HORROR: USA/Chile, 2013
Regie: Eli Roth
Darsteller: Lorenza Izzo, Ariel Levy, Sky Ferreira, Aaron Burns
Eine Gruppe amerikanischer Öko-Aktivisten reist an den Amazonas, um gegen die Abholzung des Regenwaldes zu protestieren und den Lebensraum der indigenen Bevölkerung zu schützen. Dumm nur, dass die Ureinwohner ihre Retter zum Fressen gern haben ...
Sechs Jahre sind ins Land gezogen seit Eli Roths letzter Regie-Arbeit HOSTEL 2, an der sich immer noch die Geister scheiden. Geburtsstunde eines fragwürdigen Sub-Genres - nennen wir es in Ermangelung besserer Begriffe eben Torture Porn - oder gnadenlose Kapitalismuskritik im Gewand eines Genre-Films, das ist hier die Frage. Während die Torture Porn-Welle mit Machwerken wie A SERBIAN FILM an einen Punkt getrieben wurde, von dem sie nicht mehr weiter weiß, fand Eli Roth in Lateinamerika neue Betätigungsfelder. Zusammen mit dem jungen chilenischen Multitalent Nicolás López entstand AFTERSHOCK, der in guter alter Exploitation-Manier die Erdbeben-Katastrophe in Chile für einen bluttriefenden und unterhaltsamen Direct-to-DVD-Exzess - nun ja - ausschlachtete.
Das nächste Projekt von Roths Chile-Connection löste ungläubiges Staunen aus: Nichts weniger als eine Re-Animation des klassischen Menschenfresser-Films, der die Bahnhofskinos der Seventies mit pädagogisch eher wenig wertvollen Werken wie CANNIBAL HOLOCAUST beglückte, wurde da angekündigt.
Mit dem grünen Inferno machten uns die harten Jungs und Mädels des /slash-Festivals ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk. Nach Festival-Einsätzen in Toronto, Rom und Sitges feierte der Film hier seine Premiere im deutschsprachigen Raum. It's a Cannibal Christmas! Himmelhohe Erwartungshaltung also an diesem vorweihnachtlichen Winterabend im ausverkauften Wiener Filmcasino. Das Licht geht aus, und nach einer ganzen Reihe an unbekannten Produktionsfirmen-Logos flimmern die Titel-Credits mit so einem lässigen Predator-artigen Morphing-Effekt über die Leinwand, hinterlegt mit Luftaufnahmen des Amazonas-Dschungels. So stimmig, so CANNIBAL HOLOCAUST.
Doch bevor das Inferno losbricht, wollen erst einmal die Charaktere eingeführt werden. Wir befinden uns in einem studentischen Lokal irgendwo in New York City: Zwischen Fair-Trade-Bio-Cafe Latte, Che-T-Shirts und iPhones wird angeregt die Ausbeutung der Dritten Welt im Allgemeinen und die Vernichtung des Lebensraums einer indigenen Volksgruppe durch skrupellose Konzerne im Speziellen diskutiert. Den Diskussionen folgen Taten, und ein paar Drehbuchseiten später sitzen die jungen Öko-Aktivisten schon im Flugzeug nach Peru, ausgerüstet lediglich mit Smartphones, mit denen sie ihre minutiös geplante Sabotageaktion gegen Rodungs-Trupps live ins Internet zu streamen trachten. Die Moral und die öffentliche Meinung wissen sie auf ihrer Seite. Die Stimmung ist entsprechend ausgelassen und erinnert mehr an einen Festival-Besuch denn an eine riskante Direkte Aktion.
Da beweist Eli Roth erstaunliches Geschick, wenn es darum geht, Spannung zu erzeugen: Die Sabotageaktion, mit der die digital vernetzten Ökos schwerbewaffnete paramilitärische Security-Typen austricksen, ist dynamisches Spannungskino in Perfektion.
Erwartungsgemäß geht alles schief. Und ein paar graphisch durchaus explizite Sequenzen später finden sich unsere zahlenmäßig bereits empfindlich dezimierten Freunde in den Händen eines Eingeborenen-Stammes wieder. Dankbarkeit dürfen sich die jungen Menschen allerdings keine erwarten, ganz im Gegenteil ...
Ein Kannibalenfilm ist bekanntlich keine Kinderjausen. Trotzdem verblüfft der Härtegrad, den Roth und seine Freunde hier vom Stapel lassen. Würden die alten italienischen Saubartln (was macht Ruggero Deodato eigentlich heute?) these days erneut in den Urwald aufbrechen, das Ergebnis würde wohl so aussehen wie THE GREEN INFERNO: Irrwitzig blutig, aber (glücklicherweise) ohne Tier-Snuff. Aber auch ohne nackte Haut.
Moment, ein Kannibalenklopper ohne Nudity, das ist wie Schweinebraten ohne Kruste, wandte einer meiner Facebook-Freunde, nennen wir ihn Dieter, berechtigterweise ein. Schon wahr: Augen in Close-Up ausstechen und Menschen bei lebendigem Leibe mit Macheten zerhacken, alles kein Problem. Aber Nacktheit, puh, das gibt Probleme mit der Jugendfreigabe. Immerhin wurde die böse Nudity auf höchst kreative und amüsante Weise verhüllt, so dass auch wirklich kein armer amerikanischer College-Boy ein Nippel-Trauma erleiden wird.
Was den Filmgenuss leider ein wenig trübt, ist der ultra-cheap wirkende Digitalvideo-Look. Wie viel heller und prächtiger würde dieser räudige, sämtliche Geschmacksgrenzen und Gürtellinien mit Genuss unterschreitende Film-Spaß erst auf 35 Millimeter erstrahlen? Ja, THE GREEN INFERNO ist letztlich ein brutaler ironischer Spaß. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt die (verzichtbaren) Durchfall-Jokes, sondern die tatsächlich ziemlich bösartigen satirischen Giftpfeile, die Roth genüsslich in alle erdenklichen Richtungen abschießt: Naive linke Weltverbesserer und skrupellose rechte Corporate Assholes, geschont wird hier tatsächlich niemand. Am besten kommen lustigerweise noch die Kannibalen selbst weg: Die wirken eigentlich sehr zufrieden und harmonisch in ihrer lokalen Folklore - im Gegensatz zu diesen real existierenden Kannibalen - aber das ist eine andere Geschichte ...
Willkommen im wirklichen Dschungelcamp: Ich wage jetzt die Prognose, dass Eli Roths saubrutales, genüsslich in die Weichteile der Political Correctness tretendes neues Werk THE GREEN INFERNO als gelungener Versuch, den klassischen Kannibalenfilm zu re-animieren, in die Filmgeschichte eingehen wird. Sollte ich irren, packt mich in ein Flugzeug und werft mich über dem peruanischen Amazonas-Gebiet ab!
Zwei Jahre nach seiner Festival-Premiere, nach diversen Ankündigungen und Verschiebungen ist THE GREEN INFERNO nun endlich am 3.3.2016 als Director's Cut bei Constantin Film auf DVD/Blu-ray erschienen.