OT: Gæsterne
HORROR: DK, 2023
Regie: Christian Tafdrup
Darsteller: Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Fedja van Huêt
Björn und Luise aus Dänemark lernen beim Italienurlaub ein Paar aus den Niederlanden kennen. Man versteht sich gut - und nimmt die Einladung, mal ein Wochenende in den Niederlanden zu verbringen, gerne an. Doch recht bald schleichen sich Irritationen ein: Warum fährt der angeblich so erfolgreiche Arzt eine rostige alte Volvo-Schüssel? Wo hat er seine Tischmanieren gelassen? Und warum spricht sein kleiner Bub kein Wort? Björn und Luise wollen keine unhöflichen Gäste sein. Doch hätten sie längst die Flucht antreten sollen ...
Wenn Dänen im Ausland urlauben, geht das selten gut aus. Nach HOLIDAY kommt nun ein weiterer filmischer Schlag in die Magengrube auf uns zu, entschieden drastischer und verstörender noch. Zum ersten Mal von SPEAK NO EVIL gehört habe ich im FM4 Filmpodcast, wo tatsächlich Vergleiche mit Salò gezogen wurden - zumindest was die mörderische Konsequenz und den Verstörungsfaktor dieses kleinen fiesen Schockers betrifft.
Regisseur Christian Tafdrup versteht es perfekt, eine Atmosphäre des schleichenden Unbehagens aufzubauen. Der Horror speist sich aus Real-Life-Situationen und tarnt sich sehr lange als Gesellschaftssatire. Wir haben hier ein politisch korrektes Bobo-Paar, erfolgreich gewiss, aber doch beruflich und sexuell frustriert, weil das kleine Kind offenbar immer noch im Ehebett schläft. Sie verbringen ein Wochenende mit dem freigeistigen, auf Konventionen nonchalant pfeifenden - nennen wir ihn mal: Non-Konformisten - in seiner abgelegenen Blockhütte.
Die Begrüßung ist herzlich, das Essen wunderbar. Aber anscheinend hat Patrick, so heißt der Gastgeber, vergessen, dass Luise Vegetarierin ist. Kann ja mal passieren. In Wahrheit war das bereits die erste von vielen subtilen, sich sukzessive verschärfenden Übergriffigkeiten, die sich irgendwann nicht mehr verlegen weglächeln lassen.
Großes Identifikationspotential gibt es mit diesen Charakteren nicht, das dürfte beabsichtigt sein. Und trotzdem hat mich der Film schon sehr früh sehr direkt abgeholt, mit den kleinen Details: Genau so ein Stofftier hatte meine Tochter damals auch. Der Däne fährt das selbe Auto wie ich. Zufall, klar. Doch wohl jeder von uns kennt diese Situationen, in denen du dich komplett unwohl fühlst, dir aber nichts anmerken lässt. Du willst ja nicht unhöflich sein. Du willst niemanden vor den Kopf stoßen. Du willst kein überhebliches, besserwisserisches Arschloch sein. Es ist doch nur vernünftig, Konfrontationen, die sowieso nix bringen, aus dem Weg zu gehen.
Dieser Film ist die perfekte Werbung für Selbstverteidigungskurse oder um sich zu bewaffnen, schreibt Facebook-Freund Toni. Stimmt wohl. Ich rede mir lieber ein, dass mich meine tendenziell soziophobische Ader (eh nur "light" und nicht beeinträchtigend) hoffentlich vor einem Szenario wie diesem hier bewahren würde. Denn nie, nie, niemals würde ich eine Einladung von Wildfremden annehmen - zumal ich diese verlogene "Scheißfreundlichkeit" tausendmal schneller durchschaut hätte als der arglos-naive Björn.
Man merkt es vielleicht an meiner endlosen Schwafelei: Dieser Film spukt im Kopf herum, tagelang. Ich will nichts spoilern - außer, dass er seinem Ruf auf unglaublich drastische Weise gerecht wird. An dieser Stelle tatsächlich einmal eine Triggerwarnung: Für Eltern ist das, was im letzten Drittel passiert, nahezu unaushaltbar - ist doch explizite Gewalt gegen Kinder eines der letzten filmischen Tabus.
Und was sagt Volkes Stimme im Netz dazu?
"Dieser Film ist einfach nur krank!"
"Eins der schlechtesten Filme allerzeiten!!!"
"Die jenigen, die den Film gedreht haben, sollten ab sofort Filmverbot erhalten!!!"
Ich denke, das sollte Empfehlung genug sein. Aber nur für Connaisseure abseitiger Schockware.
Nimm niemals Einladungen von Wildfremden an! Einer der kontroversesten filmischen Magengrubenschläge der letzten Jahre kommt aus Dänemark und ist ab sofort auf prime bzw. Silberscheibe erhältlich.
In diesem Sinne: "Warum tust du uns das an?" - "Weil du mich lässt!"