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The Beautiful World / Kinos Reisen

The Beautiful World / Kinos Reisen

OT: Kino No Tabi
ANIMATION: JAPAN, 2003
Regie: Ryutaro Nakamura
Darsteller: Ai Maeda, Ryuji Aigase

STORY:

The World is not beautiful -
Therefore it is.

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Die Welt ist nicht schön. Darum ist sie es. Schon man darüber nachgedacht? Und fürwahr, liebe Leser und Leserinnen, wenn ihr diese Anime Serie anschauen werdet, so werdet ihr denken. Viel nachdenken. Ein Spruch wie ein göttliches Credo, welcher über der wohl tiefgründigsten Anime-Serie aller Zeiten schwebt. Es ist, soviel kann man wohl auch sagen, die größte cineastische Liebeserklärung an das Mensch-Sein. Und das geht so:

 Kino reist mit seinem Freund Hermes, einem sprechendem Motorrad, durch verschiedene Länder. In jedem dieser Länder bleibt Kino genau drei Tage und keinen mehr. Was Kino möchte, ist einfach: Die Welt so zu sehen, wie sie ist. Die Länder, die Kino besucht, sind dabei so facettenreich, wie das Mensch-Sein selbst: Das Land, in dem niemand arbeiten muss / das Land, in dem jeder weiß, was die anderen denken / das Land, in dem alles demokratisch entschieden wird...

Ihr seht schon, wohin die Reise geht...

KRITIK:

…nämlich in das philosophische Filmerlebnis, das es je gab. Und ich übertreibe nicht. Betrachter dieser Anime-Serie haben eines gemeinsam: Verzweifelt finden sie sich wieder, auf all den Filmforen dieser Welt, mit der klammen Frage: Gibt es noch andere Anime Serien, die so tiefgründig sind, wie KINOS REISEN? Und auch wenn dann oft als Substitutionstherapie Namen wie HEIBANE RENMAI, HI NO TORI, LAIN, MUSHISHI, GALAXY EXPRESS 999, PRINZESSIN MONONOKE oder CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND fallen, so muss man sich doch eingestehen: Nein, für THE BEAUTIFUL WORLD gibt es keinen Ersatz.

Dabei ist die Idee vielleicht nicht mal so neu. 1972 schrieb Italo Calvino, der wohl bedeutendste moderne Literat Italiens, mit Le città invisibili (Die unsichtbaren Städte) eine Geschichte, in der Marco Polo dem alternden Mongolenherrscher Kublai Khan von seinen Reisen erzählt. Er erzählt dabei von verschiedenen Städten, die alle eine andere Form der Politik und des Zusammenlebens haben. Marco berichtet dabei nüchtern von den fremden Orten und Sitten, während Khan die Rolle des Hinterfragenden inne hat. Jedoch – eine Antwort auf die Fragen gibt es nicht, sondern wird dem Leser und der Leserin als Gedankenanregung hinterlassen.

Einem ähnlichen Prinzip folgt auch KINO NO TABI. Das wohl faszinierendste an der Geschichte ist, dass Kino beobachtet - jedoch nicht wertet: Kino sagt nicht, dass beispielsweise Sklaverei schlecht ist, Kino beseitigt nicht Ungerechtigkeit, Kino versucht niemanden zu ändern. THE BEAUTIFUL WORLD möchte nicht moralisch sein. Dieser Anime erzählt von all dem, was zum Mensch sein gehört, Gutes wie Schlechtes, um so die Schönheit des Menschseins in seiner ganzen Komplexität zu beschreiben: The world is not beautiful. Therefore it is.

Mensch-Sein und Kultur kann also nicht in einfachen Strukturen und klaren Gut/Böse-Kategorien beschrieben werden. Worin aber die Faszination dieses Anime liegt, ist mit welch liebevollem Detail dies auch in die filmische Geschichte umgesetzt worden ist: So werden Kinos Reisen durch die verschiedenen Ländern keinesfalls chronologisch erzählt, selbst über das Geschlecht Kinos bleibt der Rezipient lange im Unklaren. Kino hat männliche und weibliche Züge. In der japanischen Original-Version wird mit diesem Element der Nicht-Kategorisierung noch grenzgenial gespielt, indem Kino die Worte „Boku“ und „Watashi“, beides Worte für „Ich“, ambivalent einsetzt. („Boku“ wird als „Ich“ im Japanischen vorzugsweise von Männern verwendet, während „Watashi“ eher von Frauen benutzt wird.) Zudem ist Kino‘s Stimme nicht klar einem Mann oder einer Frau zuordenbar - ein schweres Manko der deutschen oder englischen Synchronisation, welche sich hier festgelegt haben.

