OT: The Snowman
THRILLER: N/GB/USA, 2017
Regie: Tomas Alfredson
Darsteller: Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, Chloë Sevigny, Val Kilmer, J.K. Simmons, Charlotte Gainsbourg
Head like a Hole. Detektive Harry Hole (was für ein Name) ist eben schwer verkatert im Wartehäuschen einer Busstation aufgewacht. Ein neuer Fall reißt den alkoholkranken Ermittler aus seiner Lethargie: Ein Psychopath bringt junge Mütter um, dekoriert die Tatorte mit Leichenteilen und lässt gruselige Schneemänner als Visitenkarte zurück.
Verspätet, aber doch sitze ich in der Hollywood-Verfilmung des Krimi-Bestsellers des Norwegers Jo Nesbø. Gleich vorab ein Geständnis: Gelesen habe ich keinen einzigen der mittlerweile elf Krimi-Bände, die allesamt millionenfach verkauft wurden.
Und noch ein Geständnis: Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass mich der Film magisch angezogen hätte. Möglicherweise habe ich den Trailer ein paar Mal zu oft gesehen. Frage an dieser Stelle: Wann hat das eigentlich angefangen, dass Trailer drei Minuten und länger laufen und gleich den halben Film spoilern? Bin ich der Einzige, der das komplett daneben findet?
Und dann lese ich noch Vorab-Kritiken, in denen Unfreundliches von "nordischem Schema-F-Thriller" und "mangelnder Spannung" erzählt wird. Was leider stimmt. Dazu gleich mehr.
Aber andererseits: Einen Film mit einem derartig hochkarätigem Cast (Michael Fassbender, Charlotte Gainsbourg, Rebecca Ferguson, Val Kilmer, Chloé Sevigny und J. K. Simmons), der noch dazu von Martin Scorsese produziert wurde, einfach versäumen, das geht gar nicht.
Also zwänge ich ich an diesem Abend - es ist Halloween - eher lustlos in den völlig überfüllten Kinosaal und nehme zwischen lustig kostümierten, der österreichischen Kulturpraxis des "Vorglühens" bereits sichtlich gefrönt habenden Menschen Platz. Der großgewachsene Mann in der Reihe vor mir ist immerhin so freundlich, die Teufelshörner, die mir zu Beginn die Sicht auf die Leinwand komplett verstellt hatten, freiwillig abzunehmen. Weise Entscheidung. Ich hätte sie ihm irgendwann runter getreten.
Der Film ist dann exakt so, wie erwartet: Verworren. Nicht gerade rasend spannend. Erzählerisch in unzählige verwirrende Flashbacks und Subplots ausgefranst. Aber traumhaft fotografiert. Die gestochen scharfen, schneeverwehten Landschaftsaufnahmen sorgen tatsächlich für Gänsehaut. Die Schauspieler geben ihr Bestes, stehen aber gegen den verworrenen Plot auf verlorenem Posten. Michael Fassbender, der eigentlich alles spielen kann, überzeugt als suchtkranker, desillusionierter Mordermittler. Wobei: Ein Martin Scorsese, der ja anstelle von Thomas Alfredson für die Regie im Gespräch war, hätte diese Rolle wohl anders angelegt.
Es ist nämlich so: Fassbender bezichtigt sich zwar bei jeder Gelegenheit mit angemessener Leidensmine, ein jämmerlicher Säufer zu sein, der keine Liebe, kein Familienglück, rein gar nichts nicht im Leben verdient hat. Mimimimi. Allein, trinken sieht man ihn nie. Ein einziges Mal hält er ein Glas mit Hochprozentigem in der Hand, aber nur, um darin seine Zigarette auszudämpfen. Im Saal wurde jedenfalls entschieden mehr gesoffen als auf der Leinwand. Möglicherweise bin ich da ja in einen Betriebsausflug der Vice-Redaktion geraten. Ich sehe schon die Headline vor mir: "So fühlt es sich an, zu Halloween betrunken ins Kino zu gehen."
Was den Film letztlich sehenswert macht, sind die Schauspieler, die Atmosphäre und die Bilder. Dennoch hab ich mir während der Vorstellung das eine oder andere Mal gewünscht, lieber noch einmal die schneeverwehten Nordlichter-Film-Highlights EINER NACH DEM ANDEREN (mit Bruno Ganz als albanischer (!) Mafia-Pate, FORCE MAJURE oder COLD PREY zu sehen.
Michael Fassbender jagt einen psychopathischen Frauenmörder durch schneeverwehte norwegische Naturkulissen. Beachtliche Bilder in einem sehr gut besetzten nordischen Schema-F-Thriller. Das Erschreckendste sind allerdings nicht die Morde, sondern der körperliche Zustand von Val Kilmer. Tragisch ...