OT: Il Cartaio
GIALLO: ITALIEN, 2004
Regie: Dario Argento
Darsteller: Liam Cunningham, Adalberto Maria Merli, Silvio Muccino, Stefania Rocca
Die römische Kommissarin Anna Mari (Stefania Rocca) bekommt per Email eine Nachricht von einem Verrückten, der mit der Polizei online um das Leben einer entführten Frau pokern will. Lehnt die Polizei das Angebot ab, muss die Frau sterben. Verlieren sie, muss sie ebenfalls sterben. Nur wenn sie gewinnen, lässt der Entführer die Frau wieder frei. Allerdings wird dieser auch bereits für jede verlorene Runde ein Körperteil abgeschnitten...
Dario Argentos Giallo THE CARD PLAYER eilt ein Ruf, wie Donnerhall voraus, allerdings leider nur im negativen Sinne... Tatsächlich ist der Film so voll von unübersehbaren Schwächen und offensichtlichen Fehlern, dass ich ganz gut nachvollziehen kann, weshalb viele Fans THE CARD PLAYER bei seinem Erscheinen als den bis dato schlechtesten Film von Dario Argento bezeichneten. - Obwohl: Was ist dann eigentlich mit der Argento-Über-Gurke PHANTOM DER OPER? - Und damals konnte ja auch noch niemand ahnen, was danach noch so alles an weiteren Tiefpunkten im Schaffen des Meisters folgen sollte...
Ein sehr berechtigter Kritikpunkt an THE CARD PLAYER ist, dass die Mordszenen, die normalerweise die Glanzstücke der Inszenierungen eines Argento-Films darstellen, hier jeder Atmosphäre entbehren. Tatsächlich geschehen die meisten Morde im Off und man sieht lediglich über eine Webcam aufgenommene verpixelte Bilder der Opfer auf dem Bildschirm, wo gerade ein Online-Pokerspiel läuft. Und das Spiel an sich ist absolut vorsintflutlich gestaltet und wird von einer derart nervtötenden Duliduliduh-Musik begleitet, dass sich dem Giallo-Connoiseur die Nackenhaare hochstellen!
Auch der Soundtrack von Ex-Goblin Claudio Simonetti besteht diesmal weniger aus einem seiner gewohnt faszinierenden und unheimlich atmosphärischen Scores, sondern bietet zum Teil einen ebenfalls nervtötenden Piep-Knarz-Boing-Techno, der nicht nur die Hauptdarstellerin so aggressiv macht, dass sie am Ende ein Autoradio, in dem die Musik gespielt wird zerschießt...
Auch von der visuellen Seite her muss der Fan in THE CARD PLAYER auf so einige Argento-Spezialitäten verzichten. Besonders virtuose Kamerafahrten und andere Spielereien sucht man in hier jedenfalls vergeblich. Der Film hat auch überhaupt keine traumähnliche Stimmung, sondern einen recht hart realistischen Look. Und bei diesem angestrebten Realismus stören die zahlreich vorhandenen Plot-Löcher umso mehr. - Nicht, dass wir diese bei einem Argentofilm nicht bereits gewohnt wären. Doch in THE CARD PLAYER besitzen die Löcher im Plot die gefühlte Größe von Kratern, die sich mindestens von Rom bis Turin spannen...
Doch auch damit ist es noch lange nicht genug: THE CARD PLAYER bietet auch eine ganze Anzahl von selten dämlichen Dialogen, hanebüchene Ausführungen zu den Tücken der neuen Technik, einen absolut unkomischen, gewollt komischen Pathologen und und und... Aber trotz allem muss ich auch nach der letzten Sichtung mal wieder feststellen: Ich mag diesen Film! - Moment mal, wie kann das denn nun angehen? - Kann natürlich sein, dass der Rezensent gerade von einem schier unglaublichen Anfall von Geschmacksverirrung geschüttelt wird. Aber egal, was man sonst so alles sagen kann, für mich hat THE CARD PLAYER trotz allem doch irgendwas. ...Hm...
Da wäre z.B. das der Film mit den beiden Bullen Anna Mari (Stefania Rocca) und dem Iren John Brennan (Liam Cunningham) - was macht der hier eigentlich? - das vielleicht sympathischste Hauptdarstellerpaar in einem Argentofilm seit THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE bietet. - Und ganz gut spielen können die beiden auch!
Außerdem gefällt mir auch gerade der Look des Films besonders gut. Ich halte ihn sogar für einen der besten aller Argentofilme der letzten zehn Jahre (ok, das ist auch nicht ganz so schwer...). Die Optik von THE CARD PLAYER wirkt zwar auf den ersten Blick sehr nüchtern, aber von dem oft behaupteten TV-Look fehlt hier meiner Ansicht nach jede Spur.
Argento hatte bei diesem Film z.B. ganz bewusst weitestgehend auf eine sorgfältige Ausleuchtung mit Hilfe von unnatürlichen Lichtquellen verzichtet. Und so wirkt THE CARD PLAYER zwar relativ schlicht, aber zugleich auch ungewohnt natürlich. - Jedenfalls ist er meilenweit von dem blau- bzw. grünstichigen Einheitslook made in Hollywood entfernt, wie man ihn seit Michael Manns HEAT (1995) eigentlich von fast jedem Thriller kennt.
Auch die Kameraarbeit von Benoît Debie (IRREVERSIBEL) ist relativ zurückhaltend, aber deshalb nicht uninspiriert. So gibt es z.B. auch in THE CARD PLAYER zahlreiche (kurze) Kamerafahrten. Nur drängen diese sich nicht so selbstzweckhaft in den Vordergrund, sondern stehen hier immer im Dienst der Flüssigkeit der Handlung.
Und THE CARD PLAYER bietet zwar keine grandiosen Mordszenen. Aber dafür dürfen wir z.B. ein paar wunderbar eklige Wasserleichen begutachten. Und diese sehen in dem Film auch tatsächlich nach richtig ekligen Wasserleichen aus, und nicht, wie in vielen anderen Gialli, nach pseudorealistischen Low-Budget-Puppen! - Irgendwie kann ich sogar den Online-Pokerpartien mit der grauenhaften Grafik und dem schrecklichen Dülididülididüh-Sound etwas abgewinnen. Denn gerade diese absolute Banalität zeigt erst den kranken Geist, der hinter solch einer Sache steckt.
Die weitere Handlung ist zwar ziemlich frei von Überraschungen und bietet auch nicht wirklich viel neue Ideen. Aber gerade die Kombination aus einer für den Regisseur ungewohnt modernen Versuchsanordnung mit so einigen klassischen Argento-Momenten finde ich alles andere als schlecht. - Aber ich gebe gerne zu: Der Schluss ist trotzdem selten dämlich...
Nachdem Dario Argento mit seinem Retro-Giallo SLEEPLESS eine Art Best-Of seiner größten (Mordszenen-)Hits zusammengebastelt hatte, wagte er mit THE CARD PLAYER wieder Neuland zu betreten. Das haben ihm jedoch die meisten seiner Fans keineswegs gedankt. Und bei THE CARD PLYER fällt jede Art von Kritik auch alles andere als schwer. Aber trotz aller offensichtlichen Mängel hat der Film noch immer genügend Stärken, um ihn ein gutes Stück aus dem Sumpf herauszuheben, in dem der einstige Meister schon seit langem zu versinken droht...