DRAMA: TR/D, 2006
Regie: Özer Kiziltan
Darsteller: Erkan Can, Meray Ülgen, Güven Kiraç
Der streng gläubige Moslem Muharrem (Erkan Can) gerät in die Fänge einer religiösen Sekte, in deren Auftrag er Mieten eintreiben und "weltliche Geschäfte" erledigen soll. Der einfache Mann ist sich nicht sicher, ob er dieser Aufgabe gewachsen ist, da sie ihn mit den lasterhaften Abgründen der Millionen-Metropole Istanbul konfrontiert: Sexuelle Phantasien, Macht und Geld lassen sich nun mal nicht mit einem religiösen Leben vereinbaren...
KRITIK:Die türkische Produktion Takva - Gottesfurcht bietet einen Blick in das Innenleben von religiösen Fundamentalisten: Wie leben sie? Was geht in ihren Köpfen vor?
Und vor allem: Was empfinden sie gegenüber der modernen Welt?
Der Filmtitel gibt die Antwort: Angst. "Angst essen Seele auf" heißt es ja schon bei Fassbinder.
Angst bestimmt auch das Leben von Muharrem: Angst vor Gott, Angst vor der "bösen" westlichen Welt, Angst aber auch vor sich selbst und seinen unterdrückten Bedürfnissen:
Immer wieder wird der streng gläubige Mann im Traum von einer Frau verfolgt,
die ihn verführt. Nicht nur schweißgebadet wacht er dann auf, wäscht die nasse Stelle in seiner Pyjamahose und fleht Gott um Vergebung an.
Bemerkenswert dabei ist, dass sich Regisseur Özer Kiziltan, obwohl selbst Atheist, jeglicher Wertung, jeglichen polemischen Kommentars enthält. Die betont konfrontative Auseinandersetzung, die westeuropäische Künstler mit der Religion suchen, ist in der Türkei offenkundig kein Thema.
Aber vielleicht hat Özer Kiziltan ganz einfach keine Lust, ein Schicksal wie Theo van Gogh zu erleiden...
Sein Muharrem ist eine Art fundamentalistischer Forrest Gump: Ein äußerst simples,
aber im Grunde liebenswertes Gemüt, das zum Sympathieträger des Films wird.
Weniger sympathisch kommen naturgemäß die Sektenanführer rüber,
deren pathetisches Gerede von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe schnell als verlogene Phrasen entlarvt werden.
Produziert wurde der Film von Fatih Akin. Im Making Of der DVD bemüht Akin einen - nur auf den ersten Blick - größenwahnsinnigen Vergleich: Nämlich mit Taxi Driver. Hier wie da geht es um urbane Einsamkeit und Entfremdung, die in Gewalt umschlägt. Mit dem Unterschied, dass die Gewalt in Takva nach innen gerichtet ist. Muharrem zerbricht innerlich an den Widersprüchen zwischen Moral und Moderne.
Damit hat man einen Nerv getroffen in einem Land, in dem der Konflikt zwischen erstarkender Religiösität (lustig: meine Rechtschreibprüfung kennt dieses Wort gar nicht - ich wusste ja, dass Microsoft Word ein Werk des Teufels ist ... *g*) und westlicher Lebensart immer heftiger ausgetragen wird: Der Film lief mit Riesenerfolg in den türkischen Kinos und hatte mehr Zuschauer als der letzte James Bond.
Inhaltlich mag der Film vielleicht "strenges Arthouse" sein; die Machart ist aber ziemlich massentauglich: Opulente, breitwandige Bilder bestimmen das Geschehen, gelegentliche Ausflüge ins Surreale inklusive. Und ja, die Sexszenen sind erstaunlich freizügig ausgefallen. Hollywood traut sich das nicht (mehr).
Halten wir also fest: Das islamische Kino ist mittlerweile liberaler als das amerikanische.
Auch keine schlechte Erkenntnis ...
In beeindruckenden Bildern zeigt das von Fatih Akin produzierte Drama Takva - Gottesfurcht die Probleme eines religiösen Eiferers mit der westlichen Welt. Ein erstaunlicher, bildstarker und auch emotional fesselnder Film, der in der Türkei völlig überraschend zum Blockbuster wurde und als türkischer Beitrag für den Auslands-Oscar ins Rennen geschickt wird. Gerade auch für aufgeklärte westliche Religions-Skeptiker sehr sehenswert...