DRAMA: D, 2023
Regie: Frauke Finsterwalder
Darsteller: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Georg Friedrich, Stefan Kurt
Eine Frau, nimmer ganz jung, bekommt die Chance ihres Lebens: Für die berühmteste, schönste, begehrenswerteste und überhaupt tollste und großartigste Frau ihrer Zeit zu arbeiten. Man schreibt das Ende des 19. Jahrhunderts, und die Rede ist natürlich von Elisabeth, der Kaiserin von Österreich-Ungarn. Honiglecken wird das freilich keines, auch wenn Haschisch und Kokainextrakt auf den Tisch kommen ...
Hat die Welt wirklich noch einen Sisi-Film gebraucht? Berechtigte Frage, klare Antwort: Ja. Weil die Regisseurin Frauke Finsterwalder heißt. Viele Menschen haben ihr groteskes und - nomen est omen - finsteres Deutschland-Portrait FINSTERWORLD von 2013 nicht gesehen. Aber wer diesen Film gesehen hat, hat ihn sicher nicht vergessen. Verantwortlich dafür ist eine wahrlich unfassbare Szene. Vielleicht die ärgste und beklemmendste Szene, die man sich in einem deutschen Film vorstellen kann. Die ich auch nach zehn Jahren nicht spoilern möchte. Schließt die Bildungslücke und holt den Film nach. Findet ihr auf prime.
Wenn sich diese Regisseurin an eine Sisi-Verfilmung wagt, ist ein ungewöhnlicher Zugang garantiert. Der Film hat ein bisschen das Pech, zur selben Zeit, aber unabhängig von CORSAGE entstanden zu sein. Jetzt startet er quasi im Aufmerksamkeitsdefizit-Schatten von CORSAGE im Kino, ist aber meines Erachtens der bessere Film. Formal weniger streng, dafür mit deutlich stärkerem emotionalem Punch.
Susanne Wolffs Sisi ist - ich hoffe, niemand dreht mir einen Strick aus dieser Aussage - die feschere, ja, sexyere Kaiserin als Vicky Krieps. Weil sie die Haare fast immer offen hat, weil sie wider jeglicher historischer Authentizität Make-up trägt und überhaupt in jeder Szene agiert wie eine arrogante, aber super-charismatische Pop-Diva aus dem 19. Jahrhundert. Aber mit sehr heutigen a.k.a. abstrusen Ernährungs- und Fitness-Ritualen. Und Anwandlungen, die man heute wohl Borderline nennen würde.
Erzählt wird aus der Perspektive ihrer Hofdame - heute würde man sagen - Personal Assistant Irma, gespielt von Sandra Hüller, einer der mutigsten deutschen Schauspielerinnen überhaupt. Wir kennen sie als Exorzismus-Opfer in Hans-Christian Schmids REQUIEM (2006) und natürlich als Business-Lady in TONI ERDMANN (2015), die sich auch schwierige Nacktszenen traut und unfallfrei Whitney Houston-Songs darbietet.
Auch wenn Hüller alles kann - körperliches Drama und groteske Komödie - überrascht es doch, wie lustig dieser Film über weite Strecken ist. Es wird gekifft und gekuttert, im Meer gebadet und herumgealbert wie in einem Coming of Age-Film. Die Szenen in Griechenland, wo die erste Hälfte spielt, sind auch visuell toll: Großartiges Licht, flirrende Bilder, fast zu schön um wahr zu sein. Unterlegt mit Musik von heute (bzw. aus den Neunzigern): Portishead, Le Tigre, Peace Orchestra, einmal auch Nico.
Ein poppiges, pseudo-historisches Feelgood-Movie also? Von dieser Regisseurin? Nein, kann ja nicht sein. Natürlich nimmt der Film dramatische Wendungen (auch wenn er sich im Mittelteil ein wenig verzettelt). Es geht letztlich um unerwiderte Liebe und unerfüllte Leidenschaft. Kennt vielleicht der/die eine oder andere auch aus dem richtigen Leben. Ist aber im Kino natürlich viel schöner. Ich finde diesen Film toll und empfehle ihn ausdrücklich.
Noch ein Sisi-Film? Hat das die Welt gebraucht? Ja, weil die unberechenbare Regisseurin Frauke Finsterwalder (FINSTERWORLD) einen ungewöhnlichen Zugang verspricht. Weil er visuell top und großartig gespielt ist. Und weil ein Film gar nicht schlecht sein kann, wenn er mit einer Portishead-Nummer beginnt.
In diesem Sinne: "Ich ertrage keine Männer und dicke Menschen um mich herum!"