DRAMA: Deutschland, 2006
Regie: Hans-Christian Schmid
Darsteller: Sandra Hüller, Burghart Klaussner, Imogen Kogge
Süddeutschland in den 70er Jahren. Aus einem kleinen Dorf in der schwäbischen Provinz zieht die 21-jährige Michaela zum Studium nach Tübingen. Michaelas Familie ist bigott katholisch. Gegen den Willen ihrer gefühlskalten Mutter, und trotz ihrer Epilepsie, die sie ein Schuljahr gekostet hat, setzt sie, mit Unterstützung ihres Vaters, durch, in die nahe Stadt ins Studentenheim ziehen zu dürfen.
Anfangs eine krasse Aussenseiterin, freundet sie sich bald mit einer ehemaligen Mitschülerin an, emanzipiert sich langsam von ihrer Familie, geht auf Partys, ändert ihren Kleidungsstil und ihre Frisur und verliebt sich.
Plötzlich kommen aber die epileptischen Anfälle trotz Einnahme ihrer Medikamente wieder, und Michaela steigert sich in den Wahn, unbekannte Kräfte hielten sie davon ab, zu beten. Die dringende Ermahnung ihrer Freundin, Ärzte zu konsultieren, ignoriert die von vorangegangenen Spitalsaufenthalten Desillusionierte. Zunehmend hin und her gerissen zwischen ihrer Angst, den Glauben zu verlieren und ihrer ersten Liebe zum Studenten Stefan, wendet sie sich verzweifelt an ihren Dorfpfarrer, der sie jedoch auch mit ihrer zur fixen Idee gewordenen Überzeugung, vom Teufel besessen zu sein, zunächst entsetzt alleine lässt, um dennoch kurz darauf bei ihr mit einem auf Exorzismus spezialisierten Priester aufzutauchen, der Michaela in ihrem Wahn bestärkt.
Inspiriert von der wahren Geschichte der Anneliese Michel, die in den 70er Jahren als Folge eines über den Zeitraum von mehreren Monaten an ihr durchführen Exorzismus ums Leben kam, erzählt "Requiem" dennoch nur am Rande von Exorzismus, ist schon gar nicht ein Horrorfilm.
Der Horror lauert höchstens in der Familie, die ihren Katholizismus lebt ohne diesen jemals zu hinterfragen - wie das nun mal so ist, in einem wenige hundert Seelen-Dorf, in dem der Kirchgang untrennbar zum Sonntag gehört. Mehr noch, vergisst vor allem die Mutter, über all ihrem katholischen Fanatismus, ihrer Tochter Wärme zu geben.
Doch Michaela ist erstaunlich stark. Nicht nur, dass sie trotz anfänglicher Hänseleien ihrer Kommilitonen weiterhin zu ihrem Glauben steht, emanzipiert sie sich auch zunehmend von ihrer Familie und fängt in der Stadt ein neues eigenes Leben an.
Wird folglich auch immer die gesamte Atmosphäre augenblicklich dann bedrückend, sobald Michaela wieder in ihrem Heimatort ist, beobachten wir im Gegenzug erleichtert und erfreut jeden ihrer Schritte in eine für sie neue Welt voller anderer Jugendlicher und Partys, fern von Kirche und Familie.
Wunderschön, wie Schmid die Musik einsetzt. Hat der Großteil des Films eigentlich gar keine Musikspur, bekommt der Zuseher dafür umso mehr eine Gänsehaut, wenn sich Michaela zu Deep Purples "Anthem" auf ihrem ersten Studentenfest "freitanzt".
Ganz befreit scheint sie dennoch nicht, und so ist es wohl ihr unterbewusst schlechtes Gewissen, die Freuden der Jugend endlich auszuleben, wie nur in Unterwäsche im See zu baden, Tanzen zu gehen und ihre Sexualität zu leben, das sie in den Wahn stürzt, sie sei aufgrund höherer Mächte physisch nicht mehr in der Lage, ihren Glauben zu leben.
Anstatt sich diesem inneren Kampf zu stellen, reisst es sie hin und her zwischen dem exzessiven Ausleben ihrer Bedürfnisse als verliebte lebenshungrige Jugendliche auf der einen Seite und der oft unmittelbar darauf folgenden panischen Flucht in die Arme eines heuchlerischen jungen Priesters, der letztlich Michaela und ihr gesamtes Umfeld so weit bringt, dem Exorzismus zuzustimmen.
Und doch: so verwirrt und überfordert sich alle ob ihres Zustandes verhalten, so klar erscheint Michaela schließlich angesichts ihrer Entscheidung.
Sandra Hüller gibt diese junge Frau in ihrer ersten Kinorolle mit einer unglaublichen Intensität, die ihr auch hochverdient den silbernen Bären als beste Darstellerin bei der letzten Berlinale eingebracht hat. Und Hans-Christian Schmid, der seit seinem Kinodebüt Nach fünf im Urwald ohnehin eine geradezu unheimliche Serie von ausschließlich makellosen Arbeiten abgeliefert hat, erweist sich endgültig als ganz Großer des deutschen Kinos. Ein gewaltiger Film, der einen lange nicht los lässt.