DOKUDRAMA: ÖSTERREICH, 2011
Regie: Arman T. Riahi
Darsteller: Nazar, Vahid Bubalo, Mustafa D.
Der Film dreht sich um den 25-jährigen iranstämmigen Wiener Rapper Nazar, der nach vierwöchiger Untersuchungshaft aus dem Gefängnis entlassen wird. Während er anfängt an seinem nächsten Album zu arbeiten, tauchen wir ein in die Welt der jungen männlichen Migranten mit ihren Problemen und Träumen ...
KRITIK:Rap ist ein Geschenk des Himmels. Ist die demokratischste Kunstform, die man sich überhaupt vorstellen kann, weil sie jedem Menschen zugänglich ist. Rap ist postmoderne Poesie. Rap ist Straßenlatein (Tatwaffe). Rap schafft eine Plattform, dient als Sprachrohr um die Probleme und Sehnsüchtige von Jugendlichen zu beschreiben. Rap ist Ventil und Therapie, ist eine der tollsten Formen der Freizeitbeschäftigung. Rap macht Spaß. Rap ist eine Art Rückkehr in den Uterus zum beruhigend wogenden Takt des Herzschlages der Mutter.
Rap ist aber nur der Weg und nicht das Ziel, denn sonst landet man schnell in einer Sackgasse. Anstatt die Lehren aus den Gedanken und Texten zu ziehen, verharrt man sonst in einem Zustand sozialer und künstlerischer Reproduktion. Das Leben ist so hart, alles dreht sich nur ums Geld, ich reiß mich jetzt zam, ich mache mir keine Illusionen mehr...
Gut, wenn wir endlich soweit wären, dann kann man ja den Worten Taten folgen lassen, aus den zugegebenermaßen guten und richtigen Erkenntnisse auch die richtigen Schlüsse ziehen. Ist aber keine Stärke meiner oder auch irgendeiner anderen Generation, ob man jetzt Migrationshintergund hat oder nicht.
Die Welt verbessern? Nein, ich nehm lieber den sicheren Job. Runter von der Straße, sich zusammenreißen? Nein, es macht mehr Spaß mit Freunden abzuhängen. Und den Rap als Weg mit dem Rap als Ziel zu verwechseln.
Wieviele Gangster-Rapper sind eigentlich kommerziell erfolgreich? Bushido und Sido (der ja eigentlich schon als Satire durchgeht) vielleicht, aber dann? Die Fantas und Fettes Brot gehören noch zu den wenigen im deutschen Sprachraum, die sowas wie "reich" geworden sind. Die kommen aber aus der Mittelklasse und decken andere Themen ab. Von den restlichen bekannten Rappern können sich die erfolgreicheren noch eine eigene Wohnung und einen Kleinwagen leisten. Das heißt also ein einziger klassischer Gangsta-Rapper unter etwa 100 Millionen deutschen Muttersprachlern, der in einer Villa haust. Und hunderte bis tausende, die ihn und seine Codes nachahmen, anstatt zu versuchen etwas Neues zu kreieren.
Nazar ist einer von diesen jungen, kreativen Menschen aus schwieriger Familie, dessen Vater früh gestorben ist, dessen Mutter die ganze Zeit arbeitete um ihm ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, dessen Kindheit und Jugend durch seine Andersartigkeit geprägt war, durch das Wissen weniger zu haben und durch Anpassungsschwierigkeiten. Wie viele andere hat auch er die Liebe zum Rap entdeckt und lebt sich auf der Bühne und in seinen Texten aus. Die sogar sehr gut sind, abgesehen von ein paar geschmacklosen, oder nennen wir es politisch unkorrekten, Entgleisungen, und durchaus Tiefgang haben.
Er fühlt sich nicht zugehörig, aber hauptsächlich weil er immer wieder daran erinnert wird. Er und seine Freunde wissen, dass sie mit ihrer Musik und ihren Sportwetten nicht zum großen Geld kommen werden, im Grunde wussten sie es schon immer. Aber trotzdem fiel es ihnen so unglaublich schwer, das richtige zu tun. Sie sagen es selbst, sie saßen auf der Straße und überlegten sich, ob sie jetzt alle gemeinsam für die Schule lernen sollten oder einfach jeden kaputtmachen, der ihnen blöd kam. Das ist so eine haarscharfe Trennungslinie, die wohl in jedem Menschen vorhanden ist.
Warum aber gehen die einen diesen Weg während die anderen sich anders entscheiden? Es gibt hunderte Theorien dazu. Schwarzkopf macht nicht den Fehler diese Frage beantworten zu wollen. In differenzierten Grautönen gelingt es Regisseur und Autor Arman T. Riahi, der übrigens bei der "Sendung ohne Namen" und "Sunshine Airlines" erste Sporen verdienen konnte und dessen Bruder Arash bei österreichischen Kinofilm "Ein Augenblick Freiheit" Regie führte, ein feinfühliges Portrait einer verlorenen Jugend zu pinseln.
Er bedient sich dabei der (Bild-)Sprache dieser Generation, und dreht dabei einen gigantischen und ausgereiften Videoclip um den dokumentarischen und moralischen Charakter seines Filmes zu verstecken. Der Zeigefinger ist erfreulicherweise zuhause geblieben, und vielleicht wirken die Aussagen dieses Filmes gerade deswegen sehr viel stärker auf die Zielgruppe, weil sie von ihren Idolen selber kommen.
Nazar und seine Freunde leiden sicher nicht unter einem Mangel an Street Credibility, sie sind aber gleichzeitig auf eine ebenso authentische Weise ziemlich selbstkritisch und dadurch (zumindest in mit Sicherheit doch zumindest ein wenig selektiven Wahrnehmung des Films) glaubhafte Vorbilder für den Teil der Jugend, der einen ähnlichen Hintergrund und ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Hoffen wir, dass dieser Film sie erreicht und dass sie die richtigen Schlüsse aus ihm ziehen.
Schwarzkopf ist also ein Film über das Erwachsenwerden ohne den Einfluss der Eltern, eine Art Coming-of-Age Story im Migrantenmilieu, der uns vor allem eines zeigt: Vielleicht sollte man doch hin und wieder auf die Altvorderen hören. So kann man sich doch ganz schön viel Lehrgeld ersparen. Das Problem vieler Migrantenkinder ist allerdings, dass ihre Eltern aufgrund von sprachlichen Schwierigkeiten und geringer Ausbildung keine glaubhaften Vorbilder in der Gesellschaft abgeben und sich schwer tun, ihnen die richtige Richtung zu zeigen. Daher müssen sie am Leben selbst lernen. Und wenn man dann endlich reif genug ist, falls man das überhaupt jemals wird, ist es für viele schon zu spät.
In diesem Sinne: "Tatsache ist, dass du illegal sehr viel schneller zu Geld kommst. Da fragt dich keiner wo du herkommst und welche Ausbildung du hast."
Schwarzkopf ist eine differenzierte, mitreißende, visuell überzeugende und bei der Diagonale 2011 mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Spielfilmdoku über den (zumindest im Film) geläuterten Wiener Rapper Nazar und sein Umfeld, deren Träume vom schnellen Geld und der erfolgreichen Rapperkarriere wie die Seifenblasen platzen. Sehr sehenswert. Und fetter Sound!