DRAMA/SATIRE: Deutschland, 2013
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Jürgen Vogel, Meret Becker, Moritz Bleibtreu, Lavinia Wilson, Lisa Smit
QUELLE DES LEBENS zeigt das merkwürdige Treiben dreier Generationen einer Familie in der alten BRD. 1949 kehrt Erich Freytag (Jürgen Vogel) nach Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft zu seiner Familie zurück. Doch seine Frau Elisabeth (Meret Becker) zeigt sich von Erichs Rückkehr nicht sehr angetan. Erstens stinkt und furzt der unter der Ruhr leidende Mann und zweitens lebt Elisabeth inzwischen in einer lesbischen Beziehung mit Erichs Schwester Maria (Sonja Kirchberger). Doch Erich hat zu kämpfen gelernt, schmeißt seine Schwester aus dem Haus und nimmt seinen alten Platz im Ehebett und als Familienoberhaupt ein. Schon bald hat Erich auch eine florierende Gartenzwergproduktion aufgebaut, bei der ihm sein ältester Sohn Klaus (Kostja Ullmann) assistiert. Doch Klaus (nun: Moritz Bleibtreu) will studieren und Schriftsteller werden. Klaus verliebt sich in die aus großbürgerlichen Verhältnissen stammende Gisela Ellers (Lavina Wilson), die ebenfalls schreibt. Schon bald kommt ihr gemeinsamer Sohn Robert (Ilyes Moutaoukkil) zur Welt. Doch die beiden Künstler wissen wenig mit einem Kind anzufangen und vernachlässigen ihren Sohn. Robert wird zwischen seinen beiden Eltern, deren Großeltern und einem Internat hin- und hergeschoben. Wird Robert (nun: Leonard Scheicher) unter diesen Umständen trotzdem seinen eigenen Weg finden?
Auch wenn der Film Robert nur bis zum Ende der siebziger Jahre begleitet und seinen weiteren Lebensverlauf somit offen hält, ist die obige Frage natürlich nur rein rhetorisch gemeint. Oskar Roehlers Familienepos QUELLEN DES LEBENS basiert auf seinem weitestgehend autobiografischen Roman "Herkunft" und Robert steht für Roehler selbst. Und obwohl der Film den Untertitel EINE DEUTSCHE FAMILIENGESCHICHTE trägt, handelt es sich bei QUELLEN DES LEBENS nicht um einen weiteren Film, der versucht einen Teil der deutschen Geschichte anhand konkreter Einzelschicksale aufzuarbeiten. QUELLEN DES LEBENS ist eine reine Selbstbespiegelung in ihrem besten Sinne, in der Roehler seine Familie und sich selbst mal mit Sympathie, mal mit Sarkasmus unter die Lupe nimmt. Nebenher beleuchtet der Film auch vieles, was für die 50er bis 70er Jahre in Deutschland jeweils typisch gewesen sein mag. Doch diese Beobachtungen sind nicht die Beobachtungen des heutigen Oskar Roehler, sondern die des damaligen Kindes bzw. Jugendlichen. Deshalb sind sie auch nicht vorrangig analytisch, sondern "ganz naiv". Roehler selbst bezeichnet in einem Interview mit der Filmgazette diesen kindlichen Blick in QUELLEN DES LEBENS als "magischen Realismus".
So zeigt QUELLEN DES LEBENS gleich zu Beginn das Leiden und die unwürdige Behandlung eines Kriegsheimkehrers, der nach wie vor ein eingefleischter Nazi ist. Doch dieser Kriegsheimkehrer ist eben nicht einfach irgendein Nazi, sondern der später von Robert geliebte Opa. Dieser von Jürgen Vogel brillant gespielte Erich Freytag ist eine der interessantesten, weil vielschichtigsten und widersprüchlichsten Figuren des Films. Erich ist ein unbeholfener Tyrann und ein wahres Ekel, ein verständnisvoller Vater und ein liebevoller Großvater. Es ist eine der großen Ironien des Films, dass dieser Herrscher über das Spießbürgerreich der Gartenzwerge derjenige ist, der im Verlauf des Films wahre menschliche Größe zeigen und dem äußerst pathetischen Filmtitel eine konkrete Bedeutung geben wird. Es sind auch die spießigen fünfziger Jahre, bei deren Inszenierung Roehler all sein Können und all seine Liebe einbringt. Äußerst expressiv in an Douglas Sirk (SOLANGE ES MENSCHEN GIBT, 1959) bzw. dem von Sirk beeinflussten Fassbinder (LOLA, 1981) erinnernde knallbunte Farben getaucht, entfaltet gerade diese normalerweise von Intellektuellen verpönte Dekade eine ganz besondere Magie.
Die Sechziger zeigt der Film nicht als die große Zeit eines allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs, sondern als eine von Kälte bestimmte Dekade. Für den kleinen Robert ist es eine Zeit in der er besonders unter dem Egoismus seiner so fortschrittlichen existentialistischen 68er-Künstler-Eltern zu leiden hat. Die Siebziger wiederum werden von Roehler stark romantisiert. In diesem dritten und letztem Teil schlägt der Film einen weitestgehend versöhnlichen Tonfall an. So hat in QUELLEN DES LEBENS jede Dekade ihren eigenen Ton, der sich in einem jeweils eigenen Inszenierungsstil niederschlägt. Dies bedingt eine Uneinheitlichkeit, die noch durch die ständigen Wechsel zwischen Orten und gesellschaftlichen Milieus verstärkt wird. Doch genau dieses sich nicht Zusammenfügen Wollende ist es, was dem Film zufolge Oskar Roehler zu Oskar Roehler gemacht hat.
Oskar Roehlers neuester Spielfilm QUELLEN DES LEBENS ist kein kühner stilistischer Wurf und auch keine scharfsinnige Analyse der Entwicklung der jungen BRD. Stattdessen zeigt der Regisseur den ganz realen Irrsinn, aber auch die unverstellte Menschlichkeit dreier Generationen seiner Familie und der frühen Jahre seines eigenen Lebens. Der Film ist stilistisch uneinheitlich, die Schauspielerleistungen sind von unterschiedlicher Qualität. An allen Ecken und Enden knirscht es, pendelt der Film zwischen Banalität und Poesie, zwischen abgestandenem Klischee und pointierter Kritik, zwischen Satire und Gartenzwerg. Oskar Roehler zeigt hier das wahre pralle Leben und überlässt die gängigen Einordnungen in Kunstfilm und in Mainstream denjenigen, die sich selbst noch nicht von ihrem eigenen inneren Gartenzwerg emanzipiert haben.