OT: The Dyatlov Pass Incident
FOUND FOOTAGE-HORROR: GB, RU, USA, 2013
Regie: Renny Harlin
Darsteller: Holly Goss, Matt Stokoe, Luke Albright, Gemma Atkinson
Eine Gruppe amerikanischer Studenten folgt den Spuren der schicksalhaften Dyatlov-Expeditionsgruppe, die in den Fünfzigern Jahren im nördlichen Ural auf höchst mysteriöse Weise den Tod gefunden hat. Dabei kommen sie der unheimlichen Wahrheit so nahe, dass lediglich ihre Kameraausrüstung zurückbleibt, um die Geschichte zu erzählen...
"Based on true events" soll Renny (STIRB LANGSAM 2, DEEP BLUE SEA) Harlins neuer Film sein. Dies behaupten bekanntlich viele "Found Footage"-Horrorfilme von sich und bei den Wenigsten trifft die Prämisse tatsächlich zu. Beim DYATLOV PASS INCIDENT stimmt sie allerdings. Davon kann man sich in zahllosen Sachbüchern, Verschwörungstheorien, aber auch auf Wikipedia und youtube überzeugen. Bei der letzteren Quelle wartet übrigens eine reiche Auswahl an mal mehr, mal weniger seriösen, mal mehr, mal weniger spekulativen Filmdokumentationen zum Thema auf den interessierten Menschen. Doch Vorsicht: Ob nun seriös oder spekulativ aufgezogen: In fast allen Dokus gibt es einige äußerst drastische und vor allem authentische Bilder zu sehen.
Zu den wahren Begebenheiten: Im Jahr 1959 sind neun erfahrene russische Bergsteiger und Bergsteigerinnen in den nördlichen Ural aufgebrochen - mit dem Ziel, den Berg Otorten zu erreichen. Bei den sehr schlechten Wetterbedingungen kam die Gruppe von ihrer geplanten Route ab und man landete zu weit westlich am Hang des Cholat Sjachl, einem Berg, den die einheimischen Mansen "Berg der Toten" nennen. Was dort genau geschah, konnte nie abschließend geklärt werden. Fakt ist jedoch, dass alle neun Bergsteiger in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar auf höchst mysteriöse und gewaltsame Weise ums Leben gekommen waren. Die ungeklärten Todesumstände, die merkwürdigen Verletzungen sowie das scheinbar irrationale Verhalten der Gruppe geben dem Rätsel um den sogenannten DYATLOV PASS INCIDENT bis heute Nahrung für die abenteuerlichsten Theorien und Vermutungen. Obwohl sich das Unglück vor über sechzig Jahren zugetragen hat; selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert sind seine Begleitumstände nach wie vor ungeklärt und unheimlich.
Ziemlich genau zwanzig Jahre nach CLIFFHANGER kehrt Hollywoods alter Finne Renny Harlin wieder zu den verschneiten, eisklirrenden Gipfel zurück; diesmal jedoch nicht, um Berghüter Sylvester Stallone gegen einen Haufen skrupelloser von John Lithgow angeführten Verbrechern antreten zu lassen, sondern um sein Scherflein zur im Horrorgenre längst Usus gewordenen Mockumentary beizutragen.
Ich persönlich hätte es interessanter gefunden, wenn Harlin einen (von mir aus auch gerne teilfiktiven) Film über die damalige Expedition gemacht und nicht wieder die unvermeidliche amerikanische Studentengruppe bemüht hätte, die sich auf nach Russland macht, um dem "Dyatlov-Pass" sein unheimliches Geheimnis zu entreißen.
Aber gut: Die damaligen Ereignisse (inklusive der wirklich unappetitlichen Leichenbilder) fallen nicht unter den Tisch, sondern bilden tatsächlich die Grundlage für die aus den üblichen Protagonisten bestehende neue Expedition. Und die Geschichte um Igor Dyatlov und seine unglücksselige Expedition ist ja auch unbestritten prädestiniert für einen weiteren Found Footage-Horrorfilm in der langen Reihe von Found Footage-Horrorfilmen. Es war also abzusehen, dass Renny Harlin uns ein BLAIR WITCH PROJECT on ice (oder wahlweise: on the rocks) servieren würde.
