöner Vorspann, stimmungsvolle Musik und ein überaus angenehmes Setting. Das Gruselhotel-Genre hat ja ein ganz eigenes Feeling: vom Klassiker THE SHINING bis zur modernen Spukgeschichte ZIMMER 1408 scheinen Hotels und deren Zimmer eine unheimliche Stimmung zu verbreiten. Lange Gänge, merkwürdige Gäste, Geistergeschichten. Zwillinge, Äxte, Zeitschleifen. Okay, letztere Beispiele mögen vielleicht nicht auf alle Hotels zutreffen, aber dennoch kann niemand bestreiten, dass zumindest altbackene Hotels im Landhausstil einen gewissen Flair haben. Man fühlt sich zwar wohl und alles riecht auch besonders gut, aber man weiß einfach, dass vor einigen Dekaden hier sicherlich jemand auf bestürzende Weise das Zeitliche gesegnet hat. Neckbreak-Hotel, wie Elvis schon sang. Und Moby, der ein ganzes Album seiner Liebe gegenüber Hotels gewidmet hat. Ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der keine kreischende Violine im Ohr hat, wenn er mit den Fingern die fleckige Tapete entlangfährt, sondern House.
Doch ich schweife ab.
A Long Weekend.
Ti Wests Film gliedert sich in drei Akte, wobei sich nur letzterer minimal vom üblichen Erzählfluss des Films unterscheidet. Dieser gestaltet sich nämlich ruhig und atmosphärisch, dialoglastig und wenig übernatürlich. Geister gibt es eigentlich nicht; das mag viele enttäuschen, doch gerade aufgrund dieser Tatsache funktioniert der Film auch so gut. Denn was Ti West, der auch das Drehbuch geschrieben hat, sehr gut kann, ist aus dem Nähkästchen plaudern, wenn es sich um tristen Alltagstrott und banale Aushilfsjobs dreht. CLERKS meets Haunted-House-Horror; nur einerseits weniger dirty talk und, tja, weniger Horror.
THE INNKEEPERS ist eigentlich Beobachtungskino. Beobachtungen der alltäglichen Art; Insider-Witze der Angestellten, Müllrausbring-Problematik, Langeweile, Internet-Pornographie, Frühlingsgefühle und Zukunftsangst. Lethargie. Banalität. Die Figuren sprechen eine frische, junge Sprache, der Film fährt so ganz nebenbei Themen auf, die sowohl diesseits als auch jenseits der 30er viele ansprechen wird. Dabei stützt er sich voll und ganz auf die Dynamik der unwiderstehlichen Hauptfiguren Claire und Luke. Sarah Paxton und Pat Healy machen ihre Aufgabe so gut, dass ich den Film mehrmals verzeihen (ja, sogar danken) würde, wäre er bei seiner Alltäglichkeit geblieben und hätte er auf seine Geisterstory einfach gepfiffen.
Nein, wirklich, die beiden sind toll. Mehr als das. Ohne diese Schauspieler wäre der Film nicht halb so gut. Schon lange habe ich kein - wie heißt es so schön - Leinwandpaar gesehen, das so gut zusammen miteinander harmoniert. Die Dialoge sind obendrein noch charmant, die Regie herausragend (entweder besitzen die beiden Hauptdarsteller einfach ein natürliches Talent oder Ti West weiß einfach exakt, was er von seinen Akteuren wollte) und die Figuren bis hin zu den Nebendarstellern perfekt, wirklich perfekt, besetzt. Eine besondere Erwähnung an dieser Stelle für die wunderbare Lena Dunham, die ihren viel zu kurzen Moment mit so viel Bravour abfertigt und uns mit jedem Satz aus ihrem Mund zeigt, wie famos sie nicht ist (Gott, bin ich froh, dass die junge Frau eine Serie geschrieben hat).
Madeline O'Malley
Dann ist THE INNKEEPERS auch noch erfrischend altes Erdzählkino. Er erzählt zwar keine aufregende Geschichte, doch das tut er spannend und atmosphärisch. Ich habe mich mich mehrmals in nostalgischer Schwelgerei gebettet gefühlt, als der Film in seinen beigen Farben, seiner klassischen Kamerafahrt und seinen mittlerweile ungewohnt pragmatischen Szeneaufbau die Schauergeschichte weiterspinnt. Hier scheint das Kino der späten 80er und der 90er durch, welches ich als Kind und Jugendlicher am Sonntagnachmittag erleben durfte. Es fühlt sich alles sehr vertraut an und erinnert - aus welchen absurden Gründen auch immer - an Kindheitsfilme wie JUMANJI, GHOSTBUSTERS, GREMLINS oder THE FRIGHTENERS. Nichts dass die genannten Filme auch nur annähernd mit der Story und dem Thema oder der Dramatik zu tun hätte, aber dennoch; das Flair, das Feeling, die Art wie Ti West seinen Film strickt - und ich höre mich ja wie ein alternder Nörgler an - so was sieht man heute nur noch selten. Das letzte Mal habe ich mich höchstens von SUPER 8 so gut verstanden gefühlt - bis auch dieser ins moderne mainstreamiges Sci-Fi Monsterkino verfiel.
