OT: Renn, wenn Du kannst
TRAGIKOMöDIE: DE, 2010
Regie: Dietrich Brüggemann
Darsteller: Robert Gwisdek, Jacob Matschenz, Anna Brüggemann, Franziska Weisz
Rollstuhlfahrer Ben hats nicht leicht. Um seinen Alltag einigermaßen autonom meistern zu können ist er auf die Hilfe wechselnder Zivis angewiesen. Und auch in Liebesdingen läuft es alles andere als geschmiert. Denn welche Frau will schon mit etwas mit einem Querschnittsgelähmten anfangen? Also belässt es Ben dabei, einer jungen Studentin heimlich beim Rot über die Ampel fahren, zu beobachten. Eines Tages kracht eben genau diese Studentin ausgerechnet in Christian, Bens neuesten Zivi. Es kommt wie es kommen muss: Auch Christian findet Gefallen an Annika, Bens heimlicher Flamme. Und Annika ist bald darauf hin und hergerissen zwischen den Beiden.
KRITIK:Sympathische Menschen sehen anders aus. Ben schikaniert seine Zivis, beleidigt seine Mutter wenn sie ihm helfen will und legt auch ansonsten keinen großen Wert darauf, sich beliebt zu machen. Wozu auch? Sein Leben ist so schon schwer genug. Also blickt er mit einer Mischung aus Zynismus und Verachtung auf die Welt. Als er im Aufzug ein kleines Mädchen, das ihn vorher ausgiebig musterte, unabsichtlich zum Weinen bringt stellt er lapidar fest: »So geht mir das immer mit Frauen. Erst finden sie mich interessant, dann fangen sie an zu heulen, und dann hasst mich auch noch ihre Mutter.«
Auch seinem neuesten Zivi Christian begegnet Ben anfangs nicht gerade mit Freundlichkeit. Doch Christian lässt sich davon nicht einschüchtern und gewinnt dadurch langsam Bens Respekt. Es könnte so schön sein, wäre da nicht Annika.
Es ist sicher kein Zufall, dass "Renn wenn du kannst" in der Reihe "Perspektive deutsches Kino" auf der Berlinale vorgestellt wurde. Der Film hat das, was modernes deutsches Kino ausmacht. "Renn wenn du kannst" ist eine Mischung aus Tragikomödie und Coming-of-Age Drama und versucht gleichzeitig einen unverkrampften Blick auf das Leben von Menschen im Rollstuhl zu werfen. Hinzu kommt ein interessanter Soundtrack, der vor allem mit melancholischer Popmusik punktet, aber auch vor klassischen Tönen nicht zurückschreckt. Und um das ganze komplett zu machen, hat man auch noch auf eine Handvoll junger deutscher Nachwuchsschauspielhoffnungen zurückgegriffen.
Die drei Hauptdarsteller sind beileibe keine Unbekannten mehr, was das Filmbusiness betrifft. Hauptdarsteller Robert Gwisdek (13 Semester, NVA) steht schon seit frühester Kindheit vor der Kamera, jedoch meist in Nebenrollen. Jacob Matschenz, der Christian spielt, kenn man aus Filmen wie "42 plus", "Die Welle" oder "Das Lächeln der Tiefseefische" und Anna Brüggemann (Annika) hat laut imdb schon in fast 60 Filmen mitgespielt. Und ist noch nicht mal dreißig. Am Drehbuch hat sie, zusammen mit ihrem Bruder, der sich auch für die Regie verantwortlich zeigt, auch noch mitgeschrieben.
Aber zurück zum Film selbst. "Renn wenn du kannst" ist ein zugleich witziger und trauriger, gut gemachter Film, der mit unverkrampften Dialogen aufwartet. Am besten ist der Film, wenn die aufkeimende Freundschaft zwischen Ben, Christian und Annika gezeigt wird. Es ist einfach nur herrlich den dreien beim Quatschen, Philosophieren und Blödsinn machen zuzusehen. Gegen Ende übernimmt sich der Film jedoch ein wenig und wirkt teilweise etwas überambitioniert. Man hat das Gefühl, dass die Macher noch unbedingt etwas einbauen mussten, eine Erklärung, der es eigentlich in dem Ausmaße gar nicht bedurft hätte. Dank der spielfreudigen und ambitionierten Schauspieler lässt sich dieser Aussetzer aber schlussendlich auch verkraften.
Hin und wieder punktet "Renn wenn du kannst" auch mit lakonischem Humor, was nicht zuletzt an der Figur des Ben liegt. Der Film bietet zudem sogar einige wunderbar berührende Momente. Und auch ein wenig Melancholie kommt vor. Was will man mehr?
Wer junges deutsches Kino mag, wird mit "Renn wenn du kannst" sicher seine Freude haben. Auch wenn der Film sich gegen Ende ein wenig übernimmt, so macht er über weite Strecke Spaß, stimmt den Zuschauer aber auch nachdenklich und vermag sogar zu berühren.