Doch trotz all der Neutralität ist Kino durch und durch Mensch selbst. Kino tötet Menschen, wenn es sein muss, Kinos Entscheidungen sind unberechenbar, chaotisch. Dadurch bleibt THE BEAUTIFUL WORLD auch für den Seher immer spannend. Auch wenn Kino friedliebend, berechenbar und neutral erscheint, so überrascht Kinos Handeln doch immer wieder.

Aber auch davon abgesehen, müssen jedem Liebhaber intellektueller Filmmeisterwerke, die Freudentränen in die Augen strömen, ob gar der philosophischen Kreativität, die die einzelnen Länder haben: Da gibt es beispielsweise, man gestatte mir den kleinen Spoiler, das Land, das keine Tradition hat. Als Kino dort ankommt, wird er eingeladen, sich mehrere Rituale anzusehen. Die Menschen tanzen, die Menschen singen. Danach fragen sie Kino, wie ihm den diese Tradition gefallen habe. Kino sagt, er finde sie ganz ok. Enttäuscht beschließen die Bewohner, dass wohl diese Tradition nicht funktioniert habe und probieren am nächsten Tag eine andere aus. Sie wären, seit dem sie ihren König vertrieben haben, nämlich auf der Suche nach einer neuen Identität und einer neuen Tradition für das Land. Kino sieht drei Tage verschiedene Traditionen, dann verlässt er das Land. Im Wald trifft er den alten König des Landes. Sie reden über das Volk, das keine Tradition hat, und jedem Reisenden daher immer wieder eine neue Traditionsidee zeigt… keine Tradition und doch… sie lächeln…

Derartige Geschichten, welche in Ländern spielen, die man vom Mittelalter-Settings bis Science Fiction überall zuordnen kann, gibt es unzählige in den insgesamt 13 Folgen von KINO NO TABI, die durch zwei weitere Kino-Filme ergänzt worden sind. Keiichi Sigsawa, welcher die literarische Vorlage lieferte, freute sich sehr, dass sein Werk des Öfteren in Rezessionen auch mit „dem kleinen Prinzen“ verglichen wurde, jedoch hatte er diesen bis nach dem großen Erfolg von THE BEAUTIFUL WORLD nie gelesen.

Der Zeichenstil war aber leider so überhaupt nicht meines. Deswegen hatte es auch Jahre gedauert, bis ich dem Anime endlich eine Chance gegeben hatte. Aber: In diesem Fall ist so wie mit einem guten Computerspiel aus den alten Zeiten: Nach zwei Minuten hat man all den sinnlosen Firlefanz um schöne Grafik vergessen und erfreut sich an großartiger, zeitloser Unterhaltung. Deswegen: Lasst euch nicht von der Einfachheit der Animation abschrecken. Auf die inneren Werte kommt es an. Soundtechnisch und Musik ist aber wunderschön und passend, da gibt es gar nichts zu meckern.

Nun denn, meine Freunde, startet die Motorräder und begleitet Kino auf einer Reise durch die Welt. Sie ist zwar nicht schön… aber darum ist sie es.

The Beautiful World / Kinos Reisen Bild 1
The Beautiful World / Kinos Reisen Bild 2
The Beautiful World / Kinos Reisen Bild 3
The Beautiful World / Kinos Reisen Bild 4
FAZIT:

KINO NO TABI ist, Hands-down, die faszinierendste, philosophischste Anime-Serie, die je gemacht wurde. Eine filmische Liebeserklärung an das Mensch-Sein.

WERTUNG: 9 von 10 noch nie bereiste Länder unserer menschliche Natur
TEXT © Andreas Berger
Dein Kommentar >>
Chris | 08.10.2011 02:20
Wahnsinnsreview, Andreas! So hätte ich KINOS REISEN niemals
beschreiben können. Von daher bin ich froh, dass du die Würdigung
dieser wirklich besonderen Anime-Reihe übernommen hast. : )
Andreas | 08.10.2011 12:35
Wirklich? Gefällt dir das? Ich selber bin eigentlich gar nicht mit dem Review zufrieden. Normalerweise fällt es mir leicht, meine Rezensionen zu akzeptieren, aber bei Kino No Tabi habe ich irgendwie das Gefühl, der Serie nicht gerecht zu werden...
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