OT: The Quatermass Xperiment
SCIENCE-FICTION: GB, 1955
Regie: Val Guest
Darsteller: Brian Donlevy, Jack Warner, Richard Wordsworth, Margia Dean
Die erste bemannte Rakete ist von Großbritannien aus erfolgreich ins All gestartet. Ihre Rückkehr zur Erde endet allerdings in einer Bruchlandung auf einem Acker. Der leitende Wissenschaftler Quatermass (in der deutschen Fassung blasphemischerweise zum Chefingenieur Brown verkommen) kann nur noch einen seiner drei Astronauten lebend bergen. Niemand ahnt, dass sich in den überlebenden Raumfahrer Carroon ein außerirdischer Organismus eingenistet hat, der den Mann langsam aber sicher zur tödlichen Gefahr für seine Mitmenschen werden lässt ...
Noch bevor sie mit CURSE OF FRANKENSTEIN (Frankensteins Fluch, 1957) und THE HORROR OF DRACULA (Dracula, 1958) ihren Namen untrennbar mit dem klassischen Gruselfilm verwoben, hauten die britischen Hammer Studios 1955 eine heutzutage etwas übersehene, aber nichtsdestotrotz verdammt tiefe Kerbe ins Klassikerholz des phantastischen Films.
In diesem Jahr nämlich engagierte Produzent Anthony Hinds den Filmemacher und Drehbuchautor Val Guest, um die erfolgreiche BBC-Serie THE QUATERMASS EXPERIMENT für die große Leinwand zu adaptieren. Das Skript entstand in Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Richard Landau und orientierte sich eng an der Handlung des TV-Mehrteilers. Will heißen, hier wie dort erleidet die bemannte von der Titelfigur Professor Bernard Quatermass initiierte Raketen-Expedition ins All Schiffbruch und von den drei Besatzungsmitgliedern kehren zwei nicht mehr am Stück und einer auf grauenhafte Weise verändert zurück. Der überlebende Astronaut mutiert langsam zu einem grotesken Wesen und wird schlussendlich zur Gefahr für die gesamte Menscheit.
Somit ist Hammers THE QUATERMASS XPERIMENT einer jener Science Fiction-Streifen, die ähnlich wie DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT, DIE FLIEGE, Bavas PLANET DER VAMPIRE oder ALIEN auch ausgezeichnet als Horrorfilm funktionieren. Mit dem gekonnten Zusammenspiel von Science Fiction und Horror-Elementen sowie dem Einbringen einer wissenschaftlichen Perspektive beschwört THE QUATERMASS XPERIMENT bereits in den Fünfzigern eine überdeutliche Vision dessen herauf, was einige Jahrzehnte später das Geheimrezept der X-FILES werden sollte.
Hierzulande kam die Hammer-Adaption im Mai 1956 unter dem Titel SCHOCK (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen italienischen Horrorfilm von Mario Bava) in die Kinos. Dabei erlitt in der deutschen Fassung nicht nur der Film, sondern auch gleich die Hauptperson eine Umbennung. Aus Professor Quatermass wurde "Chefingenieur Brown" - und das aus noch unerfindlicheren Gründen wie beim vom deutschen Verleih fast schon krankhaft betriebenen Umtaufungswahn im Italowestern, wo aus jedem Helden ein Django gemacht wurde; ganz gleich ob er im Original nun Joe, Pete, Clayton oder Rumpelstilzchen hieß. Da die alte Kinosynchronisation ansonsten gut gelungen und im Vergleich zu den teils arg schnarchigen Dialogbüchern anderer zeitgenössischen B-Movie-Kollegen gar mit einigen gepfefferten Sprüchen aufwartet, soll ihr der kleine Affront nochmal verziehen sein.
