OT: SM rechter
DRAMA/EROTIK: Belgien, 2009
Regie: Eric Lamens
Darsteller: Gene Bervoets, Veerle Dobbelaere
Koen (Gene Bervoets) ist ein erfolgreicher Richter und seit 15 Jahren mit seiner Frau Magda (Veerle Dobbelaere) verheiratet. Doch was nach außen wie ein perfektes Leben aussieht, ist in Wahrheit keineswegs frei von Sorgen. Magda ist schwer depressiv und möchte am liebsten nur noch schlafen. Koen muss sich fast alleine um ihre gemeinsame Tochter kümmern. Im Ehebett ist Magda völlig lustlos. Schließlich erleidet sie einen Nervenzusammenbruch und muss ins Krankenhaus. Nachdem sie wieder zu Hause ist, offenbart Magda ihrem Mann, dass sie bereits seit 30 Jahren masochistische Fantasien hat. Sie wünscht sich keinen zärtlichen Sex, sondern will von Koen gefesselt und geschlagen werden. Koen selbst verspürt keine derartigen Neigungen. Trotzdem will er seiner Frau ihre geheimen Wünsche erfüllen, wenn dies die Sache ist, die ihr zu ihrem Glück fehlt. In einem SM-Studio begibt sich das Ehepaar auf eine Entdeckungsreise in zuvor ungekannte Regionen der Sexualität. Magda ist glücklich wie nie zuvor: Sie kann wieder lachen, ist künstlerisch aktiv und hat wieder Lust auf Sex. Doch dann gelangen aufgrund dubioser Machenschaften anderer Details ihres Sexuallebens an die Öffentlichkeit. Es kommt zum Skandal: Der Staatsanwalt nutzt die Chance dem unbequemen Richter jetzt selbst den Prozess zu machen...
Die ein wenig konstruiert klingende Story von SM RICHTER basiert auf einem realen Fall: 1997 wurde der belgische Richter Koen Aurousseau auf Grund eines privaten Videos wegen Körperverletzung und Zuhälterei angeklagt und verurteilt. Das Video zeigt, wie der Richter seine gefesselte Frau Magda auspeitscht und diversen weiteren sadomasochistischen Praktiken unterwirft. Der Fall ging bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo 2003 das ursprüngliche Urteil erneut bestätigt wurde. Koen Aurousseau wurde seines Amtes enthoben und verlor alle seine Rentenansprüche. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau in einer kleinen Wohnung in Antwerpen von einer Minimalrente des Sozialamts. Obwohl Magda mehrfach betont hatte, dass ihr Mann auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin gehandelt hatte, wurde der Richter wie ein Gewaltverbrecher verurteilt und sein Leben zerstört. Dabei hatte er von Beginn des Prozesses gegen ihn die Mehrheit der belgischen Öffentlichkeit hinter sich. Eric Lamens Film über diese Ereignisse avancierte schnell zur Nr. 1 der belgischen Kinostarts. Jetzt erscheint SM RICHTER auch hierzulande ungekürzt auf DVD.
SM RICHTER ist kein Film, der BDSM-Praktizierende als perverse Freaks vorführt, sondern ein aufklärerisches Werk, das für mehr Toleranz und Verständnis für abweichende Sexualitätsformen und Seinsarten wirbt. Hierbei erfüllt der Richter Koen die Rolle des unbedarften Außenstehenden, der gemeinsam mit dem Zuschauer in diese für ihn zunächst geheimnisvolle und unverständliche Welt eintaucht. Mit der Zeit entwickelt sich Koen jedoch zum Fachmann. Angetrieben von Magda werden die beiden zu einem Paar, das innerhalb der Szene bald bekannt dafür ist, dass sie auch auf eine härtere Gangart stehen. Dabei hat die devote Madga die Kontrolle über ihren Mann, der selbst keinerlei dominante Neigung verspürt. Koen macht es einfach glücklich seine Frau glücklich zu sehen. Den sich an ihre Clubbesuche anschließenden leidenschaftlichen Sex im trauten Ehebett nimmt er dabei natürlich auch sehr gerne mit.
SM RICHTER gehört zu den bisher relativ dünn gesäten Filmen, die das Thema BDSM nicht einfach spektakulär auf Schauwerte hin ausschlachten, sondern die diese sexuelle Spielart aus der Binnenperspektive zeigen. SM RICHTER steht in der Tradition von Filmen wie Luis Buñuels BELLE DE JOUR (1967), Radley Metzgers THE IMAGE (1976) oder Steven Shainbergs SECRETARY (2002). Alle diese Filme zeigen unterwürfige Frauen, jedoch nicht in der Form einer männlichen Machtfantasie, sondern als Ausdruck einer höchst individuellen Form der Selbstverwirklichung. SM RICHTER radikalisiert dieses Thema dadurch, dass die Frau nicht nur die Initiative ergreift, sondern sogar ihren Mann zum mitspielen gewinnt, obwohl jener selbst keinerlei derartiges Verlangen verspürt.
Der weitestgehend unspektakulär fotografierte Film von Eric Lamens konzentriert sich ganz auf seine Schauspieler. Das funktioniert sehr gut, da Gene Bervoets und Veerle Dobbelaere dieses ungewöhnliche Ehepaar mit all seinen Facetten sehr glaubhaft verkörpern. Der belgische Regisseur hat seinen ersten Langfilm nur in den BDSM-Szenen stärker stilisiert. Diese Bilder vermitteln etwas von dem dunklen Zauber, den diese Praktiken für Magda und andere BDSMler haben. Dabei geht es ähnlich wie in THE IMAGE teilweise recht extrem zur Sache und spätestens wenn echte Brüste mit langen spitzen Nadeln durchbohrt werden, dürfte die Toleranzschwelle einiger Zuschauer überschritten sein.
Für Eric Lamens war die Materie ebenfalls völlig neu. Doch bei einem investigativen Besuch in einem einschlägigen Club in Antwerpen war der Regisseur von der ruhigen Atmosphäre sehr angenehm überrascht. Er sagt: "Menschen, die BDSM leben verdienen Respekt. Sie sind keine Freaks, sie haben lediglich ein anderes Sexualleben."
SM RICHTER ist kein Sexploitation-Kracher, der das Thema BDSM für wüste Szenarien ausschlachtet. Heftige Szenen sind zwar tatsächlich vorhanden. Doch im wesentlichen ist dieser Film ein Plädoyer für mehr Toleranz gegenüber anderen Formen der Sexualität und eine Anklage eines Justizsystems, das Menschen, die BDSM leben noch heute wie Verbrecher kriminalisiert. Der Film erscheint jetzt bei WTP International auf DVD. Neben der Originalversion mit englischen Untertiteln und einer deutsch synchronisierten Fassung bietet der Silberling sehr interessante Interviews mit dem Filmemacher und mit dem echten (Ex-)Richter und seiner Frau.