OT: Under Siege
ACTION: USA, 1992
Regie: Andrew Davis
Darsteller: Steven Seagal, Tommy Lee Jones, Gary Busey, Erika Eleniak, Colm Meaney
Das US-Kriegsschiff USS Missouri befindet sich gerade auf ihrer letzten Fahrt, als ein Gruppe Terroristen das Schiff übernimmt und die Marschflugkörper stehlen will.
Zunächst läuft alles nach Plan, doch dann machen sie die Bekanntschaft mit dem Schiffskoch Casey Ryback. Und der ist nicht gerade gut auf Terroristen zu sprechen.
Wenn man sich einmal das jüngste filmische Schaffen des Meisters Seagal anschaut, dann scheint es gar unmöglich zu glauben, dass es einen Seagal-Film geben könnte, der für den Oscar nominiert wird. Tatsächlich ist aber genau das in den guten alten 90ern mit ALARMSTUFE: ROT passiert. Zwar war die Nominierung „nur“ in der Kategorie „Bester Tonschnitt“, aber dennoch. Eine Oscar-Nominierung ist eine Oscar-Nominierung und heutzutage würde es gar schon an ein mittelschweres Wunder grenzen, wenn es ein Film Seagals statt auf DVD in irgendein Provinzkino schaffen würde. Und tatsächlich sollte ALARMSTUFE: ROT den sehr frühen Höhepunkt seiner Karriere darstellen. Das hatte sich der Meister sicher auch anders vorgestellt und wenn man sich den Erfolg des Films ansieht, hätte man durchaus auch denken können, dass er jetzt so richtig durchstarten würde. Stattdessen begann der stete Verfall des unbesiegbaren Aikido-Hühnen hin zu der aufgeplatzten Leberwurst, die sich heutzutage durch billige osteuropäische Produktionen schnauft.
Dass ALARMSTUFE: ROT bei einem dermaßen großen Publikum Anklang fand und bis heute auch Leute begeistert, die mit Seagals Werken ansonsten nicht viel anfangen können, der Film gar seinen rechtmäßigen Platz irgendwo zwischen anderen Standard-Actionwerken hat, dürfte vor allem zwei Gründe habe. Der eine ist ein Drehbuch, das mehr kann als Seagals Figur auf eine simple Rachemission zu schicken. Der andere – und wohl wichtigste Grund – ist, dass ALARMSTUFE: ROT sicherlich der Seagal-Film sein dürfte, in dem Seagal am wenigsten er selbst ist. Zwar ist seine Figur Casey Ryback auch hier wieder eine schier unaufhaltsame Kampfmaschine mit militärischem Hintergrund, Spezialeinheiten über Spezialeinheiten, Silverstar und sonstige Orden hängen an seiner Brust. Aber der wichtige Unterschied ist, dass Seagal hier nicht den Seagal raushängen lässt und zahlreiche Seagalismen, die der geneigte Fan bisher aus seinen Filmen kannte, sehr dezent bis kaum vorhanden sind. Das ist zum einen etwas schade für die Leute, die eben das an seinen Filmen schätzen, zum anderen lockt es aber auch neues Publikum an.
Das fängt schon damit an, dass der Meister in einigen Szenen gar wirklich zu schauspielern scheint und was am allerwichtigsten ist, er legt nicht die herablassende, schmierig-prollige Attitüde an den Tag, die man sonst gewohnt ist. Auch ist er nicht so unaufhaltsam wie es sonst den Anschein erweckt. Es ist möglich ihn zu verletzen und dadurch vielleicht sogar zeitweise aufzuhalten. Dazu kommt, dass er mit der von Tommy Lee Jones gespielten Figur William Stranix einen Endgegner hat, den er mal ausnahmsweise nicht bloß durch die Gegend prügelt, sondern sich fast sogar anstrengen muss, um ihn zu besiegen – man fragt sich gar, wie es Regisseur Andrew Davis geschafft hat Seagal dazu zu bewegen, die Nummer mitzumachen.
Andere Seagalismen sind aber dennoch vorhanden. So schubst er, wie üblich, Frauen herum und bedrängt sie. Rettet zwar ein paar Kameraden, deren Hilfe er letztlich aber nicht braucht und „Exzessive Gewaltanwendung“ ist selbstverständlich auch in ALARMSTUFE: ROT sein zweiter Vorname – wenigstens einer, der weiß wie man mit Terroristen umzugehen hat. Die Gewalteskapaden nehmen sich zwar im Vergleich zu einigen der vorherigen Filme – DEADLY REVENGE zum Beispiel, oder auch HARD TO KILL – geradezu harmlos aus, aber den ein oder anderen Knochenbruch und eine herausgerissene Kehle gibt es trotzdem zu bewundern. Es ist Davis somit gelungen den schmalen Grad zu meistern zwischen dem, was Seagal-Fans erwarten und dem was normale Actionfilm-Freunde sehen wollen.
