OT: The Offence
PSYCHOTHRILLER - DRAMA: UK, 1973
Regie: Sidney Lumet
Darsteller: Sean Connery, Ian Bannen, Trevor Howard, Vivien Merchant,
Polizei-Sergeant Johnson (Sean Connery), seit zwanzig Jahren im Polizeidienst, ist mit einem Kinderschänderfall beschäftigt. Ein Verdächtigter wird gefasst, und obwohl es nur Indizien aber keine Beweise gibt, ist Johnson fest von der Schuld des Mannes überzeugt. Das Verhör des vermeintlichen Sexualtäters (Ian Bannen) läuft komplett aus dem Ruder, konfrontiert Johnson mit den innersten Dämonen seiner in 20 Dienstjahren schwer beschädigten Seele, und führt schließlich zum Tod des Verdächtigen.
Boah, was für ein Downer. Und was für ein toller Film!
The Offence, so der Originaltitel, ist ein zu Unrecht verkanntes Meisterwerk. Sidney Lumet gelingt es, mit einer gnadenlosen Kamera, mit schrittweiser Visualisierung von Bildern im Kopf Johnsons, den bewusst trostlos gehaltenen Innen- wie Außenräumen und Farben, sowie mit einer ellipsenförmigen Schlüsselszene eine bemerkenswerte Einheit von Inhalt und Form zu schaffen. Die dissonante Filmmusik verstärkt diese Wirkung noch. Und Sean Connery liefert eine überragende Leistung in der Rolle des nach außen harten und kompromisslosen, innerlich aber völlig zerrütteten Ermittlers ab, den die unzähligen grauenhaften Eindrücke seiner jahrelangen Polizeiarbeit nicht mehr loslassen. Meiner Meinung nach eine der besten, wenn nicht sogar die beste und intensivste Rolle seiner Karriere.
Schon zu Beginn sehen wir, wie Polizisten ein Verhörzimmer stürmen, in dem Johnson offenbar ausgerastet ist und Baxter zusammengeschlagen hat. Der Film springt dann zurück und zeigt die Jagd nach dem Kinderschänder, bis Baxter zufällig betrunken aufgegriffen wird. Auch dann bekommen wir nur den Anfang und das Ende des Verhörs zu sehen. Doch was geschah zwischen diesen Bildern in dem Raum? Eine Befragung Johnsons durch einen eilig herbeigerufenen Untersuchungsbeamten soll Licht auf die Tragödie werfen. Es wird eine Nacht, die alle Beteiligten an ihre nervlichen Grenzen bringen.
Der Film ist ein Psychothriller im engsten Sinn des Wortes. Die Psyche Johnsons, das wird bald klar, ist schwer gestört. Im Laufe des Films beschleicht den Zuseher immer stärker das Gefühl, dass Johnson seine eigenen, triebhaften Wünsche und Gedanken auf den Verdächtigen projiziert, sich quasi selbst verhört, sich verabscheut und somit in seinen eigenen Abgrund blickt. Augenscheinlich ist es zwar Johnson, der den potenziellen Täter analysiert, und - wie er sagt - in ihm lesen will wie in einem Buch.
In Wahrheit seziert der Film jedoch Detective Johnson selbst messerscharf, sei es bei der Arbeit oder im Umgang mit seinen Kollegen oder seiner Frau, mit der er eine offensichtlich abgestumpfte, lieblose Ehe führt. Darin zeigt sich die Meisterhaftigkeit dieses gnadenlosen und unheimlich bedrückenden Films.
Regisseur Lumet findet perfekte Bilder um das Innenleben seines Protagonisten zu spiegeln. Der Himmel ist wolkenverhangen, die Farben ausgewaschen, meist ist es Nacht und es regnet. Die im Film zu sehende Architektur ist ein Alptraum aus kaltem Beton, die Landschaft offen, karg und abweisend. Der einzige Sonnenstrahl, der diesen Film erhellt, findet bezeichnenderweise nur im Kopf Johnsons statt und beleuchtet das Gesicht eines kleinen Mädchens, ein Opfer des Kinderschänders.
Connery spielt einfach grandios; der Film war ein Wunschprojekt, das er im Gegenzug für einen letzten Bond-Auftritt in "Diamantenfieber" finanziert bekam. Es war ihm wohl sehr ernst mit diesem Projekt. Seine Darstellung ist unglaublich intensiv, und manchmal scheint er sich hinter dem dicken Mantel, seinem Schnurrbart und unter seinem Hut geradezu verstecken zu wollen, vor den Menschen, die ihn durchschauen könnten, wohl aber vor allem vor sich selbst. Sein finsteres, verzweifeltes Spiel verdeutlicht aber, wie aussichtslos dieser Versuch sein muss. Denn am Ende werden wir immer auf uns selbst zurückgeworfen.
Selten wurde die zerrissene Seele eines Mannes düsterer in Szene gesetzt.
Ein Mann wird mit seinen inneren Dämonen konfrontiert.
Ein genialer Film. Ein fordernder Film. Nichts für Menschen mit depressiven Phasen und gänzlich ungeeignet für einen fröhlichen Filmabend mit Popcorn und Bier.