Mit den bedrückenden Bildern aus den Dokumentationen und den grausigen Leichenfotografien der echten, damaligen Expedition im Hinterkopf funktioniert der Film zunächst wie gewünscht. Lange lebt Harlins DYATLOV PASS INCIDENT von dieser unterschwelligen Spannung, die sich allerdings spätestens dann als kleiner (aber zugegeben nicht uneffektiver) Taschenspielertrick entpuppt, wenn der Blick gen Display schweift. Dann nämlich realisiert der Zuschauer, dass er gerade einem Film beiwohnt, in dem geschlagene Zweidrittel seiner Laufzeit nicht wirklich etwas passiert. Da gibt es die obligatorischen Gruppenfotos, die zwar nicht gänzlich uninteressanten, aber auch nicht allzu packenden Gespräche. Und natürlich viel, viel (Schnee-)Laufen auf Skiern durchs menschenleere Gebirge neben den paar wenigen wirklich beunruhigenden Momenten, wenn Bezug auf die realen Ereignisse, die dem Ganzen zu Grunde liegen, genommen wird.
Ich fühlte mich an die Gaukeleien des großen Vorbilds BLAIR WITCH PROJECT erinnert, in dem man uns ebenfalls mehr oder weniger erfolgreich eine Exkursion durch einen gottverlassenen Wald als blanken Horror verkauft hat...
Jedoch lauert hier wie dort auf unsere Protagonisten ein (der) böse Ort. Im Forst der BLAIR-Hexe war es eine olle Häuserruine; am Dyatlov-Pass ist es ein geheimer, russischer Militärbunker.
Nun ist es Zeit für die Auflösung. Beziehungsweise für die Enthüllung des Geheimnisses, wie es sich Harlin und sein Drehbuchautor Vikram Weet vorstellen. Und hier hat man sich von den vielen, vielen möglichen Erklärungsmodellen für die Geschehnisse des Jahres 1959 am Berg der Toten (die sich in einem Spektrum von halbwegs rational über scheißeunheimlich bis hin zu völlig gaga bewegen) ausgerechnet für die drei Abstrusesten entschieden.
Was dann auch den DYATLOV PASS INCIDENT nach dem Found Footage-üblichen chaotischen Endspurt inklusive immer schlechter und wackeliger werdenden Bildaufnahmen sowie ausgiebigen Schrei- und Panikattacken dann leider auch in einen völlig unbefriedigenden Schluss münden lässt. Damit ist der potentiell angstmachende Kastenteufel endgültig zum hysterischen Bettlakengespenst verkommen. Schade; es hätte so schön beklemmend werden können...
PS: Der Review lag die jüngst in Großbritannien herausgekommene Bluray (mit wunderschön makabren Cover) zugrunde. Abseits der ohnehin undeutlich gemachten Fotografien authentischer Leichen ist der Film nicht allzu graphisch geraten, so dass die FSK wohl ohne Heulen und Schnittauflagen ihren Segen geben wird, wenn der Film voraussichtlich im Januar 2014 auch bei uns erscheint.
Ein Film über das wahre wie unheimliche Schicksal einer russischen Gebirgswandergruppe im nördlichen Ural, welches Ende der Fünfziger das äußerst mysteriöse Ableben von neun Menschen zur Folge hatte, hätte zu einem echt beklemmenden Monster werden können. Während die in Youtube herumschwirrenden Dokumentationen über den berüchtigten DYATLOV PASS INCIDENT Mystery-Interessierte tatsächlich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zurücklassen, ist Renny Harlins Mockumentary-Variante davon nur ein weiterer Found Footage-Horrorfilm in einer langen Reihe klonischer Found Footage-Horrorfilmen. Ein BLAIR WITCH PROJECT on the Rocks; grundsätzlich solide gemacht, leider ohne Überraschungen, dafür mit einer enttäuschenden Auflösung und so unnötigen wie fürchterlichen CGI-Tricks am Ende.