OT: Le Collectionneur des cerveaux
HORROR: FRANKREICH, 1976
Regie: Michel Subiela
Darsteller: Claude Jade, Francois Dunoyer, André Reybaz, Roger Crouzet
Vor ein paar Jahren hat die junge Pianistin Penny ihren Mann, einen Schachmeister, verloren. Da hört sie von einem Grafen, der einen Schachroboter entwickelt hat. Penny besucht einen Schachabend, in welchem der Roboter des Comte eine Partie gegen einen menschlichen Gegner bestreitet. Mit größter Beunruhigung bemerkt Penny, dass die Spieltaktik und Gestik des Roboters mit den Schachgewohnheiten ihres verstorbenen Mannes auf unheimliche Weise übereinstimmt. Sie beginnt zu argwöhnen, dass sich um die Arbeit des Grafen ein dunkles Geheimnis rankt. Und dann tritt der Comte auch an Penny heran und erzählt ihr von seinem nächsten Projekt. Er möchte eine mechanische Pianistin erschaffen. Und zwar nach Pennys Ebenbild ...
KRITIK:"Da ist doch was getürkt!" Dieses geflügelte Wort kennt wohl jeder. Ich zum Beispiel habe es zuletzt benutzt, nachdem ich irgendwo gelesen habe, dass Paris Hilton einen Intelligenztest absolviert hat und ihr danach ein IQ von 120 bescheinigt worden ist. Aber woher kommt eigentlich dieses "türken"?
Der Ursprung dieses Wortes ist eng mit dem ersten historisch verbrieften Schachcomputer verknüpft, der im Jahre 1769 von einem gewissen Wolfgang von Kempelen konstruiert wurde. Ihr beliebt mir nicht zu glauben? Mit Recht! Denn dieser Schachautomat war "getürkt". Er setzte sich zusammen aus einer orientalisch gekleideten Puppe, einem Tisch mit einem Schachbrett und einem darunter befindlichen Kasten. Und eben im letzteren hat ein im Schach bewanderter Mann gesessen und wie ein heimlicher Marionettenspieler die Partien für die Puppe bestritten. Wegen des orientalischen Tuchs des gefakten Automaten kam man auf die Wortkreation "türken".
Hätte man also Kempelens Schachdroiden damals mit Lederhosen ausstaffiert, würde man ein Täuschungsmanöver heutzutage umgangssprachlich wohl "etwas bayern" nennen.
Toll und warum erzählt er uns das jetzt, werdet ihr jetzt denken. Ganz einfach. Weil das vorliegende französische Schauerstück SCHACH DEM ROBOTER genreuntypisch keine Geister, Vampire, Werwölfe, Hexen oder Mumien in den Mittelpunkt seiner Handlung rückt, sondern einen Schachtürken. Dem wiederum wohnt in diesem Fall aber längst kein solch profanes Geheimnis wie dem Automaten von Kempelen inne, sondern etwas höchst Morbides.
Ersonnen hat die originelle Variante des klassischen HOUSE OF WAX-Motivs im Übrigen der Belgier George Langelaan, der wenig bekannterweise die Romanvorlagen für DIE FLIEGE mit Vincent Price und dem Cronenberg'schen Remake geliefert hat.
Bei der vorliegenden Verfilmung seiner Erzählung "Les Robots pensants" war Langelaan direkt beteiligt; hat er doch zusammen mit Regisseur Michel Subiela das Drehbuch verfasst.
Dieses spart konsequent alles Reißerische aus und gibt die Parole "Slowburn" aus. Und Subiela hat aus SCHACH DEM ROBOTER wahrlich einen Slowburner vor dem Herrn gemacht. Langsam, ganz langsam läuft diese Partie des Schreckens an. Langsam, ganz langsam geht sie weiter. Schritt für Schritt auf einen viertelstündigen Showdown inklusive morbider Auflösung zu.
Dazwischen webt Subiela eine ganz eigentümliche Stimmung aus Melancholie und leisem Unbehagen. All dies mit einer Beharrlichkeit, dass der Zuschauer bisweilen schon hart an der Grenze zur Narkose eingelullt wird. Eine ganz so große Intensitätsdichte oder- Zunahme wie in der Lava anderer Slowburner wie MALASTRANA, PERFUME OF THE LADY IN BLACK oder der mächtige KAIRO erreicht SCHACH DEM ROBOTER dadurch nicht.
