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The Girl with All the Gifts

The Girl with All the Gifts

HORROR: GB, 2016
Regie: Colm McCarthy
Darsteller: Sennia Nanua, Paddy Considine, Glenn Close, Gemma Arterton

STORY:

In einer Militärbasis versuchen Wissenschaftler eine Impfung gegen eine tödliche Pilz-Infektion zu finden, die Menschen in Hungries verwandelt. Die Zeit drängt, denn die Untoten sind drauf und dran, die Basis zu überrennen. Einer kleinen Gruppe gelingt die Flucht in die Wälder. Mit dabei: Ein Mädchen namens Melanie, das mit dem Pilz in einer Art Symbiose lebt und von den Untoten nicht angegriffen wird ...

KRITIK:

Zeitzeugen werden sich erinnern: In den späten Siebzigern rollte die erste Zombiefilm-Welle durch die Kinos und infizierte wenige Jahre später auch den boomenden Videomarkt. Die "Schmutz- und Schundkassetten" (Zitat Der Spiegel) bescherten Jugendschützern, Psychologen, Staatsanwälten und Politikern schlaflose Nächte. Es lohnt sich wirklich, diese Spiegel-Titelgeschichte aus dem Jahr 1985 zu lesen. 

30 Jahre später haben die untoten Gesellen mit der ungesunden Gesichtsfarbe sämtliche Bereiche der Gegenwartskultur überrannt. Selbst vor Kinderliteratur macht der Zombie-Virus nicht halt, wie ich kürzlich durchaus überrascht feststellen durfte.

Wenn sich die Untoten einmal im kindlichen Bücherregal eingenistet haben, ist die Zeit wohl reif für die nächste Evolutionsstufe: Kinder-Zombies im Kino. Als Kinderfilm würde ich THE GIRL WITH ALL THE GIFTS aber nicht unbedingt sehen - trotz der 14-jährigen Schauspielerin Sennia Nanua, die das Zombie-Mädchen Melanie so zart und eindringlich spielt, als hätten wir es nicht mit einem Genrefilm, sondern einem sensiblen Coming of Age-Drama zu tun.

Dabei könnte schon der Einstieg verstörender nicht sein: Ein Kind wacht in einer Zelle auf. Es trägt orangefarbenes Schlabber-Zeug, Guantanamo-Look. Das Getrampel von Soldatenstiefel hallt durch die niedrigen Gänge und verliert sich im Sirenenlärm. Türen werden aufgerissen, Waffen entsichert. "Friggin' abominations" - "Dreckige Missgeburten" brüllen die Soldaten. "Aufwachen!" Die Kinder werden an Stühlen festgeschnallt und in einen Unterrichtsraum geführt. Rasch wird klar, dass diese Kinder etwas Besonderes sind und der Unterricht zu Forschungszwecken abgehalten wird. Es gilt, ein Mittel gegen die Zombie-Epidemie zu finden, die Millionen Tote gefordert hat.

Viel mehr sollte von der Geschichte nicht verraten werden. THE GIRL WITH ALL THE GIFTS basiert auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autors Mike Carey, der auch das Drehbuch schrieb. Wobei böse Zungen vermuten könnten, dass bereits der Roman mit Hinblick auf eine mögliche Verfilmung denkbar drehbuchgerecht angelegt wurde. Wie auch immer. Fakt ist jedenfalls, dass die Story viele Standard-Situationen des Genres gekonnt umschifft und für echte Überraschungen sorgt.

Mit vier Millionen britischer Pfund vergleichsweise schmal budgetiert, wirkt diese Produktion deutlich teurer, als sie tatsächlich ist. Die morbiden Luftaufnahmen Londons nach der Zombie-Apokalypse wurden mit einer Drohne über der ukrainische Geisterstadt Prypjat nahe Tschernobyl gefilmt. Aber auch am Boden haben sich die Set-Designer ins Zeug gelegt: Autowracks säumen die verlassenen Straßen, Moos überwuchert die Glaspaläste, und - dieses Bild wird man so schnell nicht vergessen - aus halbverwesten Zombiekörpern sprießt neues Leben.

