OT: Sonny Boy
HORRORGROTESKE: USA/I, 1989
Regie: Robert Martin Carroll
Darsteller: Paul L. Smith, David Carradine, Brad Dourif, Conrad Janis, Sydney Lassick
Als der psychopathische Gangster Weasel (Brad Dourif) ein Touristenpärchen ermordet, um ihren Wagen zu klauen, merkt er nicht, dass am Rücksitz noch ein Baby liegt. Sein nicht minder psychopathischer Boss Slue (Paul L. Smith), der mit Weasel und der Transgender-Frau Pearl (David Carradine) in einer Art Dreiecksbeziehung lebt, ist wenig begeistert über den unerwarteten Familienzuwachs. Doch dann nimmt er den Kleinen unter seine Fittiche: Nach allen Regeln der Schwarzen Pädagogik wird der Bub, den sie "Sonny Boy" nennen, zu einer Art menschlichem Kampfhund abgerichtet, der für das kriminelle Familienunternehmen die Drecksarbeit erledigen soll. Doch als Sonny Boy die Bekanntschaft einer jungen Frau macht, beginnt er sich gegen seine "Eltern" aufzulehnen.
Immer, wenn man denkt, eh schon alles gesehen zu haben, kommt ein Film daher, der einen doch noch überraschen kann. Das Überraschendste freilich ist, wie wenig bekannt dieser Film ist. Der doofe deutsche Verleihtitel "Satanic - Ausgeburt des Wahnsinns" lässt einen x-beliebigen Slasher vermuten, wie sie damals - man schrieb die späten Achtziger - am Fließband produziert wurden. Falsch. Völlig falsch. SONNY BOY, wie der Film im Original heißt, setzt sich zielsicher zwischen alle Stühle. Schwarzhumorige Backwood-Horror-Groteske? Coming of Age-Geschichte mit Dachschaden? Gangsterfilm mit Western-Elementen? Psychopathen-Komödie? Man weiß es nicht. Und es spielt auch keine Rolle.
Ich meine: Wie will man einen Film einordnen, in dem David Carradine in Frauenkleidern steckt, mit großer Hingabe eine Transgender-Frau spielt und auch den Titelsong singt? Man stelle sich die Quersumme aus dem TEXAS CHAINSAW MASSACRE, BAD BOY BUBBY und der ROCKY HORROR PICTURE SHOW vor, angesiedelt im pittoresk-staubigen Ambiente eines Wüstenkaffs in New Mexico.
Hier herrscht der psychopathische Gangsterboss Slue mit harter Hand über seine 500 Seelen zählende Gemeine. Außerhalb des Ortes hat er sein Refugium errichtet, inmitten von surreal anmutenden Türmen aus Fernsehern und Autowracks. Eine Kanone - nein, eine Haubitze sichert das Anwesen gegen unerwünschte Eindringlinge. Der Jung-Sheriff, der seine Nase in Dinge steckt, die ihn nichts angehen, bekommt ihre Feuerkraft als erstes zu spüren. Und hier wächst Sonny Boy heran: Eingesperrt in einem Getreidesilo, mit allen erdenklichen psychischen und physischen Martern "abgehärtet", seiner Zunge beraubt, wird Sonny Boy zu einer stummen Kampfmaschine herangezüchtet, die ihr Verlies nur verlassen darf, wenn es einen Killer-Job zu erledigen gilt.
Das Ganze ist genau so bizarr und irre, wie es sich anhört. Das Lachen - man möge mir die abgelutschte Phrase nachsehen - bleibt mit fortschreitender Laufzeit zunehmend im Halse stecken. Dafür überrascht der Film mit einem Ideenreichtum, den man einem Film dieser Art nicht unbedingt zugetraut hätte: Ober-Psychopath Slue etwa hat ein Talent für die Malerei, sieht sich selbst als Künstler und träumt vom (kriminellen) Karrieresprung nach Hollywood.
Verantwortlich für dieses bizarre filmische Kleinod sind zwei Produzenten mit einschlägigem Ruf: Moshe Diamant, dessen damalige Firma Trans World Entertainment die Videotheken der Eighties mit preiswert produzierter, aber qualitativ stets solider Genre-Ware versorgte. Moshe Diamant ist übrigens bis heute aktiv. Der großartige UNIVERSAL SOLDIER - DAY OF RECKONING geht beispielsweise auf sein Konto. Und der umtriebige italienische Filmproduzent Ovidio G. Assonitis, der - so will es die Legende - als unfreiwilliger Geburtshelfer von James Camerons TERMINATOR fungierte und der sich später als glückloser Kurzzeit-CEO bei Cannon verdingte.
Aber nun genug des nerdigen Namedroppings und nutzlosen Wissens.
Monetäre Fortüne war dem Film nicht beschieden. Und auf Kritikerlob brauchte eine Produktion dieser Art damals sowieso nicht zu hoffen. Unter schlechteren Umständen wäre der Film wohl in Vergessenheit geraten. Doch auf verschlungenen Pfaden schaffte er es ins Archiv von MGM, um Anfang 2021 auf wundersame Weise das Licht der DVD-Regale zu erblicken.
Bleibt noch festzuhalten, dass SONNY BOY auch optisch durchaus was hermacht. Schnitt, Kamera, Produktion, alles solide. Streckenweise sogar richtig hübsche, fast schon poetische Bilder. Und im Finale wird auch mit Munition und Explosionen nicht gegeizt. Actionfilm also auch noch ...
Das Billigsdorfer-Cover und der Titel täuschen gewaltig. Kein Slasher vom Fließband, sondern ein schwer zu kategorisierendes B-Movie. Backwood-Horror-Groteske? Coming of Age-Geschichte mit Dachschaden? Verkappter Gangsterthriller? Man weiß es nicht. Wer ein Herz für bizarre, groteske, sich zielsicher zwischen sämtliche Stühle setzende Horror-Komödien (?) hat, sollte sich die DVD zulegen.
In diesem Sinne: "You are truely a man of vision, Slue!"