Ob unsere Hauptperson nun richtigerweise "Quatermass" oder wie in der deutschen Version "Brown" heißt, ob nun Professor oder Chefingenieur; Quatermass ist eine Filmfigur, die im Gedächtnis bleibt. Nicht zuletzt wegen ihres nicht sehr sympathisch gezeichneten, kühlen, despotischen Charakters. Die heldentypische Weste in herkömmlichem Blütenweiß will ihr nie so recht passen. Quatermass ist ein Mann mit leichtem Hang zur Skrupellosigkeit; quasi der Baron Frankenstein unter den Raketenwissenschaftlern. Ist es doch seine Arbeit, die indirekt dafür verantwortlich ist, dass ein tödlicher außerirdischer Organismus den Weg auf die Erde gefunden hat. Quatermass setzt zwar im Verlauf der Handlung alles daran, dass das durch sein Experiment hervorgerufene Monstrum wieder unschädlich gemacht wird, dennoch scheint die Forschung für ihn einen höheren Stellenwert als die mögliche Gefährdung von Menschenleben zu besitzen. Das schlechte Gewissen, welches noch die von Reginald Tate gespielte Titelfigur in der TV-Serie plagt, merkt man dem schneidigen Brian Donlevy als dem Quatermass der Hammer-Version jedenfalls in keiner Sekunde an.
Der (un-)heimliche Star der Geschichte ist jedoch unzweifelhaft der überlebende Raumfahrer Victor Carroon. Fast noch beunruhigender als der in der zweiten Filmhälfte dann tatsächlich amoklaufende außerirdische Organismus ist zunächst die schleichende Verwandlung des von Richard Wordsworth gespielten Astronauten. Was später in einem anderen Klassiker des SciFi-Horrorfilms, nämlich DIE FLIEGE mit Vincent Price (und noch mehr in dessen formidablen, ungleich bizarreren Remake von David Cronenberg aus dem Jahre 1986) viel konzentrierter beleuchtet werden sollte, nimmt SCHOCK schon ein bisschen vorweg: Die Metamorphose in etwas Nichtmehr-Menschliches. Dabei ist Richard Wordsworth die ideale Besetzung für den bedauernswerten Raumfahrer Carroon, der als hageres, apathisches mit einem außerirdischen Parasiten verseuchtes Wrack auf die Erde zurückkehrt, nur um dort unweigerlich und ohne auf medizinische Hilfe hoffen zu können, zu etwas Anderem zu werden. Wordsworth gelingt es auf eindringliche Weise sowohl den tragischen als auch den unheimlichen Kern dieser Figur herauszuarbeiten. In dem einen Moment weckt dieser hilflose, ausgemergelte Mann auf der Krankenbahre noch unser Mitleid; im nächsten schon unsere Furcht, wenn er etwa seine besorgte Ehefrau hinter deren Rücken mit diesem merkwürdig hungrigen Blick taxiert...
Für damalige Verhältnisse wartet der Film mit recht graphischen "Menschen, Monster, Mutationen"-Einlagen auf, die seinerzeit bei den britischen Zensurbehörden für ähnliches empörtes Ensetzen gesorgt haben wie in den Achtzigern ein Zombiefilm von Lucio Fulci in der für ihre empfindsamen Gemüter bekannten Bundesprüfstelle. Lustig außerdem, dass ein Werk, das die damalige Filmkritik als - ich zitiere Wikipedia- "barbarische Abwegigkeit" und "Ausgeburt einer unmenschlichen Phantasie" gebrandmarkt hat, heuer mit einer FSK 12-Freigabe fast schon kindergeburtstagsgeeignet ist.
Jugendfreigabe hin, Jugendfreigabe her: THE QUATERMASS XPERIMENT zählt nach wie vor zu den düsteren Vertretern des Creature Movie der 50er. Und er ist- wie ich finde- in Würde gealtert. Wo die Masken anderer Filmmonster aus den frühen Tagen längst ihren Schrecken verloren haben und heute nur noch lächerlich wirken, macht die Mutation aus SCHOCK immer noch eine gute Figur. Mit ihrer gallertartigen Beschaffenheit und den Tentakeln weckt sie nicht nur Erinnerungen an den BLOB, sondern scheint geradezu der monströsen Phantasie eines H.P. Lovecraft entsprungen zu sein. Ebenfalls bemerkenswert krude gestaltet sind die Opfer der Kreatur. Sieht man sich unter diesem Aspekt Tobe Hoopers viele Jahrzehnte nach SCHOCK entstandenen endzeitlichen Vampire-outta-space-Flick LIFEFORCE an, ist ein Déjà Vu-Erlebnis sehr wahrscheinlich.
