OT: Sugar Colt
ITALOWESTERN: I/E, 1966
Regie: Franco Giraldi
Darsteller: Jack Betts, Soledad Miranda, Giuliano Raffaelli, Gina Rovere
Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern, hat sich in einem beschaulichen Ort niedergelassen, wo er unter dem Namen Tom Cooper Schießunterricht für (mord-) lustige Ladies gibt. Eines Tages taucht sein alter Bekannter Pinkerton vom gleichnamigen Detektivbüro auf und bittet um seine Mithilfe bei der Suche nach einer Gruppe von verschollenen Soldaten. Rocco reitet getarnt als etwas vertrottelt wirkender Arzt nach Snake Valley (Der Name ist Programm!), in dessen Nähe angeblich die verschollene Soldateneinheit zuletzt gesehen wurde, und begibt sich auf Spurensuche. Schon kurz nach seiner Ankunft macht er sich bei den Einwohnern des Orts schlagartig (im wahrsten Sinne des Wortes!) bekannt und äußerst unbeliebt ...
Es lebe der Italowestern! Das Genre ist seit dem Kinostart von Tarantinos "Django Unchained" in aller Munde und durch die "Western Unchained-Reihe" vom Label KOCH finden neben legendären Klassikern wie "Mercenario" und "Yankee" endlich auch lang ersehnte und bisher unveröffentlichte Spaghettiwestern ihren Weg in die Wohnzimmer der Fangemeinde. So auch "Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern", der bei der eingeschworenen Fangemeinde von Italowestern-LiebhaberInnen lange Zeit als echte Rarität galt.
Wir haben es bei diesem charmanten Italowestern mit einem etwas untypischen und recht frühen Film dieser Gattung zu tun. Die Handschrift des italienischen Ausnahmeregisseurs Fernando Di Leo, der als Drehbuchautor an der Produktion beteiligt war, ist für Fans schon in den ersten Minuten klar erkennbar. Rocco ist ein sympathisch-verschroben wirkender Antiheld, der sich nicht nur als der schnellste Pistolero, sondern auch als ausgebildeter Nahkampfspezialist auszeichnet. Seine Verkleidungen und sein Erfindungsreichtum machen den "Mann mit den zwei Gesichtern" zudem zu einem unberechenbaren Gegner für seine Widersacher und sorgen für so manchen Überraschungseffekt. Eine Szene, in der sämtliche Cowboys im Westernsaloon mithilfe von halluzinogenem Rauch in einen Rauschzustand versetzt werden, hat man so auch noch nie gesehen.
Einen weiteren Pluspunkt verdient der Film eindeutig durch die Besetzung von Soledad Miranda (u.a. bekannt aus "Vampyros Lesbos") und Gina Rovere, die Rocco mutig und wehrhaft unterstützen. Es gibt leider nicht viele Italowestern, in denen Frauen einen Namen, eine für die Handlung relevante Rolle und zudem noch einen eigenen Willen haben. "Rocco,..." gilt hier wohl als gelungene Ausnahmeerscheinung.
Kritiker könnten Franco Giraldi vorwerfen, dass sein Werk etwas unausgegoren wirkt und bei manchen Szenen die Liebe zum Detail fehlt. Die psychologische Tiefgründigkeit und Gesellschaftskritik eines "Der Gehetzte der Sierra Madre", den intelligenten Humor eines "Vamos a matar, compañeros" oder die Bildgewalt und Epik eines "Keoma" erreicht "Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern" mit Sicherheit nicht. Dennoch nimmt er einen würdigen Platz unter den 20 besten italienischen Pistolenhelden-Filmen ein.
Rocco ist ein unterhaltsamer Italowestern mit einer angenehmen Dosis Humor, der im Gegensatz zu den oft mühsam anzusehenden etwas infantilen Bud Spencer und Terence Hill Prügel-Western (Hinweis: so die bestimmt polarisierende Meinung der Autorin) nie übertrieben wirkt. Die ernsthaften und tragischen Momente des Films ergeben eine stilsichere Kombination mit den amüsanten Szenen. Somit ist der Balanceakt zwischen Spannung, Komik und Tragik bei "Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern" ausnahmsweise sehr gut gelungen. Und Bacalov hat mit dem Titelsong "Sugar Colt" einen herzigen Soundtrack kreiert, der leicht ins Ohr geht und gute Laune macht.