OT: Red Riding: In the Year of Our Lord 1974
NEO-NOIR: GB, 2009
Regie: Julian Jarrold
Darsteller: Andrew Garfield, Sean Bean, Rebecca Hall, Warren Clarke
Teil 1 der RED RIDING TRILOGY spielt im Jahr des Herrn 1974. Die Geschichte beginnt mit der Rückkehr des jungen Reporter Eddie Dunford nach Yorkshire; gerade als dort kleine Mädchen verschwinden und womöglich einem Serienmörder zum Opfer gefallen sind. Eddie wittert eine Story und legt sich ins Zeug. Ein tölpelhafter Interviewversuch mit der jungen Mutter eines der vermissten Kinder führt zwar zu keiner Schlagzeile, aber ins Bett der Dame. Von dort aus geht es geradewegs mitten hinein ins korrupte, abgrundtiefe schwarze Herz der Stadt. Dort kreuzen sich dann die Wege von Eddie und Dawson, einem mächtigen, mit Mafiamethoden arbeitenden Baulöwen, der Polizei, Presse und Politik geschmiert hat und für seine Geschäfte über Leichen geht
KRITIK:Die RED RIDING TRILOGY umfasst die Verfilmungen der Bücher 1974, 1980 und 1983 von David Peace, die hierzulande in der feinen Heyne Hardcore-Reihe veröffentlicht worden sind. Produziert wurde sie für das britische Fernsehen. Und bevor nun jemand abfällig die Nase rümpft, sei vorausgeschickt, dass die Filme verdammt gut aussehen und die schauspielerischen Leistungen durch die Bank kinoreif sind.
Angesichts des hohen Qualitätsstandard von 1974 könnte man schon etwas neidisch darauf werden, was auf der Insel doch Delikates fürs TV gemacht wird. Wenn ich hingegen an unsere Fernsehfilme, bzw. nur an ihre unsäglichen Klischee- und Groschenromantitel denke, könnte ich schon das kalte Kotzen kriegen. Aber vielleicht bin ich auch unwissend und mir sind die guten, deutschen TV-Produktionen abseits des TATORT bislang nur durch die Lappen gegangen. Könnte durchaus passiert sein; meine bevorzugten Programme heißen eh DVD und VHS und nicht RTL und ZDF.
Kommen wir aber zurück zur RED RIDING TRILOGY und ihrem Auftakt 1974.
Trotz Fernsehfilmherkunft ist 1974 konzentriertes urbanes Noir. Ruhige, deprimierende Erzählweise, zappendustere Atmosphäre. Wir besuchen eine Stadt in Dunkelheit - und die ist bis ins Fundament verdorben und korrupt. Und praktisch gesetzlos, weil selbst die Polizei nicht für die guten Jungs arbeitet. Im Gegenteil: Sie deckt, vertuscht, brandstiftet, foltert und mordet - im Namen des heimlichen Königs von Yorkshire; Dawson.
Eine Protagonistin beschreibt ihn so: "Er fickt jeden in dieser Stadt, den er ficken will " Er hat Politik, Polizei und Presse in der Hand und selbst wenn auf seinen Baustellen Kinderleichen aufgefunden werden, stellt ihm niemand Fragen. Und Sean (Boromir aus HERR DER RINGE) Bean gibt einen großartigen Dawson, einen perfiden Paten ab.
Unsere Augen während dieser Stadtführung des Grauens sind die von Andrew Garfield, den wir aus DAS KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS kennen und der hier in der Rolle des jungen Journalisten Eddie zu sehen ist. Anfangs wirkt er arrogant und nicht sonderlich sympathisch. Doch im Laufe der Handlung wird er seine Ideale zurückgewinnen und - es versteht sich im Noir beinahe von selbst - einen hohen Preis dafür zahlen müssen.
Die dritte Hauptperson ist Paula, die attraktive, aber gebrochene Mutter eines der verschwundenen Kinder. Da sie auch mit Dawson gut bekannt ist, fungiert ihre Figur als Bindeglied zwischen den beiden Handlungssträngen Serienkiller / Korruption. Außerdem ist sie Teil einer tragischen Liebesgeschichte, die in den letzten Zügen des Films Katalysator für weitere Tragödien wird.
Wie damals schon die Bücher wurden auch die Verfilmungen marktschreierisch mit dem wahren Fall des Serienmörders Peter William Sutcliffe beworben. Wer sich nun True Crime around the Yorkshire Ripper erhofft hat, könnte allerdings enttäuscht werden. Es ist ein bisschen so, wie auf Eddies Stadtkarte. Dort hat er zunächst die Fotos der verschwundenen Mädchen gepinnt; später prangt dort nur noch Dawsons Foto. Soll heißen, die dunklen Machenschaften des Baulöwen und die Korruption der Polizei rücken ziemlich schnell in den Fokus des Geschehens; der Serienkillerstrang wird in 1974 dann noch stiefmütterlicher als der ZODIAC bei Fincher nach der ersten Stunde behandelt.
Wobei ZODIAC in Stimmung und Erzählweise diesem Film hier nicht unähnlich ist. Man sollte sich also darüber im Klaren sein, dass der Serienmörder im ersten Teil der Trilogie nur ein weiterer böser Geist in einer bösen Stadt ist und lediglich schemenhaft im Hintergrund agiert. Und vage ist nicht nur der Killer. 1974 belässt vieles im Dunkeln und wird somit auch diejenigen vor den Kopf stoßen, die alles haarklein gezeigt und erklärt bekommen wollen. Nur gibt es hier keinen Bösewicht, der im Finale vor Eddie sein niederträchtiges Genie en detail ausbreitet und auch keinen reumütigen Bullen, der alles gesteht.
Am Ende gibt es nur noch mehr Schmerz und Verlust für Eddie und er (und wir) haben nur die Spitze des Eisbergs gesehen. Aber trösten wir uns: Die Jahre 1980 und 1983 liegen ja noch vor uns und vielleicht warten dort ja weitere Hintergrundinformationen auf uns. Wenn sie wohl auch nicht das hohe Maß an Sex und Gewalt der Romanvorlagen bringen werden. David Peaces Bücher sind schließlich nicht umsonst beim Deftigen des Heyne Verlags erschienen. Klar, dass die TV-Verfilmungen, weil eben TV-Verfilmungen, den harten Weg nicht kompromisslos mitgehen konnten. Trotzdem hat 1974 die eine oder andere (Folter-)Szene, die auch so ziemlich schmerzhaft aussieht und well, die Stimmung ist durchgängig stockfinster und depressiv. Und wir bewegen uns hier auf einem Terrain, wo das so und nicht anders sein muss!
Yorkshire, GB - Heimatstadt der Korruption und des Yorkshire Rippers - Hierzulande in der deftigen Hardcore-Reihe des Heyne Verlags erschienen: Das "Red Riding"-Bestsellerquartett von David Peace. Bei den Verfilmungen wurde 1977 ausgespart, aber die Jahre 1974, 1980 und 1983 sind uns erhalten geblieben. Zusammen bilden sie die RED RIDING TRILOGY. Und die wurde fürs britische TV produziert. Gute-Laune-Fernsehen sieht anders; fieser bedrückender Noir exakt so aus!