Hatte Val Guest kurz zuvor noch mit der knuffigen Robin Hood-Verfilmung MEN OF SHERWOOD FOREST noch Hammers ersten Farbfilm überhaupt realisiert, kehrte man hier zum klassischem Schwarz/weiß zurück. Was man als Rückschritt betrachten könnte, kommt in Wahrheit der bedrohlichen Grundstimmung des Stoffes nur zugute. Für gotische Farbenspiele waren die Vampir- und Gruselfilme, die kurze Zeit später in den Bray-Studios der Hammer-Filmgesellschaft am Fließband hergestellt werden sollten, ohnehin mehr prädestiniert als Quatermass' dunkle Begegnungen der Dritten Art. Insbesondere als der Professor und Kollegen das Bildmaterial aus der Cockpit-Kamera der havarierten Rakete auswerten, kommen diese Aufnahmen wie Ausschnitte aus einem vergessenen Found Footage-Stummfilmhorrorfilm aus den Dreißigern daher.
Der geneigte Hammer-Freund muss zwar auf Eastmancolor verzichten; nicht jedoch auf einen herrlich beklemmenden Score aus den Notenblättern James Bernards, übrigens der Mann, der kurz darauf auch die ikonische Musik zu Hammers erstem DRACULA-Film schreiben sollte. Hier wie dort trifft Bernard den Ton der Bilder genau. Heißt konkret: Düster, unheilschwanger und von stetig wachsender (An-)Spannung.
Leider geht der letztendliche Showdown (der übrigens an keinem unberühmteren Ort als der geschichtsträchtigen Westminster Abbey itself spielt) etwas banal und zu plötzlich über die Bühne. Aber das soll den Wert von Quatermass' erstem Kinoeinsatz nur unwesentlich schmälern. Eine denkwürdige (weil moralisch nicht einwandfreie) Titelfigur, ein denkwürdiger Mutant und einige - Stichwort: Zoo!- denkwürdige Szenen sind nur ein paar Argumente; Guests bedrohliche Inszenierung und Walter J. Harveys brillante Schwarz/weiß-Fotografie andere, die SCHOCK zu einem Must-See für Conaisseure des alten phantastischen Films machen.
Übrigens markiert dieser Film nur den Einstand in die Quatermass-Trilogie. Die Hammer Studios produzierten mit QUATERMASS II (Feinde aus dem Nichts, 1957) und QUATERMASS AND THE PIT (Das grüne Blut der Dämonen, 1967) noch zwei weitere düstere Abenteuer um außerirdische Bedrohungen mit dem markanten Raketenforscher.
Noch vor FRANKENSTEINS FLUCH und DRACULA setzten die altehrwürdigen britischen Hammer Studios mit SCHOCK (alias THE QUATERMASS XPERIMENT) ihr erstes dickes Ausrufezeichen im phantastischen Film. In seiner Kino-Adaption der gleichnamigen britischen Fernsehserie lässt Val Guest Science Fiction und Horror so harmonisch wie unheilschwanger Hochzeit feiern, dass es kaum Zweifel gibt, welcher Film Chris Carter zu seiner legendären AKTE X inspiriert hat. Noch ohne gotische Farbenspiele in beklemmendem Schwarzweiß gedreht, aber schon mit James Bernards bedrohlicher Musik ausgestattet, zählt das QUATERMASS XPERIMENT nicht nur zu den herausragenden Werken eines an Meisterstücken ohnehin reichen Studios, sondern ist auch in Würde gealtert. Die irgendwo zwischen Lovecraft und dem BLOB verortete Mutation macht auch heute noch eine gute Figur.