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Stiefel, die den Tod bedeuten

Stiefel, die den Tod bedeuten

OT: Blind Terror / See No Evil
PSYCHOTHRILLER: GB, 1971
Regie: Richard Fleischer
Darsteller: Mia Farrow, Dorothy Alison, Robin Bailey, Diane Grayson

STORY:

Ein Serienmörder. Ein Landhaus voller Leichen. Eine blinde, hilflose Überlebende, die etwas gefunden hat, was den Killer überführen könnte und was dieser nun unbedingt zurückbekommen muss. Eine ungleiche Jagd beginnt.

KRITIK:

Ein Mann kommt aus einem Kino. Er hat sich ein Double Feature angesehen. The Convent Murders und Rapist Cult. Gerry Fishers Kamera zeigt uns von dem Mann lediglich seine geschmacklosen Cowboystiefel, seine nervösen, fahrigen, irgendwie wütenden Fingerbewegungen, das silberne Kettchen, welches an seinem Handgelenk baumelt. Wir sehen nie das Gesicht - und doch haben wir keinen Zweifel, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt. Er durchstreift die in Neonlicht getauchten Straßen der Stadt nicht wie ein Nachtschwärmer, sondern wie ein Raubtier. Ein Serienmörder auf Patrouille.

Die junge Sarah kehrt nach einem längeren Klinikaufenthalt heim. Bei einem Reitunfall hat sie ihr Augenlicht verloren. Sie wohnt nun bei Onkel, Tante und ihrer gleichaltrigen Cousine. Die drei Verwandten holen sie vom Bahnhof ab. Der Mann mit den geschmacklosen Stiefeln, der die Nacht durchstreift, wird aufmerksam. Und heftet sich an ihre Fersen.

Was folgt, ist ein britischer Psychothriller der Extraklasse. Mit vielen denkwürdigen Szenen.

Und einer brillanten Kamera-Arbeit von Gerry Fisher, die den Film lenkt, prägt und mit gnadenloser Spannung auflädt. Vom Killer sehen wir zumeist nur die Stiefel; die schockierenden Details lauern im Augenwinkel oder am Rand des Bildausschnitts. Wir erhaschen sie flüchtig, aber intensiv im Vorbeigehen. Da sind Sequenzen, in denen es gelingt, fast schon Hitchcock'sche Suspense zu erzeugen, diese zu steigern und über lange, nervenaufreibende Minuten vibrieren zu lassen. 

Etwa dann, wenn die hier erblindete, so zerbrechliche Mia Farrow arg- und ahnungslos durch ein totenstilles Haus voller Leichen wandert, während draußen ein tosender Herbstwind das Laub im weitläufigen Gartenarreal aufwirbelt, Türen und Fenster zuschlägt. Oder später wenn eine nun panische, unter Schock stehende Mia Farrow durchs Haus und durch den Wald stolpert; von einem gesichtslosen, Cowboystiefel tragenden Häscher erbarmungslos gejagt.

Diese fürchterlich geschmacklosen braunen Cowboystiefel mit den aufgenähten Sheriff-Sternen sind ohnehin das Markenzeichen dieses fiesen Blind Terror-Thriller, der natürlich ganz in der Tradition jener Klassiker steht, die ebenfalls die Home Invasion thematisieren und hilflose, blinde Protagonistinnen ins Visier von kaltblütigen Serienmörder rücken. Und der Film ist so verdammt gut und spannend geworden, dass man ihn tatsächlich in einem Atemzug mit der amerikanischen Ur-Mutter THE SPIRAL STAIRCASE (1945) oder dem kongenialen WARTE, BIS ES DUNKEL IST (mit Audrey Hepburn und einem beängstigenden Alan Arkin) aus dem Jahr 1967 nennen kann, ohne sich im Geringsten der Blasphemie schuldig zu machen.

Auf dem Regiestuhl hat aber auch jemand gesessen, der so ziemlich jedes Genre kann. Richard Fleischer drehte Kriegs- und Monumentalfilme, verfilmte Jules-Verne-Abenteuer (20.000 MEILEN UNTER DEM MEER), wahre Serienmördergeschichten (DER FRAUENMÖRDER VON BOSTON, DER FRAUENWÜRGER VON LONDON), schuf Fantasy-Trash wie CONAN- DER ZERSTÖRER und RED SONJA oder Klassiker wie die düstere Zukunftsvision SOYLENT GREEN (aka...2022...DIE ÜBERLEBEN WOLLEN).

Oder eben grandiose Psychothriller wie den vorliegenden mal BLIND TERROR, mal SEE NO EVIL genannten Film, der im Deutschen den blumigen Titel STIEFEL, DIE DEN TOD BEDEUTEN erhalten hat. Was angesichts der omnipräsenten, augenbeleidigenden Cowboystiefel, die einem Serienkiller gehören, zwar inhaltlich sicherlich gedeckt ist, den Autor dieser Zeilen aber trotzdem lange dem Irrglauben verfallen ließ, dass es sich hierbei um einen Western handelt...

Stiefel, die den Tod bedeuten Bild 1
Stiefel, die den Tod bedeuten Bild 2
Stiefel, die den Tod bedeuten Bild 3
Stiefel, die den Tod bedeuten Bild 4
FAZIT:

Mia Farrow, jung, blind, zerbrechlich, kommt ins Haus ihres Onkels, findet ihre Verwandten massakriert vor, ein fremdes Armkettchen mit einem eingravierten Namen und den dazugehörigen Serienkiller...- Und da der letztere geschmacklose Cowboystiefel trägt, erklärt dies auch den deutschen Verleihtitel, der eher an Western denn an Thriller denken lässt. Im Original heißt Richards Fleischers BLIND TERROR und gibt schon etwas präziser Auskunft darüber, was den Zuschauer erwartet: Ein weiterer famoser und mörderisch spannender Psychothriller in der Tradition eines THE SPIRAL STAIRCASE oder WAIT UNTIL DARK, der diesmal ganz im Zeichen der brillanten und mit ungewöhnlichen Perspektiven arbeitenden Kamera von Gerry Fisher steht, die den Schrecken quasi im Vorbeigehen, aber mit erbarmungsloser Intensität einfängt. Und wenn letztendlich die blinde, panische Mia Farrow durch Haus und Wald gehetzt wird, dann ist der Zuschauer -eben dank Fishers durdringenden, jede Situation genau antizipierenden Kamera-Auge- nahe, ganz nahe an der Gejagten. Ein Lehrstück in Sachen Suspense und (blindem) Terror.

WERTUNG: 9 von 10 braunen Cowboystiefeln mit aufgenähten Sheriff-Sternen
TEXT © Christian Ade
Dein Kommentar >>
Erich H. | 17.08.2013 14:00
Im Normalfall gebe ich deinen Kritiken ja gerne recht, aber diesmal ... ? Ich habe selbst kürzlich überlegt, ob ich den Film bespreche, dachte mir dann aber, nein, die wenigen Punkte, die ich gebe, stehen nicht dafür. Keine Frage, der Filme hat seine guten Momente, welche aber nahezu ausschließlich an Mia Farrows Leistung festgemacht werden können. Die sonstigen Charaktere sind, hmmm, nicht einmal blass. Und sobald die arme Blinde außerhalb des "totenstillen Hauses", wie du das treffend formulierst, agiert, wird's langweilig. Egal, Fazit: bessere Besprechung, als dieser fehlerhafte unausgegorene Versuch eines Films verdient.
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Lesotho | 16.08.2013 10:33
In der Tat: ein richtig guter, düsterer und spannender Thriller. Sehr sehenswert und Mia Farrow ist einfach nur gut.
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