ABENTEUER: INDIEN/UK/USA, 2006
Regie: Tarsem Singh
Darsteller: Catinca Untaru, Lee Pace, Justine Waddell
Der Stuntman Roy Walker liegt schwerverletzt im Krankenhaus, wo er die kleine Alexandria kennenlernt. Als das kleine Einwanderermädchen fasziniert von seinen farbigen Schilderungen immer wieder kommt, beginnt er eine große Geschichte zu spinnen, verlangt aber von ihr, ihm Morphium zu besorgen, denn er möchte eigentlich nichts anderes als zu sterben...
KRITIK:Filmfreaks aller Länder, vereinigt euch! Schaut euch diesen Film an, einfach weil er existiert!
Warum, werden sich manche von euch fragen. Die Antwort ist ganz einfach: Weil THE FALL irgendwie verdammt einzigartig ist. Einer dieser Filme, die es eigentlich gar nicht geben dürfte und die der Grund sind, warum (zumindest) ich gerne ins Kino gehe. Ein Film der frei macht, frei ist, Gedanken und Ästhetik verbindet, mordsspektakulär wirkt und trotzdem etwas von einer Independentproduktion hat.
Sein Createur, der indischstämmige Regisseur Tarsem Singh, erlangte mit seinem Videoclip für R.E.M.s "Losing my Religion" Weltruhm und darf seither in einem Atemzug mit anderen Videoclipgrößen wie Michel Gondry oder Chris Cunnigham genannt werden. Mit seinem Kinodebüt THE CELL verhalf er Jennifer Lopez zu ihrem wahrscheinlich einzig interessanten Film, auch wenn das Werk unter einer äußerst schwachen Story litt. Regisseur Singhs Kommentar: "Eigentlich ist die Geschichte ziemlich blöd, aber meine Kamera macht alles wieder gut." Und wo er recht hat, da hat er recht. THE CELL war jedenfalls ein finanzieller Erfolg und somit dachte er wohl, er könne es nun wagen sich seinen Traum zu erfüllen bzw. dem Größenwahn frönen.
Die Idee zu THE FALL hatte er schon siebzehn Jahre zuvor gehabt. Seit dem hatte er seine Freizeit damit verbracht, Locations zu suchen und fotografieren. THE FALL wurde schließlich in 24 Ländern mit einer Drehzeit von vier Jahren realisiert. Aber niemand hat auch nur einen Cent in diese Idee investiert, denn es gab in dem Sinne kein Drehbuch. Singh finanzierte den Dreh aus eigener Tasche, dachte sich die Geschichte gemeinsam mit seiner kleinen Hauptdarstellerin aus, als sie sich zusammen die Fotos ansahen. Die meisten Szenen mit ihr wurden am Set improvisiert, allerdings konnte man nie mehr als vier Takes machen, da sie sich sonst anfing sich langzuweilen. Und um sie glaubwürdiger agieren zu lassen, hat man sie über so manches im Dunklen gelassen, wie etwa der Tatsache, dass Hauptdarsteller Lee Pace in Wahrheit gehen konnte...
Und was ist dabei herausgekommen? Leider nicht das erhoffte große Meisterwerk, aber eine enorme Steigerung zu THE CELL. Die Story ist wieder ziemlich simpel, aber zumindest nicht dämlich. Die junge Alexandria spielt wirklich überzeugend und authentisch, das erfundene Märchen vermag mitzureißen. Leider gibt es ein paar Szenen, die etwas zu offensichtlich auf der Klaviatur unserer Gefühle spielen wollen und die Laufzeit von 117 Minuten hätte man an der einen oder anderen Stelle sicher etwas straffen können.
Aber das wichtigste - die Bilder - sind einfach wieder atemberaubend. Von Prag, über Rom, türkische Wüsten, Indien die Fidschis, von den verschiedensten Epochen der Literatur- und Kunstgeschichte werden Figuren und Motive geborgt und in einer postmodernen-visuellen Orgie zu einer ästhetischen Bilderfolge montiert, die ihresgleichen sucht. Dieses Werk ist der Film gewordene Bildband. Dieser Film ist aber auch eine Hommage an die "guten, alten Zeiten", wo alles noch mit der Hand gemacht wurde. Inhaltlich angedeutet, wird dieses Statement auch formal bewiesen, denn THE FALL kommt weitgehend ohne visuelle Effekte aus und braucht sich trotz seines verschwindend geringen Budgets hinter keinem Blockbuster zu verstecken. Die richtige Anordnung der Figuren, die richtige Perspektive auf den Gegenstand, die richtige Bewegung und Lichtsetzung und schon entstehen überwältigend schöne Kompositionen.
Dass dieser Film nicht perfekt ist, ist also kein Grund ihn sich nicht anzusehen. Hier geht es ums Prinzip, hier geht es um einen Künstler, der finanzielle Risiken eingeht um etwas zu schaffen, das wir so in dieser Form noch nicht gesehen haben. Und wir müssen uns noch nicht einmal langweilen oder anstrengen, während wir es sehen. Nur sehen, das müssen wir. Also an alle Filmfreaks da draußen, die Fantasie und Ästhetik zu schätzen wissen: Gehet hin und sehet!!!
Atemberaubend anzusehendes Drama zwischen beklemmender Realität und überbordener Fantasie, das mit einer visuellen Souveränität einen poetischen Bilderrausch erzeugt, den man so noch nicht gesehen hat. Einer der schönsten Fälle von L'art pour l'art (natürlich mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen), den es seit langem im Kino gegeben hat. Wunderbar!