METAERZäHLUNG: D/HK/Singapur, 2012
Regie: Tom Tykwer, Lana und Andrew Wachowski
Darsteller: Tom Hanks, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Susan Sarandon, Halle Berry, Hugh Grant, Keith David, Ben Whishaw, Jim Broadbent,...
Was haben ein viktorianischer Anwalt, ein junger Komponist, eine Aufdeckungsjournalistin, ein greiser Verleger, ein künstliches Barmädchen und ein Zukunftshöhlenmensch miteinander zu tun? Das ist hier die Frage.
Zugegeben, der Vergleich drängt sich einem vermutlich erst auf, nachdem man Cloud Atlas gesehen hat, aber irgendwie muss man plötzlich an Avatar denken. Dieses unglaubliche Risiko, das seine Macher eingegangen sind, diese unendlichen Ambitionen das Publikum durch und durch zu verzaubern und dann doch so ein gewaltiger Unterschied: Cloud Atlas ist eindeutig der anspruchsvollere Film und wird daher unweigerlich wesentlich weniger Menschen gefallen.
Wie auch immer: Jedes Mal wieder, wenn man einen solchen Film sieht, mag man die Angst haben, dass es das letzte Mal war. Jeder Heaven's Gate ist doch immer der letzte, oder?
Und dann fabriziert das Kino allen Unkrufen und jeglichem Pessimismus zum Trotz doch in regelmäßigen Abständen höchst Erfreuliches, sei es als einerseits ein avantgardistischer Kunstfilm, wo ein junger Regisseur mit der Digitalkamera das Klo in einem Fußballstadion mit seinem unverbrauchten Blick seziert, sei es andrerseits eine 500 Millionen teure, rein computergenerierte Fantasywelt voller Wesen, die man noch nie zuvor gesehen hat.
Wo immer man sich auf der schwer zu verfolgenden Linie zwischen diesen Extremen befindet, der Punkt warum man sich das ansieht ist doch, sich währenddessen darin zu verlieren und sich nachher bewegt davon zu distanzieren mit einer neuen Erinnerung und neuer Nahrung für die Seele. Dieser Wille zum "Ich war dabei", diese unglaublich treffenden Worte über das Wesen des Kinos (und natürlich aller anderer Medien), die dem Regisseur Friedrich Murnau im großartigen Shadow of the Vampire in den Mund gelegt wurden, die machen letztlich jedes große Filmerlebnis aus.
Aber Cloud Atlas geht noch einen Schritt weiter, und genau dieser Schritt hebt ihn noch weit über die Grundintention des Kinos hinaus, und macht ihn gleichzeitig verletzlich gegen die Präferenzen eines Publikums, das sich gerne von lyrischer Unterhaltung einlullen lässt und sich am liebsten diesem sogenannten "im Moment leben" überlässt.
Cloud Atlas wählt durch seine Struktur und Erzählweise eine epische Distanz, wobei kleine, auf den ersten Blick unzusammenhängende und vielleicht sogar teilweise belanglose Geschichten durch ihre Echos und Reflexionen in den jeweils anderen Geschichten mit einer höheren Bedeutung aufgeladen werden. Dadurch, dass man plötzlich spürt, dass all diese Menschen, von einer abstrakten Perspektive aus betrachtet, denselben lächerlichen und aussichtslosen Kampf ausfechten, gibt er diesem Kampf auf einmal einen Sinn und allen Kämpfern, die das Gefühl haben, dass "das ganze Universum gegen sie ist" die Gewissheit, dass sie nicht alleine sind, dass überall und zu allen Zeiten dieser kleine Maulwurf unterwegs ist, der herausfinden möchte, wer ihm auf den Kopf gekackt hat.
Es ist also Erkenntnis und Mut, ein Glücksgefühl von doch etwas sperriger Art - vor allem, weil quasi ohne religiösen oder esoterischen Anstrich - dasdieser Film verbreitet und somit als solches von vielen Menschen leider gar nicht erkannt werden wird.
Verdammt mutig von den Regisseuren Tom Tykwer, Lana und Andrew Wachowski, sich mit einem solch schwierigen Zugang und Metathema, bei aller Opulenz, an den teuersten deutschen Film der Geschichte heranzutrauen.
Das amerikanische Publikum hat den Film bereits abgestraft, aber zumindest wir, liebe Filmtippsleser, sollten es besser wissen und ehrlich dankbar sein, dass es immer wieder so verrückte Künstler gibt, die alles riskieren um uns etwas vermeintlich Unverfilmbares zu zeigen und uns ganz und gar mit großartigen und ungewohnten schauspielerischen Leistungen, neuen Welten und einem Berg an Erkenntnis zu verwöhnen.
Ich möchte mich jedenfalls bedanken. Für Cloud Atlas wurde das Kino erfunden. Für Filme wie Cloud Atlas kann ich dem Kino die zehn anderen bedeutungslosen Filme gerne verzeihen.
P.S.: Und besonders bedanken kann sich Hugh Grant, weil er einmal in seinem Leben eine (bzw. fünf) richtige Rolle(n) spielen durfte. Ja, echt, der Mann ist Schauspieler. ;-)
Die guten Freunde Tom Tykwer, Andrew und Lana Wachowski beschließen gemeinsam einen der riskantesten Indiefilme aller Zeiten zu drehen und wählen dafür den unverfilmbaren Roman "Der Wolkenatlas" von David Mitchell. 6 verschiedene Episoden über 6 verschiedene Epochen über 6 verschiedene Milieus in 6 verschiedenen Genres. Hört sich nach einem Chaos an, ist aber eine erstaunlich konstistente Metaerzählung im Blockbustergewand geworden, die einem den Glauben an das Kino zurückgibt oder konserviert (je nach dem wie man hat gerade drauf ist). Unbedingt anschauen!!!