OT: Top Sensation
GIALLO & FRIENDS: ITALIEN, 1969
Regie: Ottavio Alessi
Darsteller: Rosalba Neri, Edwige Fenech, Maud Belleroche, Eva Thulin
Auf einem Yacht tummeln sich eine dominante Ölmillionärin, ihr zurückgebliebener Sohn, ihr Liebhaber und potentieller Erbe, dessen Frau und eine Prostituierte. Während der kindliche Sohn trotz professioneller Nachhilfe standhaft sein erstes erotisches Erlebnis verweigert, treiben es alle kunterbunt durcheinander, denn "Bi zu sein ist eine Gnade!". Aber dann läuft man in der Nähe einer Insel auf eine Sandbank, und die Schiffsbesatzung lernt ein unschuldiges Ehepaar kennen. Kurz darauf steigt eine Party mit Alkohol und Sex, die mit einem Mord endet
Zwei Sirenen, die sich in der Sonne räkeln, gegenseitig einölen und ansonsten ihrem dekadenten Lastern frönen - seltene Momente, von denen man weiß, dass sie perfekt sind. Noch dazu räkeln sich da mit Rosalba Neri - im schwarzen Lack-Bikini - und Edwige Fenech - im goldenen Ketten-Dessous - nun nicht irgendwelche Modells, sondern die Göttinnen des Giallo schlechthin. Und wenn sie im Bild sind, bleibt die Zeit einfach stehen.
Aber anstatt sich einfach 80 Minuten lang an anbetungswürdigen Körpern in Wallung zu ergötzen, hält Ottavio Alessi seinem Publikum einen Spiegel vor. Zwar zeigen weder die Damen noch die anderen Anwesenden irgendwelche Hemmungen, ja mehr noch, man lässt sich dabei sogar bewusst beobachten, möglichst unmoralisch zu sein. Aber er zeigt auch, wohin das zügellose Leben führt: Da schmeißt man Dynamit ins Wasser, um zu sehen, wie viele Tiere daran sterben, und bedauert, dass es keinen Hai erwischt hat. Edwige lässt sich von einer Ziege lecken (in Deutschland leider geschnitten), die Rosalba danach aus purer Jagdlust erschießt. Den finanziellen Verlust des Ziegenhirten gleicht man mehr als großzügig aus, und erkauft sich damit auch sein Schweigen.
Alessis Film ist ein Statement zum moralischen Bewusstsein unserer Gesellschaft: Tatsächlich ist keine einzige Figur wirklich positiv, selbst die beiden mittellosen, aber scheinbar glücklichen Inselbewohner sind schnell von den triebhaften Gelüsten übermannt. Und passenderweise ist der Sohn - der einzige, der sich dem Treiben entzieht - aus Sicht der Anderen "krank" und "geistig zurückgeblieben". Das Problem dabei nur ist, entweder ist dem Publikum diese Allegorie egal, weil es nur nackte Tatsachen sehen will, oder es schaut sich diesen Film erst gar nicht an. Alessi schafft es leider nicht, diesen Widerspruch aufzulösen.
Ein weiteres Problem: Der Film findet keinen passenden Rhythmus. Einerseits will er eine spannende Geschichte erzählen und zieht dafür das Tempo an. Es geht direkt nach dem Titelvorspann los, wir sind sofort mittendrin. Die eigentlich schönen, erotischen Szenen stehen da aber als Hemmschuh mehr im Weg. Manchmal wünscht man sich, Alessi wäre relaxter gewesen und hätte sich einfach mehr Zeit genommen. Vor allem der Schluss ist arg hingeschludert. So plötzlich, wie der Film angefangen hat, so plötzlich ist er auch vorbei.
Allerdings muss man mit allen Kritikpunkten sehr vorsichtig sein, denn die Fassung, die der Rezension zugrunde liegt, ist allenfalls eine Rumpffassung der seinerzeitigen italienischen Kinofassung, und sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Erhältlich sind drei verschiedene VHS-Versionen, die sich anscheinend in Laufzeit, Handlung, Alternativszenen, Musikeinsatz und vor allem auch beim Ende unterscheiden. Dabei will ich von den nachträglich in der deutschen Fassung eingefügten Szenen eines Polizeiduos gar nicht erst anfangen, denn dass diese Comic-Relief-Einlagen im Film überhaupt nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst.
So bleibt dann ein etwas - ähem - unbefriedigender Eindruck zurück. Eine feine Neuabtastung dieses durch und durch verdorbenen Films würde vermutlich nicht nur Rosalbas und Edwige makellose Körper erstrahlen lassen, sondern den ganzen Film erhellen. Nachdem aber alle Versuche bislang an der unklaren Rechtslage scheiterten, bleibt dieses Juwel vielleicht für immer unpoliert.
Eine exquisite High Society auf dem Sonnendeck einer Yacht, die sich gegenseitig vögelt, skrupellos alles nimmt, wonach ihr ist, und auch vor Mord nicht zurückschreckt. Wer mit dem Begriff "sleazy" nichts anfangen kann, hier ist Nachhilfe. Und mittendrin die beiden schönsten Göttinnen, die der Giallo hervorgebracht hat. Wenn der Film sich entschieden hätte, auf den moralischen Zeigefinger zu verzichten, hätte er ein Sexploiter für die Ewigkeit werden können.