Ach ja, die Zombies, oder Hungries, wie sie hier heißen, zeigen sich bewegungstechnisch sehr flexibel: Den rasenden Sprint-Modus in 28 Days-Later-Manier beherrschen sie genauso wie das bedächtige Wanken und Schlurfen im klassischen Fulci-Stil. Ausgezeichneter Film.

The Girl with All the Gifts Bild 1
The Girl with All the Gifts Bild 2
The Girl with All the Gifts Bild 3
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FAZIT:

Stell dir vor, es ist Zombie-Apokalypse und du bist der mögliche Schlüssel zum Überleben der Menschheit. So geht es dem titelgebenden GIRL WITH ALL THE GIFTS. Aus Großbritannien erreicht uns dieser spannende, keineswegs alltägliche Genrefilm, der fulcieske Zombies und eine nicht unverstörende Coming of Age-Geschichte unter einen Hut bringt.

WERTUNG: 8 von 10 Hannibal Lecter-Masken
Dein Kommentar >>
Hans-Christian Rieck | 13.02.2017 08:40
Schon im englischen Original gesehen. Ist wirklich absolut zu empfehlen. Das Buch hatte ich auch gelesen. Etwas verwirrend ist, das im Buch die Lehrerin eine Farbige ist und das Kind blond mit grossen blauen Augen. Naja. Warum man das auch immer geändert hat, Sennia Nanua ist der Bringer und spielt den anderen Cast total an die Wand. Und da sind ja mit Glenn Close, Gemma Arterton und Paddy Considine ja nun keine Leichtgewichte am Start. Klasse Film.
Rainer Winkler | 14.02.2017 16:55
"Sennia Nanua ist der Bringer und spielt den anderen Cast total an die Wand."

Ja, klar wie sie da die Flintstone-Cannibal-Kiddies anbrüllt, das ist richtig nuanciertes Schauspiel! ROAAAAAR! WAAAAH! Hut ab vor dieser komplexen Aufgabe, das hat sie mit Bravour gemeistert!
moni w. | 19.03.2017 22:40
bist du schauspieler? Ich ja. und ich kann dir sagen roaaaar waaaahhh szenen gut rüberzubringen braucht einiges an talent.
Rainer Winkler | 06.04.2017 01:04
Seggsschreiben?
>> antworten
a-l-e-x | 13.02.2017 08:20
Danke für den Spiegel-Artikel - echt lesenswert!

Neben vielen anderen Faktoren finde ich das Nachvollziehen des öffentlichen Diskurses recht interessant.

In den 80er Jahren wurde davon ausgegangen, dass es vor die "sozial Schwachen" sein müssten, die so ein "Schweinkram" sehen.

Mittlerweile scheinen Filme solcher Art ja eher für "Intellektuelle" reserviert, während die "sozial Schwachen" dem ordinären Blockbusterkino frönen.

Die Art der Filme wird also ausgetauscht - die von oben herab geführte Diskussion mit gleichbleibenden Vorurteilen bleibt...
Harald | 13.02.2017 09:56
Hmm, wo hast du das mit den "sozial Schwachen" herausgelesen?
Nach meinem Empfinden ging es da um etwas Anderes. Der deutschen Nachkriegsgesellschaft saß lange noch der Schock der Nazi-Vergangenheit in den Knochen. Und im Gegensatz zu Österreich gab es auch eine aktive Aufarbeitung. Nie wieder sollte von Deutschland Gewalt ausgehen. Man strebte - und das ist ja auch ein hehres Zeil - deshalb eine eine strikt gewaltfreie Pädagogik an.
Brutale Videos - so der damalige, mittlerweile widerlegte Stand der Psychologie - hätte reale Gewalt zur Folge. Dass die damals verteufelten "Schundfilme" mittlerweile als Kunstwerke angesehen werden, das konnten die damals wohlmeinenden Psychologen nicht unbedingt vorhersehen.
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