Apropos THE FRIGHTENERS: so wie in Peter Jacksons Werk die Komik im Vordergrund steht und der Horror nebenbei und erst im Laufe des Films Einzug hält, so verhält es sich bei THE INNKEEPERS genau umgekehrt. Ti Wests Film ist stilistisch und ästhetisch jede Sekunde ein waschechter Gruselfilm - das Grauen lauert nun mal überall. Und so verfolgen wir Claire auf ihrer Suche nach dem Übernatürlichen und, ich schwöre, ich habe bei zwei Szenen wie ein Mädchen gekreischt. Verflixte Jump-Scares und man hat es auch noch so unglaublich offensichtlich kommen sehen, doch der Schreck kam dennoch so unerwartet und effektvoll, dass er mir noch Minuten später in den Knochen saß. Überhaupt hat der Film die Tendenz, seine Protagonisten und Zuseher böse zu erschrecken, jedoch bleibt er dabei stets ein Gentleman, ist nie aufdringlich und weiß ganz genau, wann er die Tür für den nächsten Effekt aufhalten muss. Von diesem Muster können sich so mancher Horrorfilm ein Stück abschneiden. Als Beispiel nehme man die kribbelnde EVP-Recording-Scene, die als Paradebeispiel an jeder Filmhochschule gezeigt werden sollte, wie ein Spannungsaufbau auszusehen hat. Ich bekomme Herzklopfen, alleine wenn ich an die Szene denke.
A Final Guest
Doch leider muss der Film die Zähne zusammenbeißen und jetzt endlich einen auf Ernst machen. Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Das funktioniert bis zu einem Zeitpunkt sehr gut, doch irgendwann fordert der spannende Aufbau seinen Tribut. Hier passt sicherlich das Sprichwort mit dem gekochtem Essen, welches nicht so heiß verzehrt wird, aber ich war mir nie sicher, was es wirklich damit aussagen will. Ich bin nicht gut mit Sprichwörtern. Das Finale von THE INNKEEPERS ist auf jeden Fall lange nicht so heiß wie die siedende Spannung, die sich während der eineinhalb Stunden beharrlich angesammelt hat. Viele werden enttäuscht sein, welchen Weg Ti West im Endeffekt geht, und ich war auch etwas frustriert, als der Film schlicht und ruhig zum Epilog schneidet, obwohl mir noch unzählige Momente auf meiner Liste fehlten, die ich von diesem bis dahin in jederlei Hinsicht überzeugendem Werk noch gern gesehen hätte. Doch THE INNKEEPERS verabschiedet sich nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimpernschlag. Auf den Blitz folgt die Stille.
Und je mehr ich darüber nachdenke, umso besser wird es. Klar, THE INKEEPERS hätte mehr Wirkung mit einem schockierendem Twist und es würde auch soooo gut passen und das Potential hängt so sehr in der Luft, dass man es förmlich greifen und verspeisen kann, doch stattdessen nimmt Ti West einen viel mutigeren Weg, den wahrscheinlich alle - und da bin ich mir ziemlich sicher: alle - als einfallslos und faul deklassieren werden.
Und trotz der vielen Möglichkeiten ist gerade dieses schlichte Ende, genau jenes, welches den Geist seiner Charaktere und das eigentliche Thema - life is hard and then you die - als Einziges rüberbringen konnte. Eine Obsession taucht nicht plötzlich auf, sondern breitet sich langsam aus und man wird alles daran setzen, sie zu stützen. Denn wenn dieser Schatten nichts weiter ist als ein Baumwipfel im Wind, so ist vielleicht der eigene Schatten seines Daseins nicht mehr als eine Illusion. Also muss dieser Moment etwas bedeuten. Wann, wenn nicht jetzt. Die Angst, die sich während des Filmes aufbaut ist nicht die Angst vor Geistern, sondern eine schleichende Panik, sein Leben zu verpassen. Den falschen Weg gewählt zu haben. In einem Sackgassenjob zu enden und den bis zu seinem Verfallsdatum auszureizen, nur um dann zum nächsten zu ziehen. Menschliche Beziehungen sind dabei so fragil, dass man sich wahrscheinlich nicht traut, das auszusprechen, was man empfindet und sich lieber einer Mär hingibt um das Allgegenwärtige zu verschieben. Auf morgen. Auf später. Immer auf später.
Epilogue
Ich überinterpretiere gern. Vielleicht ist THE INNKEEPERS doch nur eine übliche Gruselgeschichte mit obligatorischem Ausgang. Doch es ist irgendwie meine Gruselgeschichte. Ein Horrorfilm, der gar kein Horrorfilm ist, nicht im üblichen Sinne. Ein Film, der mich auf eine gewisse Art anspricht, wie es kein MARTYRS, kein RING und kein SCREAM bisher konnte. Irgendwo habe ich über PULSE gelesen, dass der Film eigentlich die Einsamkeit und den Existenzialismus einer entfremdeten Gesellschaft reflektiere. Dieser Aussage konnte ich zwar verstehen, sie aber nie wirklich unterschreiben. Unter Ti Wests Film jedoch habe ich hier meine Unterschrift gekritzelt.
Dies eine Geistergeschichte für eine ziellose Generation. Ein Schauermärchen für Verlorene. Ein Exempel an verlorenem Potential. Ein Manifest für die Vergessenen. A ghost story for the minimum wage.
Ein kurzes Wort zur DVD: das FSK 18 Siegel weckt allenfalls falsche Erwartungen und stimmt auch nicht mit der realen Freigabe des Films überein. Über diese abstruse Marketingstrategie einfach mal hinwegsehen.
Also: Ti Wests Film ist nostalgisch, klug und auf seine klassische Art sehr originell. Er weckt in Erinnerung, was Horrorfilme sein können und wie man sich gefühlt hat, als man zum ersten Mal solche Perlen vor Augen hatte. Der Film ist charmant, verdammt gruselig und viel klüger, als er wahrscheinlich rezipiert wird. Das Ende mag zunächst irritieren, doch wer sich hineinversetzt, wird seine Aussage erkennen. Oder auch nicht und über diese Wertung nur den Kopf schütteln.
PS: Wer unbedingt muss, der schaue sich den Trailer an. Allen anderen sei davon abgeraten. Wie immer.