OT: Rize
DOKUMENTARFILM: USA, 2005
Regie: David LaChapelle
Darsteller: Tommy the Clown, Larry Berry, Dragon, Miss Prissy
Sie leben in South-Central LA, dort wo Gangs und Gewalt den Alltag bestimmen. Dort wo einem das Leben nicht viel mehr Perspektiven bietet als Drogenhandel und Prostitution. Und Tanzen. Initiiert von einem Ex-Drogenhändler, der als Clown auf Kindergeburtstagen auftat, begannen Jugendliche damit ihren eigenen Tanzstil zu kreieren. Das "Clowning" war geboren. Doch einigen reicht das "Clowning" irgendwann nicht mehr, sie legen ihren Frust, ihre Wut und ihre Ängste in den Tanz, der Stil wird zunehmend aggressiver; das "Crumping" ist geboren. Rize spürt den Ursprung dieser Bewegungen nach, zeigt Protagonisten beim Tanzen, in ihrem Alltag und beim ihren Dance-Battles ...
Wow, was für ein Film. Eigentlich bin ich ja kein Freund von "Tanzfilmen" oder von mir aus "Tanzdokumentation" und ich bin auch mit der Hip-Hop-Kultur wenig vertraut. Auf "Rize" stieß ich eher zufällig, aber ich bin hängengeblieben. Kein Wunder bei diesen Bildern. Und der ganzen Aufmachung.
Rize ist so viel mehr als nur eine Dokumentation übers Tanzen. Nicht zuletzt da Tanzen für die Protagonisten mehr ist, als nur der Versuch coole Moves hinzulegen oder ein kurzfristiger Modetrend. Tanzen schafft ihnen Respekt, ermöglicht ihnen sich selbst zum Ausdruck zu bringen, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen, ihren Frust rauszulassen, aufzubegehren und bietet ihnen eine Alternative zum Leben auf der Straße. Dass Tanzen so vielfältig sein kann, ja sogar so lebensnotwendig, war mir bis dato nicht bewusst.
Allein deshalb lohnt sich die Sichtung von "Rize" allemal. Regisseur David LaChapelle, der vor allem mit Musikvideos und Fotographien von sich reden machte, setzt die einzelnen Tänzer selbstredend eindrucksvoll in Szene. Visuell ist der Film vor allem eines: Beeindruckend. Aber LaChapelle macht nicht den Fehler, nur auf seine schönen Bilder zu setzen, er zeigt vielmehr echtes Interesse an der Bewegung und den Leuten, die dahinter stehen. Ganz ohne Voyeurismus zeigt er South-Central und die Leute die dort leben. Klar erfährt man ab und dann etwas vom Schicksal der einzelnen Protagonisten, erfährt von Vätern die sich umgebracht haben, Müttern die im Gefängnis saßen, von Drogen und Schießereien, allerdings wird das ganze nie ausgeschlachtet, sondern dient dazu, sich ein Bild von den Menschen in South-Central und ihren Lebensumständen zu machen.
Ja, South-Central ist gefährlich, ja hier kann man so mir nichts dir nichts am helllichten Tag erschossen werden, einfach so, ohne Grund, und ja, hier regieren die Gangs mit harter Hand und viele Eltern kümmern sich lieber um Drogen als um ihre eigenen Kinder, aber South-Central ist auch die Heimat von Menschen mit Träumen, mit Hoffnung und mit Lebensmut. Das Ghetto bietet vielen von ihnen Schutz, hier haben sie ihre Freunde, ihre Ziele und ihre Tanz-Battles.
Anfangs mag es vielleicht etwas theatralisch klingen, wenn einer der Tänzer erklärt, dass das Crumping ihn zu seinen Wurzeln zurückführen würde, dass er es quasi im Blut habe. Doch dann schneidet LaChepelle Bilder einer Crumping-Session mit alten Aufnahmen von Männern eines afrikanischen Stammes, die sich in Trance tanzen. Ungläubig erkennt man als Zuseher, dass sich die Rituale, ja, sogar die Bewegungen ähneln. Und spätestens jetzt erkennt man als Zuseher, dass Tanz immer schon so viel mehr war als die coolen Moves aus Hip-Hop-Videos nachzuahmen.
Ab und dann wünscht man sich, dass LaChapelle sich vielleicht etwas mehr Zeit für die Tanzaufnahmen genommen hätte. Vor allem das große Battle zwischen den Clowns und den Crumpern ist doch ganz schön arg zusammengestutzt worden. Aber da der Film in knapp 90 Minuten so viele Aspekte abhandelt, ging es wohl nicht anders. Und auch das Posing der einzelnen Protagonisten wirkt manchmal etwas zu bemüht, aber es gehört nun einmal dazu, weil es Teil der Bewegung ist.
Rize ist ein beeindruckendes Porträt beeindruckender Menschen, die sich trotz der Widrigkeiten, die das Leben für sie bereithält nicht unterkriegen lassen. Auch wenn es manchmal extrem schwer ist. Der Film ist voll berührender Szenen, die authentisch und nicht gekünstelt wirken und bietet auch harten Tobak. Als Zuseher wird man mitgerissen, fühlt mit den Bewohnern von South-Central mit, bekommt einen kleinen Einblick in ihre Lebenswelt. Man fühlt ihre Kraft, ihre Energie aber auch ihre Wut, ob der Ungerechtigkeit, die ihnen Tag für Tag widerfährt.
Sehenswerte Dokumentation über ein Jugendphänomen das zunehmend der Kommerzialisierung anheimfällt, die mit beeindruckenden Bildern und Aufnahmen aufwartet. Auch für Leute die mit Tanzfilmen weniger anfangen können empfehlenswert.