Aber immer wieder diese außergewöhnlichen, selten erlebten Filmmomente. Insbesondere die mit dem Schachroboter. Den umgibt eine ganz eigentümliche Aura. Eine Mischung aus Traurigkeit und Düsternis; und er verschafft einem schon eine Gänsehaut, wenn er lediglich eine harmlose Partie Schach spielt. Das heißt, wenn man das Licht in den eigentlich schwarzen, leeren Augenhöhlen des Roboters ausgeschaltet lässt. Ab und an gehen dort drinnen nämlich zwei rote Lampen an; die leider alles andere als unheimlich wirken und der grundsätzlich immens morbiden Präsenz unseres mysteriösen, mechanischen Schachmeisters abträglich sind.
Doch keine Bange; bis auf ein paar wenige Augenblicke hat die unfreiwillige Komik hier Bühnenverbot und dafür subtiles Unbehagen Narrenfreiheit. Wobei gerade die Schachsequenzen die unvergesslichen Szenen dieses Films stellen.
Hier nämlich: Völliger Verzicht auf Musik. Auf der Tonspur konzentrierte Stille. Zu hören ist nur die Mechanik der Robotergliedmaßen und das Bewegen der Schachfiguren auf dem Brett, wenn er am Zug ist. Obwohl diese Szenen dem Geist und nicht der Aktion gehören, rechnet man trotzdem ständig, dass irgendetwas passiert. Ja, passieren muss. Nur passiert meistens - nichts.
Dennoch brodelt die schwarze Atmosphäre unbeeindruckt weiter im Topf; nur kurz überzuckert mit einer doch recht melodramatisch und schmalzig geratenen Liebesgeschichte, die über Gebühr thematisiert wird und die die eigentlich wunderbare Truffaut-Muse Claude Jade dabei wie bloßes Zierwerk und Staffage aussehen lässt.
Im Schlussdrittel dann wie angekündigt wird die Handbremse für ein kurzes Finale losgelassen. Dieses beherbergt dann auch jenen kleinen Strauß gespenstischer Szenen, die heutzutage sicherlich nicht mehr ganz so creepy wirken wie damals, als man sie als Kind oder Jugendlicher vor dem Fernsehbildschirm erlebt hat, aber dem Film eine gewisse Reputation unter den älteren Semestern und den Kennern des damals im Regionalfernsehen ausgestrahlten Gruselkabinetts eingebracht hat.
Da die Jade nicht wie gewohnt glänzt und ihr verliebter Sidekick jetzt auch nicht gerade cool wie Bond ist, obliegt es den undurchsichtigen Charakteren erinnerlich zu bleiben. Den Schachroboter, der mit seinem Turban die Brücke zum historisch verbrieften "Schachtürken" schlägt, hatten wir schon. Bliebe noch sein eloquenter, aber sinistrer Schöpfer, eine Filmfigur, die von André Reybaz brillant mit unterschwelliger Diabolik zum Leben erweckt wird und die ihren Namen ebenfalls mit einer historischen verbrieften, natürlich zwielichtigen Gestalt teilt.
Nämlich die des Alchemisten und Okkultisten Comte de Saint-Germaine, der von sich behauptet hat, Jahrhunderte überdauert zu haben; bis ihn - so steht's in Wikipedia geschrieben - der grimme Schnitter an einem 27. Februar des Jahres 1784 dann doch noch erwischt hat ...
Ein unheimlicher Schachroboter und ein böser Verdacht sind das Bindeglied in diesem von älteren Semestern hoch geschätzten Schauerstück, das gekonnt klassischen Grusel mit Science Fiction verbindet. Die Erzählung aus der Feder des DIE FLIEGE-Autoren Langelaan lebt von Originalität und einer eigentümlichen Atmosphäre. Allerdings ist SCHACH DEM ROBOTER auch konsequent alles Reißerische aussparende filmische Lava, die naturgemäß mit stark gedrosseltem Tempo vorwärts fließt und leider nicht auf ein paar kitschige romantische Momente verzichtet hat.