Interessant ist auch, dass ALARMSTUFE: ROT, im Bereich Besetzung keine One-Man-Show im gewohnten Stil bedeutet. Gerade der erste Teil bietet viel Platz für das spaßige Spiel der Co-Stars Gary Busey und Tommy Lee Jones, die super aufgelegt sind und viel Freude verbreiten. Dieser Teil ist auch das eigentliche Highlight des Films, und sorgt für eine gelungen Atmosphäre. Es ist ergo auch Drehbuchautor J. F. Lawton zu verdanken, dass das Drehbuch genau diesen Szenen viel Platz einräumt, bevor Casey Ryback letztlich aus dem Sack – beziehungsweise aus dem Gefrierraum – gelassen wird und sein blutiges, knochenbrechendes Handwerk beginnen darf.
Es trägt zum massentauglichen Charakter des Films bei, dass der Seagalismus des „Ich entledige mich meiner Waffe, greif mich an“ wegfällt und Casey Ryback stattdessen die Feuerkraft nutzt, die ihm zur Verfügung steht. So gibt es zahlreiche Feuergefechte zu bewundern und die machen dank MP5 und Uzi auch einiges her. Zusätzlich kommt aber auch die Handarbeit nicht zu kurz und Seagal darf viele Gegner mit gekonnten Aikido-Techniken verkrüppeln und töten. Besonders hervorheben möchte ich den Endkampf zwischen Ryback und Stranix. Deren unerbittliches Messerduell ist wirklich schön und gekonnt in Szene gesetzt und nicht nur Seagal – der ja, das kann man nicht abstreiten - durchaus was drauf hat, wenn es um den Nahkampf geht –, sondern auch Tommy Lee Jones macht mit dem Messer eine gute Figur.
Die Warner Brothers Studios indes scheinen sich ALARMSTUFE: ROT einiges haben kosten lassen. Die Production Values sind enorm. Wo Seagal vorher bloß durch die Stadt stiefelte und die größten Ausgaben seine Gagen gewesen sein dürften, gibt es diesmal nicht nur ein riesiges Heer an Statisten sondern auch ein ganzes Kriegsschiff, ein U-Boot und zahlreiche Explosionen. Die Optik ist dadurch mehr großes Hollywood-Kino denn kleiner Action-Reißer.
Gerade Tommy Lee Jones scheint an seiner Rolle viel Spaß gehabt zu haben. Er gibt den Rock ’n’ Roll-Terroristen-Geschäftsmann Stranix mit der eleganten Lässigkeit eines Altrockers und scheint sich in der Rolle des Bösewichts zu gefallen. Gary Busey ist als Ekel-Commander Krill sehr überzeugend und man wünscht sich schon nach fünf Minuten, dass Ryback ihm ordentlich die Hucke voll haut. Bonuspunkte sammelt er mit seinem Auftritt als Miss Juli. Die wiederrum, gespielt von der schnuckligen, groß-mopsigen Erika Eleniak, sieht hauptsächlich schnucklig aus, haut aber einige feine Sprüche raus. Auf schauspielerischer Seite kann diesmal – man glaubt es kaum – sogar Steven Seagal irgendwie überzeugen. Zumindest spielt er sich nicht permanent selbst und verzichtet weitestgehend auf die – eigentlich dazugehörende – Überheblichkeit, die ihm normalerweise jede Sekunde seiner Bildschirmzeit aus dem Gesicht strahlt. Fast schon schade, aber mal eine nette Abwechslung.
In diesem Sinne: „Sind sie wirklich ein Koch?“ – „ Naja, wie man’s nimmt. Kochen kann ich auch.“
Seagals filmischer Karrierehöhepunkt ALARMSTUFE: ROT dürfte gleichzeitig sein massentauglichster Film sein. Das liegt vor allem daran, dass die zahlreichen bekannten Seagalismen sich hier eher dezent ausnehmen und auch seinen Schauspielkollegen – allen voran Tommy Lee Jones – genug Platz eingeräumt wurde. Das macht den Film zwar nicht zu einem typischen Seagal-Film, aber es ist deutlich erkennbar, dass ein Bruce Willis oder Arnold Schwarzenegger in dieser, von STIRB LANGSAM inspirierten Geschichte, nicht funktioniert hätten. Seagals ganz eigene Präsenz macht die Mischung aus großem Actionkino und seagal’schem Hau Drauf-Film erst aus. Fans beider Lager können somit mit ALARMSTUFE: ROT zusammen Spaß haben – und das ist doch auch was wert.
Nicht zwangsläufig Seagals bester Film, aber definitiv einer seiner Besten, ist ALARMSTUFE: ROT gelungenes Actionkino mit einem Hauch Handgelenksbruch™.