OT: Glissements progressifs du plaisir
SURREALER EROTIKTHRILLER/NEO-NOIR: Frankreich, 1974
Regie: Alain Robbe-Grillet
Darsteller: Anicée Alvina, Olga Georges-Picot, Michael Lonsdale, Jean Martin
Eine Frau ersticht ihre Mitbewohnerin mit einer Schere und wird von einem Kommissar festgenommen. Anschließend wird sich abwechselnd von ihrer Anwältin und einem Richter nach dem Tathergang befragt. Doch ist sie tatsächlich schuldig bzw. hat der Mord tatsächlich stattgefunden?
Alain Robbe-Grillets (TRANS-EUROP-EXPRESS, LA BELLE CAPTIVE) Film SLOW SLIDINGS OF PLEASURE (1974) beginnt wie ein klassischer Film noir, der sich jedoch sehr bald in einem Gespinst aus surrealen Träumen verliert. Die eigentliche Kriminalhandlung bildet nur einen losen Rahmen für die erotischen Fantasien der Protagonistin und der weiteren Beteiligten. Der Gesamteindruck, den SLOW SLIDINGS OF PLEASURE vermittelt, ist von daher mehr der eines surrealen Erotikfilms, der irgendwo zwischen den Fantasien eines Jess Franco (VENUS IN FURS) und der Welt des deutschen Fotografen Helmut Newton angesiedelt ist.
Der Titel SLOW SLIDINGS OF PLEASURE ist äußerst treffend gewählt. Der Film ist nicht nur die meiste Zeit über fast quälend langsam, sondern dreht sich in erster Linie um das erotische Begehren der Hauptdarstellerin. Doch auch ihre Anwältin, der Richter und die allgegenwärtigen Nonnen stecken voller erotischer Fantasien. Allerdings sind jene oftmals eher repressiver Natur. Alain Robbe-Grillet spricht selbst von der Hauptdarstellerin als einer Verkörperung der Freiheit. Die sie umgebende Welt in der Form der ihr aufgezwungenen Bezugspersonen versuchen diese Freiheit jedoch laufend einzuschränken bzw. sie dafür zu betrafen, dass diese Frau sich einfach diese Freiheit nimmt.
In einer Schlüsselszene, in der die namenlose Protagonistin im Beichtstuhl sitzt, macht sie den Priester darauf aufmerksam, dass ihr Handeln nur natürlich sei, während er seine wahren Wünsche die ganze Zeit über zu unterdrücken versuche. Anstatt also sie zu tadeln und zu bestrafen, wäre es sinnvoller, wenn endlich auch er anfangen würde, seine Fantasien auszuleben. Und auch wenn es nicht wirklich klar ist, ob diese Hauptdarstellerin schuldig im Sinne der Anklage ist, so wirkt sie auf jedem Fall zu jeder Zeit wie die reine Unschuld in Person. Egal ob sie gerade in ihrer Zelle nackt am Fenster steht und ein Tonband mit lustvollem Stöhnen hört oder eine andere nackte Frau mit rohen Eiern "verziert", immer schaut sie so, als ob all dies die natürlichste Sache der Welt wäre.
Aber nicht nur die zahllosen rätselhaften Traumsequenzen bzw. absurden realen (?) Szenen machen SLOW SLIDINGS OF PLEASURE zu einem ebenso ungewöhnlichen, wie bemerkenswerten Film. Auch strukturell ist dieses Werk eines der Begründer des Nouveau Roman äußerst experimentell. Nicht nur, dass es letztendlich unentscheidbar bleibt, was nun Wirklichkeit und was reine Fantasie ist. Zusätzlich arbeitet der Film mit zahlreichen fast subliminalen Flash forwards, welche sich im Verlaufe der Handlung nach und nach oft zu eigenständigen Szenen auswachsen, welche jedoch zumeist weiterhin dem direkten Kontext entzogen zu sein scheinen. Insgesamt ist dies ein ebenso anstrengender, wie auch faszinierender und im Gegensatz z.B. zu dem doch recht sterilen LA BELLE CAPTIVE auch überaus poetischer Film.
Alain Robbe-Grillets SLOW SLIDINGS OF PLEASURE zeigt eine erotische Traumwelt, welche den feuchten surrealen Träumen eines Jess Franco oder eines Helmut Newton zu entstammen scheint. Doch auch, wenn der Film über weite Strecken fast wie ein Arthouse-Erotic-Clip wirkt, so behandelt er doch zugleich Themen wie (die Unterdrückung von) Freiheit im Rahmen einer experimentellen Struktur, wie sie wohl nur dieser Schriftsteller/Regisseur erschaffen konnte. Wie die meisten Filme von Alain Robbe-Grillet, ist auch GLISSEMENTS PROGRESSIFS DU PLAISIR bisher nur in Italien (mit französischem O-Ton und italienischen Ton/Untertiteln) erschienen.